Die Engel kommen wieder!
Von den Engeln will ich sprechen, aber wie soll ich es anfangen? Seit der gute, alte Himmel zum Weltraum wurde, sind die Engel heimatlos geworden. Früher, da konnte einer träumen wie Jakob, dass über ihm der Himmel offen steht, und die Engel auf und nieder schweben. Heute fliegen dort Astronauten und Weltraumsatelliten, die den letzten Winkel der Erde ausspionieren, uns aber auch helfen, die Navigation durch die Straßen des Lebens zu schaffen. Wo sind die Engel geblieben? Und da ist noch etwas, was Engel nicht sind: niedliche, pausbäckige Kindlein zum Knuddeln mit Flügelchen und nacktem Popo.
Romano Guardini hat über die Engel geschrieben: „Ihr Bild wird sentimental, spielerisch und für das christliche Leben verlieren sie an Bedeutung.“ Auf den Punkt gebracht: Viele dachten: Engel sind „out“, und nur wenige schienen sie zu vermissen. Christsein geht auch ohne Engel. Gegen diesen Strom des kirchlichen Zeitgeistes verehren wir heute die drei großen Erzengel. Das ist eine Einladung, darüber nachdenken, was die heiligen Engel uns zu sagen haben.
Zunächst schauen wir auf Michael, dessen Name eine Frage ist: Wer ist wie Gott? Ich denke an Bilder, die dramatische Züge tragen. Ein Feuer speiender Drache windet sich am Boden. Wer kann ihm widerstehen? Solche Drachen sind unverwundbar. Ist ein Kopf ab, wachsen sieben andere nach. Er verbreitet Furcht und Grauen. Doch über dem Drachen steht hoch aufgerichtet ein Kämpfer, ein junger Mann mit Rüstung, und zielt auf den Drachen mit einem Schwert. Er wird das Menschenunmögliche vollbringen, den Drachen erlegen. Das ist Michael, wie er leibt und lebt in unserer Vorstellung, einer der Engel, auf den die Offenbarung des Johannes anspielt (vgl. Offb 12). Ist das wirklich nur ein altes Bild? Eine Vision? Oder gar nur fromme Illusion? Ich bin überzeugt: Es ist mehr. Michael steht für eine Weise, unsere Lebenswirklichkeit zu begreifen und zu gestalten. Feuerspeiende Ungeheuer, unüberwindliche Mächte gibt es auch heute. Ich denke an Gewehre und Panzer, an Schlachtschiffe und Atomraketen, an Diktatoren und Terroristen. Das Entsetzen ist vom Himmel auf die Erde gefallen. Menschen sind imstande, sich die Hölle auf Erden zu machen. Und die Engel? Stimmen, die nicht schweigen und sagen, dass Krieg Sünde ist gegen die Menschlichkeit und damit gegen Gottes Gebot, die ihre ganze Leidenschaft einsetzen für den Frieden, sie haben etwas von Michael, dem Engel der Gerechtigkeit.
Mehr noch: Himmel und Hölle wohnen auch in uns selbst. Die Engel sind gleichsam aus dem Himmel ins Menschenherz gestiegen, der Teufel freilich ebenso. In uns selber gibt es Spannungen, Kämpfe, Versuchungen. Michael, der Engel in uns, hört nicht auf zu fragen: „Wer ist wie Gott? Mensch, halt ein. Du darfst nicht alles, was du kannst.“ Möge in der Gemeinde „Zu den Heiligen Engeln“ Michaels Frage immer brennen: „Wer ist wie Gott?“ Dann bin ich mir sicher, dass der Drache des Ungeistes keine Chance hat, sondern die Früchte des guten Heiligen Geistes wachsen: Das sind „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal 5, 22-23).
Allein können wir diese guten Früchte des Heiligen Geistes nicht produzieren. Wir sind angewiesen auf Gottes Hilfe. Das drückt Gabriel aus, was übersetzt heißt: Gott ist mächtig. Gabriels Symbol ist die Lilie. Wir finden sie auf Bildern, die zeigen, wie er einbricht in die kleine Welt der jungen Maria und ihr eine Schwangerschaft ankündigt, die jede biologische Regel übersteigt. Mit einer ähnlichen Nachricht hat er schon zuvor Elisabeth überrascht, deren Mann es im wahrsten Sinn des Wortes die Sprache verschlägt und einige Zeit stumm bleibt. Gabriel überbringt außergewöhnliche Botschaften. Er kündigt den Durchbruch an zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Normalen und dem Außergewöhnlichen. Kein Wunder, wenn sein Auftritt meistens Angst und Schrecken hervorruft. Bei Gabriel ist man nicht vor Überraschungen sicher. Nicht durch Zufall, dass sein erstes Wort oft lautet: „Fürchte dich nicht“.
„Fürchte dich nicht!“ So ruft Gabriel uns heute zu. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Davon können alle ein Lied singen, die sich in der Kirche engagieren und ihre Talente einbringen.
„Fürchte dich nicht!“ An Gabriels Gruß soll sich eine Gemeinde erinnern, die nicht „bayerisch-katholisch“ ist, sondern sich in das Netz der Weltkirche eingebettet weiß. Wir dürfen dankbar sein für unser Gotteshaus, in dem wir uns um Christus scharen und das Herrenmahl feiern. Christus ist unsere Mitte, und der Priester darf ihn vertreten, wenn er das Wort Gottes zuspricht und das Brot des Lebens bricht. Wo Eucharistie gefeiert wird, da ist Kirche; und wo Kirche ist, da lebt die Eucharistie.
„Fürchte dich nicht!“ sei all jenen gesagt, die bemüht sind, die Kirche vor Ort zukunftsfähig zu halten. Hauptberufliche und ehrenamtliche Frauen und Männer gehören zusammen. Ich wünsche uns den Teamgeist, der nötig ist, um auch bei Enttäuschungen, Meinungsverschiedenheiten und Krisen nicht wegzugehen: Miteinander ziehen wir an Gottes Strang. Gabriel heißt ja: Gott ist mächtig.
So kommt ein dritter Engel in den Blick: Raffael. Auch dieser Name ist Programm: Gott heilt. Raffael ist oft verformt worden zu einem harmlosen Engelsputto. Sicher gibt es auch den sanften Trost des Kitsches, der süßen Lieder und der milden Worte. Doch ist diese Art, die Engel anzuschauen, eine Sackgasse der Frömmigkeit, Scheinwelt und falsche Idylle. Raffael ist der Begleiter des Tobias und Beschützer für die kranke Sara, wie das Buch Tobit erzählt. Bis heute gilt Raffael als Patron der Kranken und Engel der Reisenden, auch derjenigen, die unterwegs sind auf ihrer letzten irdischen Etappe.
Dieses Anliegen, Menschen in schwierigen Situationen, in Krise und Krankheit persönlich zu begleiten, gehört in die Prioritätenliste der Seelsorge ganz nach oben. Unser Markenzeichen sind weniger die lauten Töne als vielmehr Aufmerksamkeit und Einfühlung in das, was Menschen zwischen die Zeilen legen. Nicht nur dann ist eine Gemeinde lebendig, wenn es möglichst viele Veranstaltungen gibt, sondern dann, wenn sie bezeugt: Deus caritas est. Gott ist die Liebe. Diesen lapidaren Satz aus der Feder des Johannes hat uns der Heilige Vater ins Stammbuch geschrieben. Bei uns wird das diakonische Handeln, die Caritas, großgeschrieben und damit machen wir dem Namen Raffael alle Ehre. Er steht für heilende Begegnung. Wir glauben ja an einen heilenden Gott, der uns nicht niedermacht, sondern aufrichtet, an Gott, der unser Arzt ist.
Zum Abschluss seiner Predigt trug der Bischof das Gedicht "Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein" von Rudolf Otto Wiemer vor.