Knotenpunkte im ökumenischen Netz
Eine Bischofsfigur in Purpur, von einem Maschendrahtzaun eingehüllt. Ohne Bewegungsfreiheit, handlungsunfähig, gefangen. Auf einer Kunstausstellung in Eichstätt stand vor ein paar Jahren in der Nähe des Doms eine Bischofsgestalt, die mit der Kettensäge aus einem Baumstamm herausgebildet wurde. Der Finger der Rechten dieser Figur zeigt nach oben. Die Frohe Botschaft Jesu verkünden, eine Ahnung vom Himmel vermitteln, das wäre seine Aufgabe! Und zwar nicht abgehoben und abstrakt, sondern menschennah und konkret. Die Linke deutet nach unten: Hier auf der Erde soll der Würdenträger sich um die Menschen kümmern. Ihr Lebensschicksal muss ihn erbarmen.
Mancher Betrachter wird sich fragen: Steht diese Gestalt aus Holz nicht für die momentane Situation? Die Kirchen in der Krise? Gefesselt, gelähmt durch Skandale, durch Reformstau, durch Richtungsstreit?
Der Zaun aus Maschendraht, der die Bischofsfigur umgibt, ist nach Aussage des Künstlers ein Netz. Eigentlich wollte er einen Menschenfischer darstellen. Doch dieser ist nicht mehr in der Lage, sein Netz auszuwerfen. Er hat sich selbst darin verfangen. Die Kirchen und ihre Vertreter erreichen die Menschen heute oft nur schwer: Keine Menschenfischer, sondern Gefangene im eigenen Netz!
Das ist die Deutung des Kunstwerkes von Wieland Graf. Hinzu kommt: Die Fische lassen sich nicht so einfach fangen. Sie schlüpfen lieber durch die Maschen des Netzes und bewegen sich in freien Gewässern: kein Boot, kein Fischer, kein Netz. Der Mensch braucht scheinbar keine Kirchenbindung, keine Gemeinschaft der Gläubigen. Der moderne – oder besser: der postmoderne - Mensch ist auf andere Weise spirituell: Er bewegt sich flink hin und her. Er schwimmt nicht gerne im Schwarm, er sucht sich sein eigenes Korallenriff.
Neueste Umfragen über religiöse Einstellungen und die Rolle der Kirchen bringen Interessantes an den Tag: Zwar gibt es noch immer ein „verborgenes Wohlwollen“ gegenüber der Institution Kirche und „ein Gefühl, dass die Welt ohne Kirche ärmer wäre“. Sobald jedoch die Kirche von ihren Gläubigen ein bestimmtes moralisches Verhalten verlangt, „sträuben sich die Nackenhaare“. So ein Meinungsforscher. Nur eine Minderheit der Mitglieder traut ihrer Kirche Antworten auf zentrale Lebensfragen zu. Der Mensch von heute hat die Frage nach Religion und Kirche umgekehrt: Was bringt mir der Glaube? Welchen Nutzen hat die Kirche für mich?
Der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, nennt Gründe für die aktuelle Krise: Er spricht von einer mangelnden Kommunikationsfähigkeit, wobei er hier besonders die katholische Kirche im Blick hat. Kirchliche Gremien kreisen um sich selbst und vergessen die wahren Belange der Gläubigen. Die Menschen von heute – so Frey – interessieren sich durchaus für Glaubensfragen, sie müssten nur ansprechender erzählt werden. Oder im Bild gesprochen: Wie gelingt es wieder, Menschenfischer zu sein und neue Fanggründe zu finden? Wie schaffen wir es, ein Netz des Glaubens zu knüpfen? Bei diesen Fragen sind die Kirchen in einem Boot. Ob wir wollen oder nicht, wir haben nur eine Chance, wenn wir gemeinsam am Netz knüpfen.
Vier Knoten für das ökumenische Netz möchte ich nennen:
1. Der erste Knoten heißt: Du gehörst dazu.
Was unsere Gesellschaft oft kalt und unbarmherzig macht, ist die Tatsache, dass sich in ihr Menschen an den Rand gedrängt fühlen. So wünsche ich mir einladende Kirchen: Kirchen, die nicht ausgrenzen, sondern öffnen und auch denen, die im Straßengraben ihres Lebensweges gestrandet sind, signalisieren: Auch du gehörst dazu. Bei uns bist du gut aufgehoben. Auch wenn andere dich wegschicken, bei uns bist du willkommen. - Ich weiß, dass dies manchmal eine Gratwanderung ist: einerseits nicht tabuisieren nach dem Motto: Es ist nicht, was nicht sein darf; andererseits nicht relativieren im Sinne der Normativität des Faktischen. Ich wünsche Ihnen für die Beratungen Ihrer Synode, dass Sie diese Gratwanderung aushalten und nicht in Extreme abstürzen.
2. Der zweite Knoten heißt: Ich höre dir zu.
Was wir heute brauchen, sind Kirchen, die stärker auf das hören, was die Menschen wirklich bewegt, die nicht nur vorschreiben, wie die Menschen sein sollen, sondern erst einmal ernst nehmen, wie die Menschen wirklich sind. Es geht darum zu fragen, was jetzt ansteht für die Kirchen. Richtungsstreit und Debatten über den richtigen Kurs gibt es sowohl bei Ihnen als auch bei uns. Auch hier sitzen wir in einem Boot: Soll das Netzwerk Kirche auch in Zukunft tragen, geht es darum, die Freiheit, die uns als Christenmenschen geschenkt ist, zu nutzen und in eine Bindung an Jesus und sein Evangelium münden zu lassen. Eine Kirche, die wirklich zeitgemäß ist, gleicht nicht Jesus der Zeit an, sondern ist bemüht, die Zeit an Jesus zu binden, sein Evangelium gleichzeitig zu machen, zu „verheutigen“ (aggiornamento).
3. Der dritte Knoten lautet: Ich rede gut über dich.
Psychologen haben festgestellt, dass sich etwa 60 Prozent aller Gespräche unter Erwachsenen um nicht anwesende Personen drehen. Als Grund dafür werden Neidgefühle vermutet. Auch wir Kirchenleute sind nicht ausgenommen. Das stimmt nachdenklich. Müsste gerade in kirchlichen Kreisen nicht ein anderer Umgang herrschen? Weniger diffamierende Kritik, mehr vorsichtige Korrektur; kein generelles Schlechtreden, dafür aufbauende und konstruktive Vorschläge. Ein wohlmeinender Umgang miteinander ist wichtig für ein elastisches und kreatives Beziehungsnetz, gerade in der Ökumene. Vielleicht bleiben manche gute Ideen nur deshalb auf der Strecke, weil den Ideengebern eigennützige Motive unterschoben werden, wie Ehrgeiz und Wunsch nach Profilierung. Es wäre schade.
4. Der vierte Knoten heißt: Ich bete für dich.
Wer für andere betet, schaut auf sie mit anderen Augen. Er begegnet ihnen wohlwollend. Auch Nichtchristen äußern ihre Dankbarkeit, wenn sie wissen, dass für sie gebetet wird. Orte in unseren Dörfern und Städten, „eingebetete“ Räume können eine geistliche Quelle sein, ein echter Segen. Sagen wir einander zu: Ich bete für dich! Tun wir es füreinander – gerade dort, wo es in der Ökumene Spannungen gibt, wo Beziehungen brüchig werden, wo Worte nichts mehr ausrichten können. Gottes Ohr ist größer. Es hört tiefer in uns hinein und bleibt nicht stehen bei unserer Ratlosigkeit und Trauer. Papst Paul VI. hat es einmal auf den Punkt gebracht: Das Gebet ist der Atem der Kirche.
Vielleicht ist die Krise, in der wir gerade stecken, auch darauf zurückzuführen, dass wir zu wenig Atem holen, dass wir uns mit so vielem anderen beschäftigen und dabei das Wesentliche vernachlässigen: den
Menschen helfen, dass ihre Seele Atem holen kann. Ein Sprichwort sagt: „Je mehr sie das Ziel aus den Augen verlieren, umso mehr verstärken sie ihre Anstrengungen.“ Unser gemeinsames Maß und Ziel ist Jesus Christus. Bleiben wir ihm auf der Spur – gerade jetzt in der Zeit auf Ostern!