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Wichtiges
Impulsreferat von Bischof Bertram zum Treffen des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes in Augsburg

500 Jahre Confessio Augustana (1530-2030). Eine römisch-katholische Perspektive

02.12.2025

Sehr geehrte, liebe Mitglieder des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes, liebe Schwestern und Brüder, als römisch-katholischer Diözesanbischof von Augsburg heiße ich Sie herzlich willkommen in einer Stadt, die mit zentralen Momenten der katholisch-evangelischen Beziehungen unmittelbar verbunden ist, von der Übergabe der Confessio Augustana 1530 bis zur Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999. Nicht nur evangelische Christinnen und Christen dürfen sich auf den Weg zum großen Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses im Jahr 2030 freuen, einen Weg, der ökumenisch, geschwisterlich und ertragreich sein möge.

Ich werde im Folgenden in aller gebotenen Kürze die Confessio aus römisch-katholischer Perspektive kommentieren, um anschließend einige Überlegungen zu den Planungen des Jubiläums zu formulieren. Das Augsburger Bekenntnis ist für das Verhältnis zwischen den römisch-katholischen und den evangelischen Christinnen und Christen zentral - aus historischer Perspektive, aber vor allem angesichts der ökume­nischen Zukunft, die wir gemeinsam gestalten wollen.

 

A. Römisch-katholische Überlegungen zur Confessio Augustana

I. Die irenische Intention des Dokuments

Zu den Früchten der ökumenischen Annäherung unserer Kirchen zählt die Erkenntnis, dass die Reformatoren nicht für die Gründung einer neuen, sondern für die Katharsis und Erneuerung der bereits bestehen­den Kirche eintraten. Papst Franziskus seligen Angedenkens formulierte dies der Delegation des Lutherischen Weltbundes 2021 gegenüber so:

„Die Confessio Augustana stellte damals einen Versuch dar, die drohende Spaltung der westlichen Christenheit abzuwenden; ursprünglich als Dokument innerkatholischer Versöhnung gedacht, nahm sie erst später den Charakter eines lutherischen Bekenntnis­textes an.“[1]

Philipp Melanchthon wollte davon überzeugen, dass die evangelischen Anliegen mit der Heiligen Schrift, der authentischen Botschaft der Alten und sogar der römischen Kirche sowie dem Erbe der Kirchenväter vereinbar waren. Es sollten lediglich Positionen und Praktiken hinterfragt werden, die als Missstände verstanden wurden, als Entfernung vom Evangelium. In dieser Intention darf man Anliegen und Kriterien erken­nen, die für die heutige Ökumene nichts an Aktualität verloren haben. Treue zu den Ursprüngen oder: Back to the roots! Solch eine Anregung ist katholischen Gläubigen herzlich willkommen, auch wenn sie sich in der inhaltlichen Bestimmung des Christlichen von den evangelischen Geschwistern teilweise unterscheiden.

 

II. Zur theologischen Substanz des Dokuments

Versuche einer ökumenischen Lektüre der Confessio haben den oft unterschätzten Konsens in wichtigen theologischen Fragen zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Luthertum sowie das ökume­nische Potenzial, das sich daraus ergibt, hervorgehoben. Auch wenn man die Kontextualität der katholischen Kritik an das Augsburger Bekenntnis immer vor Augen haben muss, sind die inhaltlichen Anfragen an diesen Bekenntnistext, von der Confutatio pontificia und dem Konzil von Trient bis zur zeitgenössischen Theologie, nicht immer auf historisch bedingte Befindlichkeiten zurückzuführen. Zwar wollte die CA keine Gesamt­darstellung des christlichen Glaubens anbieten, dennoch vermisst man Inhalte, die zentral für das katholische Theologie-, Kirchen- und Einheitsverständnis sind, oder sie werden unterbelichtet. Erst 1537 wurde dem Bekenntnis die Schrift „Von der Gewalt des Papstes“ von Melanchthon hinzugefügt. Die Lehre vom Abendmahl und den Sakramenten sowie das Amtsverständnis der Confessio sind bis heute Anlass für kritische Anfragen der katholischen Theologie. Überdies kann sie bestimmte theologische Überzeugungen und gewachsene Frömmig­keitspraktiken nicht per se als Missstände betrachten, auch wenn das Augsburger Bekenntnis sie als solche nennt. Wie wird Abusus definiert und was versteht man unter verbindlichem Glaubensinhalt bzw. genuiner Frömmigkeitspraxis? Lassen Sie uns unterwegs zum Jubiläum weiterhin darüber diskutieren!

 

III. Hermeneutische Aspekte

1. Der Kontextualisierungsbedarf

Die Confessio Augustana trägt die geschichtlichen Spuren ihrer Zeit; sie richtet ihre zum Teil berechtigte Kritik an eine Kirche, die inzwischen mehrmals eine grundlegende Erneuerung erlebt hat. Die Konzilien von Trient und das II. Vatikanum seien nur als Beispiele genannt. Darüber hinaus trifft die Haltung der CA gegenüber den Täufern, deren 500. Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wird, keinesfalls mehr auf die heutigen Gemeinschaften zu, die sich selbst in Kontinuität zu den Anliegen des linken Flügels der Reformation verstehen. Sogar das Mönchtum wird in der evangelischen Welt wieder vorurteilsfreier betrachtet. Und nicht zuletzt: Glücklicherweise denken wir heute anders als die Confessio über die Todesstrafe, die Papst Franziskus vor Jahren völlig aus dem Katechismus hatte streichen lassen!

2. Zur Einordnung

Die Einschätzung der theologischen Tragweite des Augsburger Bekenntnisses ist von der Frage nach seiner Einordnung in das gesamte Corpus der evangelischen Bekenntnisschriften und der Werke der großen Reformatoren abhängig. Inwieweit soll man die irenische Intention der CA als hermeneutischen Schlüssel für die Wahrnehmung anderer und zum Teil späteren Haupttexte der Reformation wahrnehmen und inwieweit bestimmen andere, viel polemischere Schriften den herme­neutischen Rahmen des Augsburger Bekenntnisses? Die Schmalkal­dischen Artikel z. B. sind im Ton sehr scharf; sie vertreten Positionen, die den Graben zwischen evangelischer und katholischer Christenheit vertiefen. Sogar Philipp Melanchthon zieht in seiner Apologie der CA dogmatische Grenzen, die im Augsburger Bekenntnis so nicht sichtbar sind, was freilich in einem besonderen Maße noch mehr für Luther gilt.

 

B. Unterwegs zum CA-Jubiläum

Auf der Basis der vorherigen Überlegungen möchte ich nun einige Gedanken auf dem Weg zum Jubiläum mit Ihnen teilen, freilich auch in Vorfreude auf all das, was auf Weltebene gerade in Vorbereitung ist.

I. Christus als Zentrum unserer Einheit

In diesem Jahr feiert die weltweite Christenheit das 1700. Jubiläum des Konzils von Nizäa, das im Augsburger Bekenntnis ausdrücklich erwähnt wird. Die christologische Leistung der nizänischen Väter kann man nicht genug hervorheben. Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist sowohl Zentrum als auch Ziel der Ökumene; je mehr wir uns Christus annähern, desto tiefer wird unsere Gemeinschaft zueinander. Aber auch umgekehrt: Je mehr wir uns einander annähern, desto tiefer wird unsere Beziehung zu Jesus Christus. Die Entscheidung, 2017 als Christusfest zu gestalten, war m. E. richtungsweisend für alle weiteren Schritte im katholisch-luther­ischen Dialog. Die ersten Artikel der Confessio und vor allem die Nr. 3 haben ein großes ökumenisches Potenzial. Schauen wir zusammen auf die Zukunft, nämlich auf Christus hin!

II. Für eine rezeptive ökumenische Hermeneutik

Die ökumenische Horizonterweiterung der letzten Jahrzehnte hat zu einer intensiveren Wahrnehmung der Kontextualität unserer Theologien geführt. Gleichzeitig hat sie die Notwendigkeit der Entwicklung einer ökumenischen Hermeneutik gezeigt, eines Rahmens und einer Methode, damit wir zusammen unsere theologischen Texte und unsere Geschichte neu lesen. Ernten wir gemeinsam die Früchte unserer Dialoge und lassen wir die Schätze dieses Miteinanders ihr hermeneutisches Potenzial entfalten: Dank der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, dank des Textes Vom Konflikt zur Gemeinschaft, dank der offiziellen Dialogdokumente können wir die Confessio neu, anders und besser lesen. Arbeiten wir in dieser Richtung weiter!

III. Eine ökumenische Kultur des Zuhörens

1530 scheiterte der Versuch einer nachhaltigen kirchlichen und theolo­gischen Versöhnung in der abendländischen Christenheit. Hat es wohl an Geduld, Diplomatie, Kompromissbereitschaft gefehlt? Was können wir daraus lernen?

Papst Franziskus hat sich in den zwölf Jahren seines auch ökumenisch segensreichen Pontifikats immer wieder für eine Kultur des respekt­vollen, aufmerksamen Zuhörens ausgesprochen, deren ökumenische Relevanz evident ist. Es würde mich freuen, wenn uns der Weg zum Jubiläum der Confessio Augustana Möglichkeiten gibt, intensiver diese Kultur des Zuhörens zu praktizieren.

Das impliziert: Keine Stimme ist auszuschließen. Das Augsburger Bekenntnis war von Anfang an über den bilateralen Kontext unseres Dialogs hinaus relevant: Man denke an die Orthodoxie und die Bedeutung der Confessio Augustana Graeca für das Verhältnis zwischen Protestantismus und Ostkirche. Schließlich hoffe ich, dass beim Jubiläum die christliche Multilateralität, die konfessionelle Buntheit unserer Stadt Augsburg sichtbar und hörbar wird.

Die Stimmen, auf die wir besonders hören müssen, wären diejenigen der Jugend. In diese Richtung gehen auch Überlegungen innerhalb unseres Bistums.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

1530 hat man in Augsburg daran gearbeitet, „damit durch uns alle eine gemeinsame wahre Religion angenommen und gehalten wird und wir so, wie wir alle unter einem Christus stehen und streiten, auch alle in einer Gemeinschaft und Kirche in Einigkeit leben“, so der kursächsische Kanzler Brück in der Vorrede zum Augsburger Bekenntnis, in der er das Einladungsschreiben von Kaiser Karl V. anklingen ließ. In diesem sozu­sagen Alpha der Confessio steht das Omega, das Ziel, dem wir uns auch heute verpflichtet wissen. Arbeiten wir geschwisterlich daran, uns diesem Ziel anzunähern! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

[1] Ansprache von Papst Franziskus an die Delegation des Lutherischen Weltbunds, Freitag, 21. Juni 2021, https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2021/june/documents/20210625-federazione-luterana.html