„Gott passt nicht in die Hosentasche“
Liebe Schwestern und Brüder, sie lassen uns mitten ins Herz der Apostelfürsten schauen, die Lesungen, die wir gerade gehört haben. Und sie haben dabei so gar nichts Herrschaftliches an sich, im Gegenteil: es sind fast intime Momente, die uns hier geschildert werden.
Gegenüber der jungen christlichen Gemeinde in Galatien, die nach den ersten Jahren eines befreienden Glaubens durch schädlichen Einfluss von außen wieder ängstlich am Buchstaben des Gesetzes festhält, wirft Paulus seine ganze Autorität in die Waagschale und beteuert: „Das Evangelium, das ich verkündet habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi empfangen.“ (Gal 1,11-12). Beim Lesen dieser Sätze spürt man förmlich die Erregung des Schreibers und es zittert das Ungeheuerliche nach, das Paulus auf dem Weg nach Damaskus widerfahren ist. Die Erscheinung des Auferstandenen riss ihn nicht nur vom Hocker, nein, sie warf ihn vom Pferd – unsanft und sicher sehr schmerzhaft. Wir erfahren nicht, ob sich Paulus bei diesem Sturz etwas gebrochen hat. Doch der Schock saß tief: Tagelang war er blind, aß nichts und trank nichts. Kein beneidenswerter Zustand für jemanden, der gerade noch vor Selbstbewusstsein, ja Blutdurst strotzte! Von einem Augenblick auf den anderen war der, vor dem sich alle Christen fürchteten, schwach und hilfsbedürftig geworden, am Boden zerstört und völlig neben der Kappe…
Es wäre ein Leichtes gewesen, sich an diesem ‚Abgestürzten‘ zu rächen! Aber damit hätten die Christen alles über den Haufen geworfen, was ihren Glauben ausmacht – damals waren sie in dieser Hinsicht noch sensibel, das Evangelium war noch nicht einmal aufgeschrieben und wollte ja dennoch gelebt sein. Trotz verständlicher Vorbehalte wagt sich aber, so berichtet die Apostelgeschichte, der im Glauben gefestigte Hananias in die Höhle des hilflosen Löwen. Was er sieht und hört, überzeugt ihn vollkommen vom wunderbaren Eingreifen Gottes. Er tauft Paulus und durch Handauflegung empfängt dieser auch den Heiligen Geist – eine unglaubliche Geschichte!
Wer eine solch radikale Kehrtwende vollzieht und sich als ehemaliger Verfolger das Vertrauen seiner Mitmenschen erst wieder mühsam erarbeiten muss, der hat einen steinigen Weg vor sich und muss mehr investieren als andere. Paulus hat erfahren, dass Gottes Gedanken und Gottes Wege anders sind als die der Menschen. Er hat auch erfahren, welch ein fataler Irrtum es ist, wenn man mit dem Kopf durch die Wand und sogar über Leichen geht, nur um sich selbst nicht korrigieren zu müssen.
Dies ist bis heute eine der größten Versuchungen, gerade bei religiös fest verankerten und bibelfesten Menschen. Sie neigen dazu, ihre Auslegung der Hl. Schriften zur einzig wahren zu erklären oder setzen einen Zeitpunkt in der Geschichte absolut – alles, was danach kommt, ist dann in ihren Augen nicht mehr gottgewollt. Dabei überschätzen sie die menschliche Erkenntnis und Einsicht und unterschätzen Gott völlig: Er soll am besten in die Hosentasche passen. Das ist jedoch nicht der Gott der Bibel und nicht der Gott Jesu Christi! Wir verehren einen „Gott der Lebenden und nicht der Toten“ (vgl. Lk 20,38). Er ist Herr der Geschichte und wir werden nie an ein Ende kommen mit dem Nachsinnen über die Herrlichkeit seiner Werke (Ps. 19).
Jesus Christus ist auferstanden und hat uns den lebensspendenden Atem, den Schöpfer Geist gesandt, der das Angesicht der Erde erneuert – wie soll das gehen, wenn alles beim Alten bleibt? Weil unser Gott ein Ewig-Schaffender ist, deshalb zählt Lernbereitschaft zum Profil eines Christen – das zeigt die Biographie Ihres Kirchenpatrons, des hl. Petrus ebenso wie die des Paulus. Petrus hat zwar sein Gewissen nicht mit Mord und Verfolgung belastet, aber im entscheidenden Moment verließ ihn der Mut und er verleugnete seinen Herrn. Ausgerechnet er, der im Brustton der Überzeugung das Messiasbekenntnis abgelegt hatte – schöne Heilige sind das, die wir verehren, könnten wir jetzt denken!
Es ist gut, dass wir uns das heute am Fest der 100jährigen Fertigstellung Ihrer Pfarrkirche neu bewusstmachen, sonst staubt der Felsenmann auf seinem Podest ein oder er und Paulus werden zu Gestalten der grauen Vorzeit – dabei sollen sie uns doch lebendige Fürsprecher und Vorbilder sein! Nehmen wir uns ein Beispiel an ihrer Wandlungsfähigkeit, an ihrer Treue zu Christus, die umso stärker war, weil sie massive Einbrüche des Versagens aufzuweisen hatte. Auch aufs Ganze gesehen – bis zu ihrem gewaltsamen Tod – verlief das Leben dieser Säulen der frühen Kirche nicht glatt und smart, sondern hatte scharfe Kanten und tiefe Einschnitte. Vielleicht bekommen wir nach der hoffentlich schon weitgehend durchgestandenen Pandemie und im Blick auf den Krieg, den die russische Regierung in der Ukraine führt, wieder ein Gespür für solche Lebensläufe…
Vor 250 Jahren haben Ihre Vorfahren hier auf dem Kirchberg eine für damalige Verhältnisse stattliche Kirche erbaut, eine Porta Coeli, einen Ort, wo der Himmel in der Hl. Messe auf die Erde geholt wird. Kirchenpatron wurde jener impulsive Fischer aus Galiläa, dem Christus seine Jüngergemeinde anvertraut hatte – ein Mann, der bereits Verantwortung für eine Familie besaß und im Kreis der Nachfolgenden anerkannt war, trotz seines Versagens in der Nacht der Verhaftung Jesu. Denn er bekommt, wie wir im Johannesevangelium gehört haben, eine zweite Chance. Dreimal wird er gefragt: Liebst Du mich? und dreimal bejaht er es, wenn auch peinlich berührt – doch diesmal will er nicht mehr versagen.
Eine intime, keine triumphale Szene, die uns in der augenblicklichen Krise unserer Kirche gut zu Gesicht steht! Anders als die Erinnerung an den Prunk des „Tu es Petrus“-Schriftbandes, das im Petersdom zu Rom innerhalb der Kuppel des Michelangelos umläuft: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen (Mt 16,18). Ein Jesuswort, dass uns immer wieder Hoffnung schenken, aber auf keinen Fall hochmütig machen sollte.
In unserem Evangelium ist nicht von Macht, sondern von Ohnmacht die Rede: Unmissverständlich spielt der Auferstandene auf den bevorstehenden Tod seines ersten Jüngers an. Alt werden im Dienste Christi, das kann auch Einsamkeit, Undank, Missachtung und furchtbare Folter bedeuten. Beide, Petrus und Paulus, haben ihre Zugehörigkeit zu Christus mit dem Leben bezahlt. Doch am Ende siegte die Liebe über die Angst – wie, das ist wohl ein Geheimnis, das nur denen offenbar wird, die in eine vergleichbare Situation kommen. Ich denke dabei an die mutigen Menschen, die als Christen gegen das NS-Regime Widerstand geleistet haben: junge Erwachsene in der „Weißen Rose“ und erfahrene Militärs und Juristen im sog. „Kreisauer Kreis“ oder auch an Edith Stein und ihre Schwester Rosa, deren 80. Todestag sich Anfang August jährt.
Weil wir Menschen Orte brauchen, an denen wir in Gemeinschaft beten und Gottesdienst feiern können, Orte, die dem Alltag enthoben sind und es uns leichter machen, unser Herz für Gott zu öffnen, deshalb haben Pfarrer Lachner und die Hirschbacher in der schwierigen Zwischenkriegszeit 1922 die Anstrengungen nicht gescheut, um die zu klein gewordene Kirche St. Peter großzügig zu erweitern, ja ganz neu zu konzipieren. Wir gedenken heute dankbar dieser tiefgläubigen Menschen und freuen uns an ihrem Vermächtnis – und das schönste Geschenk, dass wir ihnen und Gott machen können, ist es, sich aus ganzem Herzen dem Bekenntnis des Petrus anzuschließen: „Herr, du weißt alles, Du weißt auch, dass ich Dich liebe.“ Amen.