Am Anfang stand ein Wunder
Was bleibt von einem Jubiläumsjahr, wenn der letzte Orgelton beim Festgottesdienst verklungen und das Geschirr vom anschließenden Stehempfang wieder sauber ist? Mehr als nur schöne Erinnerungen? In Nördlingen wird es in jedem Fall ein eindrucksvoller Wandteppich sein, der als Gemeinschaftskunstwerk anlässlich der 600-Jahrfeier der heutigen Pfarrkirche St. Salvator entstand und vor Vertretern aus Kirche und Politik sowie zahlreichen Mitgliedern der Pfarrei an diesem Christkönigssonntag im Pfarrzentrum enthüllt wurde.
Bereits während des Festgottesdienstes, zu dem Stadtpfarrer Benjamin Beck Bischof Bertram begrüßen durfte, standen die auf dem Teppich dargestellten Symbole Tür, Kreuz, Kelch und Hostie im Mittelpunkt. Mit deren Hilfe interpretierte der Bischof den Festgästen die Bedeutung des Wortes „Salvator“, der Heiland als Patron dieser Kirche. Denn allein in der Person Jesu, der sich selbst als Tür bezeichnete, stünde den Menschen der Zugang zum ewigen Leben offen. „Er ist die Tür zum Vater, der uns in sein Reich des Friedens und der Liebe einlädt.“ Der Bischof wünsche sich Realpräsenz nicht nur in den Gestalten von Brot und Wein, sondern auch im Zusammenkommen, dem Miteinander von Frauen, Männern und Kindern dieser Pfarrei. „Bleiben und werden Sie kreativ.“
Auch wenn Christus immer wieder auch als Weltenrichter dargestellt werde – wie auf dem verwitterten Tympanon über dem Hauptportal der Kirche -, ist sich Bischof Bertram sicher: „Jesus will uns nicht die Himmelstür vor der Nase zuschlagen, im Gegenteil, immer wieder lädt er uns ein.“ Durch seinen Kreuzestod wollte er die Menschheit retten. „Pastoral ist Rettungsdienst.“ Auch wenn die Frage bleibe, warum der Gottessohn all das ertragen musste, er hätte doch einfach vom Kreuz herabsteigen und sich die Schmerzen ersparen könne. Der russische Schriftsteller Dostojewski lieferte mit seinem Roman „Die Brüder Karamasow“ eine beeindruckende Antwort darauf: Jesus stieg nicht herab, weil er einen freien Glauben wünschte, keinen Wunderglauben. „Gott zwingt sich nicht auf, sondern lässt uns den freien Willen, an ihn zu glauben oder nicht.“
Viele Menschen, die leiden müssten, schöpften aus der Gewissheit, dass Gott uns nicht verlasse und unser Leid mittrage, Kraft und Trost, so der Bischof. Daher rief er die Festgemeinde auf: „Danken wir Gott darum dafür, dass er nicht vom Kreuz herabgestiegen ist, um die Menschen von seiner Göttlichkeit zu überzeugen, sondern aus Demut bis zum Schluss für uns gelitten hat und genau deshalb von seinem Vater zum König über die ganze Welt gekrönt wurde. Christuskönig ist stark in der Hingabe.“
Ohne das dritte und vierte Symbol des Wandteppichs, ohne Kelch und Hostie, ist die 600-Jahrfeier an diesem Tag nicht denkbar. War ein Hostienwunder im Jahr 1381 doch letztlich der Anlass zur Erbauung dieser Kirche. Auch wenn es sich für unsere heutigen Ohren um eine ungewohnte Geschichte handle, liege eine tiefe Botschaft darin, bezog sich der Bischof auf das Wunder von damals, als eine unversehrte Hostie aus einem abgebrannten Haus geborgen werden konnte: „Da ist zum einen ein Priester, der das tut, wozu er geweiht wurde: den Menschen die heiligen Sakramente zu spenden und sie auf ihrem Lebensweg zu stärken, selbst wenn die Welt um ihn herum zusammenbricht.“ Trotz aller Herausforderungen und Erschütterungen unserer Zeit, lebe die Kirche durch alle Zeiten aus den Sakramenten und ganz zentral aus ihrer Verbindung mit dem Ursakrament Jesus Christus, betonte er. Die Erzählung vom Hostienwunder zeige zudem, dass Jesus sich immer von den Menschen finden lasse, die ihn von ganzem Herzen suchen. Keine Flamme der Welt könne dies verhindern.
Musikalisch gestaltet wurde der Festgottesdienst von einem Projektchor der beiden Nördlinger Pfarreien St. Salvator und St. Josef. Begleitet von Orgel und Bläsern sangen sie die Missa Jubilate Deo von Hermann Angstenberger sowie zum Einzug die eigens von Kirchenmusiker Klaus Ortler komponierte Motette, die den Wahlspruch von Bischof Bertram „vox Verbi – vas gratiae“ zum Thema hat.
Beim anschließenden Stehempfang im Pfarrzentrum ließen Vertreter aus der Pfarrei das Festjahr noch einmal Revue passieren und zogen eine positive Bilanz. Nach den Grußworten aus Ökumene und Politiker, die das gute Miteinander betonten und die gesellschaftliche Bedeutung von Kirche in den Mittelpunkt stellten, wurde der etwa drei auf drei Meter große Wandteppich aus mehr als 100 Einzelteilen ausgerollt. Gestaltet wurde dieser von Gruppierungen aus der Pfarrei ebenso von Verbänden, Kindergärten und Schulen. Damit er die Erinnerung an das reiche kirchliche Leben rund um die Pfarrkirche St. Salvator im Laufe der Geschichte bis heute auch künftig wachhalte, hatte Bischof Bertram bereits zum Schluss seiner Predigt einen Tipp: „Schauen Sie immer wieder auf Ihren Wandteppich!“
Jubiläumsjahr
Den feierlichen Auftakt des Jubiläumsjahres bildete am 21. November 2021 ein Festgottesdienst mit Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger. Eine Dauerausstellung zur wechselvollen Geschichte der Salvatorkirche rahmte das abwechslungsreiche Jubiläumsprogramm aus Gottesdiensten, Konzerten, Theater, Führungen für Groß und Klein, einem verregneten Stadtmauerumgang sowie Vortragsabenden und einem Online-Quiz. Ein weiterer Höhepunkt des Festjahres war der Auftritt der beiden Nördlinger Kirchenchöre von St. Salvator und St. Josef unter der Leitung von Kirchenmusiker Klaus Ortler im Rahmen der Konzertreihe „Cantate Domino“ im Hohen Dom zu Augsburg.
Zur Entstehungsgeschichte
St. Salvator wurde am südwestlichen Rand der Innenstadt errichtet. Anlass für den Bau war ein „Hostienwunder“ im Jahr 1381. Nach einem Deckeneinsturz im Hause eines Sterbenskranken blieb eine geweihte Hostie unauffindbar. Die Trümmer wurden verbrannt und aus der Asche soll die vermisste Hostie unversehrt wieder aufgefunden worden sein. An der Stelle, an der sich dieses Wunder ereignete, errichtete man eine Kapelle zu Ehren „Corporis Christi“.
Somit verdankt die Salvatorkirche ihre Entstehung der tiefen Eucharistieverehrung und Wundergläubigkeit des Spätmittelalters. Gebetserhörungen und Wunderheilungen steigerten den Andrang von Wallfahrern, so dass die Kapelle schnell zu klein wurde. Der Rat der Stadt beschloss, an der Gnadenstätte eine Wallfahrtskirche mit Kloster zu bauen. Zur Betreuung der Wallfahrt wurde der Bettelorden der Karmeliter ausgewählt. Am 19. November 1422, also vor 600 Jahren, wird die Klosterkirche zu Ehren des Weltheilandes Jesus Christus geweiht.
Die folgenden Jahrhunderte hätten turbulenter nicht sein können: Von einer blühenden Wallfahrt bis hin zur Auflösung des Klosters in Folge der Reformation wurde die Klosterkirche, die in der Zwischenzeit in den Besitz der Stadt übergegangen war, zum Pulver- und Heumagazin sowie als Lazarett zweckentfremdet. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts bildete sich wieder eine katholische Gemeinde – jedoch zunächst ohne eigenen Gottesdienstraum. Seit 1825 dient nun die grundlegend sanierte Salvatorkirche als katholische Pfarrkirche. Im Zeitraum von 2000 bis 2012 wurde die Kirche letztmals generalsaniert. Drei der zu erneuernden neun Chorfenster wurden für eine künstlerische Gestaltung bei Professor Johannes Schreiter in Auftrag gegeben.