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Wichtiges
Katechese von Bischof Bertram im Rahmen des "Cantate Domino" zum 3. Fastensonntag

Membra Jesu nostri: Ad manus

11.03.2023

Verehrte Freundinnen und Freunde geistlicher Musik, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, am letzten Samstag haben wir zusammen mit Abt Arnulf von Löwen und Dietrich von Buxtehude die durchbohrten Füße unseres gekreuzigten Herrn Jesus Christus betrachtet - unterstützt von dem Andachtsbild aus der Weilheimer Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt: das beeindruckende Palmkreuz eines unbekannten Holzschnitzers zeigt den Gemarterten im Moment seines Todes. Der Körper ist nach unten gesackt und die weit ausgedehnten Armen mit den angenagelten Handflächen scheinen zum Zerreißen gespannt.

„Was sind das für Wunden in der Mitte deiner Hände?“ fragen wir mit dem Propheten Sacharja und Buxtehude setzt dieses Schriftwort als Rahmen über den lateinischen Gebetstext, der eingangs immer den leidenden Heiland mit einem „Salve“ begrüßt, bevor er sich einem einzelnen Körperglied zuwendet. Salve ist ein anderes Wort für Ave – „Sei gegrüßt“ eigentlich „Mögest Du gesund sein“, ein ganz alltäglicher Gruß auf den Straßen Roms und bis weit ins Mittelalter hinein. Wer ein Gespräch aufnehmen will, klopft gleichsam an meinem Ohr an und grüßt zuerst, um sich bemerkbar zu machen. Es ist eine Formel und doch ist sie immens wichtig. Denn sie zeigt den respektvollen Umgang miteinander: „Salve Jesu, pastor bone - Sei gegrüßt, Jesus, guter Hirte.“ Mit dieser Anrede legt der Sprecher, der Betende schon eine Fährte, worauf er seinen Betrachtungsschwerpunkt setzen will. Ein Hirte, dem eine Herde - ganz gleich welcher Tierart - anvertraut wird, braucht starke, zupackende Hände. Mit ihnen und seinem Hirtenstab verteidigt er die ihm Anvertrauten gegen Raubtiere oder menschliche Räuber. Nicht selten räumt er den Weg frei, verbindet verletzte Tiere und trennt Streitende, alles Kleine und Zarte aber birgt er in seinen Händen, um es zu schützen: „Die Lämmer trägt er auf dem Arm und die Mutterschafe führt er behutsam“, heißt es bei Jesaja (Jes 40, 11). Auch Jesu Hände, die Hände eines schwer arbeitenden Zimmermanns, müssen wir uns kraftvoll und schwielig vorstellen. Sicher waren sie immer wieder einmal verletzt, voll kleiner, schmerzhafter Holzsplitter oder zeigten offene Wunden…

Wir haben soeben das Evangelium von Jesus, dem Kinderfreund, gehört (Mk 10, 13-16) – abgedroschen und vielleicht sogar süßlich klingt es in den Ohren mancher Menschen und unwillkürlich tauchen vor dem inneren Auge jene farbigen Bilder auf, die unsere Großeltern noch über dem Bett hängen hatten und die heute nur noch auf Flohmärkten angeboten werden: Jesu auf einer blühenden Wiese inmitten von zartgliedrigen, blonden Kindern, die sich ihm nähern, ehrfurchtsvoll und zutraulich zugleich, und die Szenerie liebevoll betrachtet von ihren jungen Müttern. Doch das, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, ist eine Verkitschung des Gottessohnes, die im 19. Jahrhundert aufkam.

Mit der historischen Wahrheit im ersten Jahrhundert nach Christus und noch weit in die Neuzeit hinein, hat dies nichts zu tun. Wo die Kindersterblichkeit groß ist und unter den Vermögenden eifersüchtig auf die Einhaltung der Erbfolge geachtet wurde, da waren Kinder nicht viel Wert, zumal wenn sie noch nicht laufen und sprechen konnten oder man nicht wusste, ob man sie durchbringen würde. Daher war das Verhalten Jesu absolut ungewöhnlich: die Jünger spiegeln uns dies, wenn sie die Mütter mit ihren Kleinen verscheuchen wollen. Kinder, so der Eindruck besonders der Mächtigen – denken wir nur an den Pharao zur Zeit des Mose - gab es immer zu viel oder jedenfalls mehr als genug.

Doch Jesu Reaktion zeigt: Ihm kommt es auf jeden einzelnen Menschen an, unabhängig vom Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf oder Bildung. Er sah gerade in diesen „Kleinen“ das Potential. Er wusste: Jedes Kind, jeder Mensch ist ein unverwechselbarer Schöpfungsgedanke Gottes, dazu berufen, heil und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Ausdruck dieser Zuwendung Jesu ist die Handauflegung und der Segen. Ein uralter Gestus, der bis heute in allen Religionen zu den zentralen Ausdrucksformen gehört: Ich lege meine Hand auf Dich und schütze Dich; ich lege meine Hand auf Dich und nehme Dich an, jetzt gehörst Du zu mir; ich lege meine Hand auf Dich, und gebe Dir von dem, was ich habe. Viel haben sich Menschen im Laufe der Jahrtausende einfallen lassen, um eine rituelle HANDlung – das Wort verrät es: Ohne Hand geht es nicht! -, einen Gottesdienst auszugestalten. Doch auf die Handauflegung hat man unter Christen nie verzichtet, weder bei der Taufe und der Krankensalbung, noch bei der Diakonen-, Priester- oder Bischofsweihe. Auch das Ehesakrament ist nur gültig, wenn sich das Brautpaar die Hände reicht. Das Ja-Wort allein genügt nicht.

Unser Glaube ist an die Sinne und an den Leib gebunden – und das ist gut so. In der Corona-Pandemie haben wir ausnahmslos alle erfahren, wie schmerzlich, ja krankmachend es sein kann, wenn der körperliche Kontakt plötzlich nicht mehr möglich ist, nicht nur Umarmung, sondern auch Berührung, ein Streicheln und flüchtiges Liebkosen vermieden werden muss, weil die Angst vor Ansteckung größer war. Gott sei Dank haben wir diese schlimmen Jahre, wie es scheint, weitgehend überstanden. Wir können uns wieder die Hände schütteln und dürfen uns im Tanzen an den Händen fassen oder auch am Krankenbett zart über den Handrücken streichen.

Schauen wir uns Jesu Hand an – es ist die linke, die hier groß abgebildet ist: Die Linke kommt von Herzen, sagen wir in einem schönen geflügelten Wort. Berühren wir mit dem Herzen Jesu heiligen, durchbohrten Hände.