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Wichtiges
Katechese von Bischof Bertram im Rahmen des "Cantate Domino" zum 2. Fastensonntag

Membra Jesu nostri: Ad pedes

04.03.2023

Verehrte Freundinnen und Freunde geistlicher Musik, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, wenn wir uns heute und an den kommenden Vorabenden der Fastensonntage den einzelnen verwundeten Gliedmaßen unseres gekreuzigten Herrn zuwenden, um sie auf uns wirken zu lassen und uns so auf die Feier von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi innerlich vorzubereiten. Tatsächlich stehen wir damit aber in einer uralten geistlichen Tradition, zu deren Wurzeln ganz sicher auch folgende bekannte Stelle im Hebräerbrief gehört. In ihr zitiert der Verfasser Verse aus dem Ps. 40: „Schlacht- und Speiseopfer hast Du nicht gefordert, / doch einen Leib hast Du mir bereitet; (…) Da sagte ich: Siehe, ich komme - /so steht es über mich in der Schriftrolle -, /um Deinen Willen, Gott, zu tun.“ - Und fügt dann erklärend hinzu: „Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt – ein für alle Mal“ (Hebr 10, 5.7.10).

Getragen von dieser Glaubensgewissheit wollen auch wir uns in die Situation des leidenden Herrn hineinversetzen und seine Passion durch Compassio, einfühlendes Mitleiden, im eigenen Herzen, in Gedanken und Gefühlen nachhallen lassen: einerseits durch die Betrachtung des Palmkreuzes aus der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Weilheim, das uns an den kommenden Abenden begleitet, und ausgewählte Bibelstellen sowie andererseits mit Hilfe der Passionskantaten von Dietrich Buxtehude, gewissermaßen als einer Grundmelodie der diesjährigen Fastenzeit. Der Komponist vor fast 400 Jahren hatte sich von dem uralten, gereimten Gebetsgedicht eines Zisterzienserabtes aus der heute belgischen Stadt Leuwen/Löwen inspirieren lassen. Leider wissen wir nicht mehr von diesem Abt Arnulf außer seinen ungefähren Lebensdaten (1200-1250) und der Tatsache, dass er mit seinem Ordensgründer Bernhard von Clairvaux (1090-1153) bereits selbst einen Meister der Passionsmystik vor sich hatte. Abt Arnulfs lateinisches Gebet hat - wohl auch dank der Musik - die Jahrhunderte überdauert und wird heute und an den kommenden Samstagen lebendig durch den Vortrag der Domsingknaben.

Heute nun lade ich Sie ein, hörend und betend die von Menschen ans Kreuz genagelten Füße unseres Herrn Jesus Christus zu betrachten: Mit diesen Füßen ging er zu den Menschen, die seine Hilfe anriefen: zu jenem namenlosen Vater, dessen Tochter im Sterben lag, oder zu Simon Petrus, der Linderung für seine von Fieber geschwächte Schwiegermutter erbat. Aber auch die Samariterin am Jakobsbrunnen und der Zöllner Zachäus wurden von Jesus in ihrem Zuhause aufgesucht. SEINE Schritte waren ihnen willkommen wie die „des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt“ (Jes 52,7) - ihnen und vielen, vielen anderen, die ihn einluden - tagsüber, um sich in dem prominenten Gast zu sonnen, und nachts, wie der Gelehrte Nikodemus, damit es vor den Augen der Menschen möglichst verborgen blieb!

Nach seiner Taufe am Jordan und der 40-tägigen Wüstenzeit war Jesus, der Sohn des Zimmermanns, zum Wanderprediger geworden. Drei Jahre lang durchzog er zu Fuß, per pedes, sein von Römern besetztes Heimatland, um Zion zu sagen: „Dein Gott ist König“ (Jes 52,7). Ja, Jesus Christus hat das geknechtete, verwirrte Volk wieder an seinen Gott erinnert: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ (Mk 12,17) - Denkt an den Gott eurer Mütter und Väter, den Gott Abrahams und Sarahs, den Isaaks und Rebekkas, den Gott Jakobs, Leas und Rahels. Erhebt Euch aus dem Staub des Alltags, besinnt Euch auf Eure Würde, Eure Gotteskindschaft, und richtet euren Blick nach innen, dahin, wo Gott wohnt. Mit dem Soziologen Hartmut Rosa können wir auch sagen: Werdet wieder anrufbar, tretet in Resonanz mit Gott und der Welt, denn nur so kann sich eine spirituelle Transformation ereignen…

Unermüdlich war Jesus mit seinen Jüngern unterwegs, bestieg Berge wie den Berg der Verklärung (Mk 9,2-8; Mt 17, 1-9) und kurz vor seinem Ende den Ölberg, wo ihn in Getsemani die Füße nicht mehr trugen und er in Todesangst auf die Knie fiel. Immer schon, so berichten die Evangelisten, hatte sich Jesus in unwegsames Gelände zurückgezogen, um Zwiesprache mit seinem Vater zu halten und sich Kraft zu holen für das, was sich zunehmend deutlich abzeichnete: ER, der von sich sagte, „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), kam an den Punkt, wo seine Bewegungsfreiheit radikal und grausam eingeschränkt wurde.

Nach seiner nächtlichen Verhaftung wurde er den Richtern vorgeführt, verhört, an eine Geißelsäule gebunden und ausgepeitscht und schließlich auf dem Kreuzweg durch eine schaulustige, sicher auch großenteils schadenfrohe Menge gezerrt – bis zur Hinrichtungsstätte auf Golgatha, wo man durch seine Füße einen Nagel trieb und ihn ans Kreuz heftete. Wie grausam ist der Mensch, dass er dem, der kommt, um ihm aus dem Staub zu heben, der sein Retter ist, zu absoluten Unbeweglichkeit verdammt! Jesus soll ausbluten und ersticken, so wollte es Pilatus und der Mob. Wann haben wir uns vom Bösen regieren lassen, haben gehetzt und gelästert, haben verleumdet und missachtet? Seit wann haben wir uns entschieden zu fragen: Was bin ich und was bist Du? statt: Wer bin ich und wer bist Du - für mich?

Betrachten wir die durchbohrten Füße unseres Heilandes und stimmen wir innerlich mit ein in das Gebet des Arnulf von Löwen und die Musik gewordene Andacht von Dietrich Buxtehude.