Von Christi Licht erleuchtet: Paulus als „religiöses Genie“
Lieber Herr Stadtpfarrer Rauch, lieber Johannes! Liebe Schwestern und Brüder im Herrn! Vor wenigen Tagen feierten wir das Fest der Bekehrung des hl. Paulus, Ihres Kirchenpatrons. Im Altarbild unterhalb der Dreifaltigkeitsdarstellung steht Ihnen seine Bekehrung und Berufung stets vor Augen – vom Saulus zum Paulus. Wie wir in der Apostelgeschichte nachlesen können, war er ein religiöser Fanatiker, der zunächst die Anhänger des „Neuen Weges“ (Apg 9,2) verfolgte, bis zur Bekehrung bzw. Erleuchtung: Das Neue bestand darin, dass im Mittelpunkt der Verkündigung nicht die Gesetze Gottes standen, sondern eine Person: der Sohn Gottes, der gekreuzigte und auferstandene Herr Jesus Christus. Diesen sandte Gott aus Liebe zu uns Menschen in diese Welt, um sie mit sich zu versöhnen. Durch seinen Tod am Kreuz wurde die Sünde besiegt. Diese Botschaft war für Saulus nicht hinnehmbar: ein No-Go!
Auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus stürzt Saulus sprichwörtlich „von seinem hohen Ross“; er wird von Jesus Christus geblendet: „Saul, Saul, warum verfolgst Du mich?“ (Apg 9,4) Seine Bekehrung ist nicht die Frucht von intensivem Nachdenken oder einer umfassenden Glaubensreflexion, sondern Ergebnis der unmittelbaren Erfahrung Gottes, Resultat der Begegnung mit Christus selbst. Diese Erfahrung krempelt sein Leben um, von heute auf morgen wird es auf den Kopf gestellt. Liebe macht blind! Von da an sieht Paulus alles in einem neuen Licht. „Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.“ (2 Kor 4,6) Er, der Christus und seine Kirche verfolgte, wie er selbst bekennt (vgl. 1 Kor 15,9; Gal 1,13; Phil 3,6), folgt ihm nun nach.
Genau diese Botschaft strahlt der lichte Kirchenraum nach seiner Renovierung, in der die ergrauten Wände neu gestrichen wurden, vortrefflich aus; Kirchenraum und Glaubensbotschaft gehen Hand in Hand. Dieser Raum predigt: Lassen wir Christus, das Licht, in unsere Herzen ein! Bleiben wir in unserem Leben wie Glas durchlässig für die lichtvolle Botschaft Gottes. Jesus sei uns die Orientierung auf unserem Lebensweg. Die Schatten des Alltags, die dunklen Momente im Leben sind verklärt in seinem Licht. Das ist seine Zusage an uns. Wir haben sie eben in der Bergpredigt gehört: Selig die Armen, die Trauernden, die Hungernden, denn Gott ist mit Ihnen! (vgl. Mt 5,3-4.6)
Der Blick auf Jesus Christus und seine Botschaft mit dem eigenen Leben zu bezeugen, das zeichnet Paulus aus. An ihm können wir ablesen, was ein Leben als Christ heißt: Sein Leben zu gestalten aus und mit Christus, aus der Hingabe an ihn, der sich für uns Menschen hingegeben hat. Ein Leben also, wie wir es in der Lesung aus dem Korintherbrief gehört haben, „in Christus Jesus“ (1 Kor 1,30). Der Glaube an ihn, das „Durchwobensein“ von ihm, speist sich aus der Haltung des Gebets und im Lob Gottes, und ist damit Ausdruck des Vertrauens und der Freude. Daher meine Bitte an sie: Bleiben Sie mit Christus in Verbindung, der unsere Kraft und Freude ist (vgl. Phil 4,13). Suchen Sie regelmäßige Begegnung mit ihm, bleiben Sie im Gespräch mit ihm, in der Eucharistie, im Gebet!
Nach seiner „Erleuchtung“ (vgl. 2 Kor 4,6) baut Paulus, der „Apostel durch Gottes Willen“ (2 Kor 1,1), eine Freundschaft zu Jesus auf; er wird leidenschaftlicher Botschafter des Evangeliums. Er ist dauernd unterwegs als „Reisender in Sachen Christus“. Den Gemeinden schreibt er Briefe, über die er den Kontakt hält zu den Anhängern des „Neues Weges“, wie man die Christen nannte. Die Briefe zeigen auch, welch brillanter Theologe Paulus war, eigentlich ein gelernter Zeltmacher. Ohne ihn, ohne seinen missionarischen Eifer und seine theologische Kompetenz hätte der „neue Weg“ vermutlich in eine „Sackgasse“ geführt.
So steht Saulus-Paulus heute vor uns: das religiöse Genie, der Völkerapostel, der missionarische Jünger. Im verdanken wir, dass das Christentum territoriale und denkerische Grenzen überschreiten konnte. Unser christlicher Glaube steht quer zu allen Kulturen. Das Evangelium ist nichts Exklusives, wir Christen sind kein elitärer Club – gerade heute nicht. Sein Apostolat zeichnet einen „universalen Atem“ aus, wie es der kürzlich verstorbene Papst Benedikt XVI. in einer Katechese über Paulus ausgedrückt hat. Paulus habe verstanden, dass „die Botschaft der Gnade, die dazu bestimmt ist, den Menschen mit Gott, mit sich selbst und mit den anderen zu versöhnen“, eine „universale Bedeutung hatte und alle betraf, weil Gott der Gott aller ist.“ (Generalaudienz vom 25. Oktober 2006)
So wird die Kirche nie zum Rückzug aus der Welt blasen; nur in ihrem Bezug zur Welt wird sie ihrer Sendung gerecht. Keine Weltflucht, aber auch keine Weltsucht! Wo sich nämlich Kirche allzu sehr der Welt anpasst, gar zum bloßen „Kulturfaktor“ (Rudolf Bultmann) mutiert, macht sie sich überflüssig. Kirche ist weder weltfremd noch weltvergessen! Unser Ziel muss sein, als Salz und Sauerteig in der Welt zu wirken, ihr das Licht der Welt Christus anzubieten. Damit ist die Bereitschaft, sich zu distanzieren, die Voraussetzung dafür, sich profiliert zu engagieren. „Klare Kante“ zeigen für die Kirche heißt: Die „Botschaft der Gnade“ ist ihr Profil. Das muss ins Zentrum ihres Zeugnisses. Die „Erfahrung der Transzendenz“ (Wolfgang Huber, ehem. EKD-Ratsvorsitzender), die für Paulus Auslöser und Motor für sein neues Leben war, ist ihr „Kerngeschäft“.
Mittlerweile ist es leider zu einer schlechten Angewohnheit geworden, bei Kirche nur an Krise und Kritik zu denken. Deswegen aber vor lauter „Kritiksucht“ auch gleich die „Glaubensflucht“? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Kritik ist wichtig, um auch als Kirche geistlich fruchtbar zu bleiben. Mir ist durchaus bewusst, dass gerade beim Themenfeld Missbrauch viel Vertrauen verspielt wurde. Die Schuld an den Opfern wiegt schwer. Aufklärung, Aufarbeitung und Vorbeugung wird dauerhaftes Pflichtprogramm kirchlichen Handelns sein. Ist es deswegen aber nicht zugleich auch möglich, nach passenden Wegen zu suchen und diese zu beschreiten, um den Menschen das Evangelium, die frohmachende Botschaft Gottes, glaubwürdig anzubieten?
In seinen Briefen entfaltet Paulus seine Lehre von der Kirche. Ein Lieblingsbild ist das vom Leib Christi (vgl. 1 Kor 12,12-31). Mit dieser Metapher ermahnt Paulus die zerstrittenen Mitglieder der Gemeinde in Korinth zu mehr Zusammenhalt, zur Einheit im Glauben. Wie nämlich der menschliche Leib verschiedene Glieder hat und nur funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten, so gibt es in der Gemeinde unterschiedliche Aufgaben und Charismen. Nur wenn diese zusammenwirken, bilden sie den Leib Christi. Die Rede vom Leib Christi will ich hier keineswegs absolut setzen, da uns die Bibel, nicht zuletzt Paulus selbst, viele weitere schöne Kirchenbilder präsentiert (Volk Gottes, Tempel des hl. Geistes, Braut Christi, Bauwerk, Schiff, Familie Gottes etc.). Der Leib Christi verweist aber auf einen Aspekt, der gerade im Blick auf strukturelle innerkirchliche Reformdebatten wichtig und wesentlich ist, nämlich das sakramentale Wesen der Kirche. In der gemeinsamen Feier der Eucharistie, in der Jesus Christus uns seinen Leib hingibt, werden die Gläubigen zu seinem Leib; als einzelne Glieder werden sie zu einer Gemeinschaft auferbaut. Es ist somit die „Begegnung mit dem Heiligen“, die heilt – Trost, Kraft, Hoffnung, Liebe wird uns von ihm her geschenkt.
Für mich scheint die damalige Situation der Gemeinde von Korinth wie ein Spiegel zu sein für die Realität der Kirche in Deutschland heute. Das Ringen um eine zukunftsträchtige Reform der Kirche bereitet mir, offen gestanden, große Sorge. Die Konflikte, die derzeit ausgetragen werden, gehen tief und der Umgangston dabei ist rau und roh geworden. Sollten wir in unserem Umgang miteinander da nicht vielmehr die Ermahnung des Propheten Zefánja aus der ersten Lesung ernst nehmen, nämlich den Herrn zu suchen, Gerechtigkeit und Demut (vgl. Zef 2,3)? Sollten nicht vielmehr die von Gott geschenkten Charismen der Gemeinde dienen und nicht Ursache von Spaltung werden, damit „alles geschehe, dass es aufbaut“, wie Paulus schreibt (vgl. 1 Kor 14,26)?
Voll Freude feiern wir „Ihre Auferbauung“. Liebe Leipheimer, der Abschluss der Sanierungsarbeiten der Kirche war möglich durch die finanzielle Unterstützung vieler Spenderinnen und Spender – ein ganz herzliches „Vergelts Gott!“ an dieser Stelle für ihre Hilfe. Für mich ist es ein deutlicher Hinweis darauf: Dieser Raum ist Ihnen wichtig. Eine Gemeinde braucht einen Identifikationspunkt, an dem sie zusammenkommt, um ihren Glauben miteinander zu bekennen und zu feiern. Von dieser Quelle aus gestärkt, werden wir eine missionarische Kirche. So folgt der äußeren Renovierung die geistliche Runderneuerung. Wie ich dem Pfarrbrief entnahm, tut sich in ihrer Pfarreiengemeinschaft in dieser Hinsicht sehr viel, gerade auch wieder nach Corona. Als Gläubige haben Sie die besondere Situation Ihrer Gemeinde im Blick. Beispielhaft spiele ich auf die deutsch-polnischen Initiativen an, die Übernahme der Trägerschaft für den neuen Kindergarten oder auch die ökumenischen Aktivitäten.
Als Pfarreiengemeinschaft haben sie im hl. Paulus einen kraftvollen Fürsprecher an der Seite. Meine Ermunterung an Sie: Nehmen Sie sich Ihren Patron neu zum Vorbild. Nehmen Sie Maß an ihm! Er soll Sie inspirieren, damit das Licht Christi, von dem Saulus erhellt wurde, hier in Leipheim durch Sie zum Leuchten kommt.