Müssen wir im kirchlichen Dienst Helden sein?
Seit es Geschichten gibt, gibt es auch das Heldenepos. Der Blick ins aktuelle Kinoprogramm und der Erfolg so mancher Comicfigur beweisen, dass diese Begeisterung bis heute besteht. Jede Zeit bringt eigene Helden hervor. Wenn ich Euch, liebe Jugendliche, nach Euren Lieblingshelden frage, kenne ich Sie vielleicht nicht. In meiner Jugend gab es z.B. Robin Hood oder Old Shatterhand.
Müssen wir im kirchlichen Dienst Helden sein? Müssen Tobias Wolf und Benedikt Huber Helden sein? Nein, sie müssen es nicht. Der kürzlich ernannte Erzbischof von Wien, Josef Grünwidl, bringt es in einem Interview auf den Punkt: „Gott ruft mich nicht perfekt, aber verfügbar.“ Gott erwartet, dass wir verfügbar sind, aber wir brauchen keine Helden sein. Wo wir noch nicht vollkommen sind, da hilft Gottes Gnade nach.
Wir alle wünschen uns manchmal Superkräfte, um mit bestimmten Situationen fertig zu werden. Oder wir erleben Momente, in denen wir hoffen, dass uns jemand zu Hilfe eilt, uns quasi „rettet“. Es gibt im Menschen dieses Bedürfnis nach Schutz, Beistand und Rettung. Im religiösen Kontext sprechen wir von Erlösung. Die Hoffnung auf so einen Retter war im Volk Israel über viele Jahrhunderte wach: die Erwartung eines Messias, der von Gott geschickt wird und der dem Unrecht ein Ende bereitet. Die Lesungen des Advents, in den wir in wenigen Tagen wieder eintreten, erzählen davon.
Auch in der heutigen Lesung aus dem 2. Buch Samuel begegnen wir dem Volk des Alten Bundes, das auf einen Herrscher hofft, der segensreich regieren wird. Das Volk sieht in David den von Gott legitimierten König und bringt ihm sein ganzes Vertrauen entgegen. König David aber wird sich im späteren Verlauf nicht mit Ruhm bekleckern; wie so viele andere Könige vor ihm unterliegt er seiner Machtgier. Und dennoch bleibt die Sehnsucht nach einem Herrscher aus dem Geschlecht David, der wie ein guter Hirt für sein Volk eintritt, in Israel lebendig.
Dass Herrscherfiguren mit Vorsicht zu genießen sind, daran erinnert uns auch das heutige Fest. Warum fällt das Christkönigsfest mit dem Jugendsonntag zusammen? Der Christkönigssonntag wurde 1925 – also vor 100 Jahren – eingeführt; es war aber die katholische Jugend, die es sich nur wenige Jahre später zu eigen machte. Die Verehrung Christi als König war der entschiedene Gegenentwurf zum aufkommenden Führerkult der Nationalsozialisten. Das Fest weist falsche Führer und selbst ernannte Helden in die Schranken. Es bringt zum Ausdruck, von wem allein der Mensch im Letzten Rettung und Erlösung erwarten kann.
Ist Jesus also eine Heldenfigur? Es gibt Parallelen, die uns das bejahen lassen. Ein Held steht nicht selten im Kampf gegen das Böse und für das Gute. Ganz ähnlich hat es der Kolosserbrief zum Ausdruck gebracht: Durch den Sohn hat uns der Vater der Macht der Finsternis entrissen (vgl. Kol 1,13.14). Macht der Finsternis: nicht eher Kinostoff, ein Motiv aus Fantasyromanen? Leider steht der einzelne Mensch wie auch die gesamte Menschheit in Berührung mit Phänomenen, die der Macht der Finsternis zuzuschreiben sind. Sie verdunkeln unsere Existenz und lassen es in uns finster werden:
Schuld ist eine Form dieser Finsternis. Für Menschen kann sie schwer auf Herz und Schulter lasten. Sünde zieht früher oder später immer runter: mich und andere. Lüge zerstört Vertrauen, egoistisches Verhalten verhindert Gemeinschaft. Wer einen Mangel an guter Beziehung erfährt, der spürt Kälte und Dunkel in sich, fühlt sich innerlich wie gelähmt. Einsamkeit betrifft heute Menschen jeden Alters; vor allem bei der jüngeren Generation hat dieses Phänomen zugenommen, gepaart mit Zukunftsangst und der unbeantworteten Suche nach Halt und Orientierung. Niederdrückende Schuld, Verzweiflung, Überforderung und Verlorenheit – wo diese Erfahrungen sich als Grundstimmung des Lebens durchsetzen, da sitzt der Mensch im Dunkel fest.
Liebe Jugendliche, liebe Schwestern und Brüder, Gott möchte ein anderes Leben für uns! Der Vater schickt seinen Sohn, um die Menschheit aus der Finsternis ins Licht zu holen. Der Mensch ist nicht verloren, ist nicht für das Dunkel oder die Isolation bestimmt. Die Grundbotschaft des Christentums lautet: Du hast ein ewiges Zuhause bei Gott. Er nimmt dich an, er heißt uns willkommen wie ein Vater. Von ihm geht jetzt schon so viel Licht, Wärme und Trost aus, damit du sicher ans Ziel kommst. Du wirst immer wieder herausfinden aus den dunklen Tälern, die auf deinem Weg liegen. Wenn Paulus schreibt, dass wir aus der Finsternis entrissen sind, dann hat das Hand und Fuß; es beruht auf der Erfahrung derer, die Jesus nachgefolgt sind. Darauf vertrauen wir. Bei Gott gibt es für jede Schuld Vergebung! Wo Beziehungen zerbrochen sind, ermöglicht er einen Neuanfang. Und wenn ein Mensch weiß, dass er auf ein himmlisches Ziel hin ausgerichtet ist, dann wird er von dort her für sein Leben Halt und Orientierung finden.
Jesus befreit uns von der Macht der Finsternis. Doch das geht anders vor sich als in den meisten Abenteuerfilmen, bei denen Helden im Einsatz sind. Vielleicht entspricht Jesus so gar nicht der Idee, die du von einem Helden hast? Womöglich hat jeder von uns eigene Vorstellungen darüber, wie Gott handeln soll? Auch die Messiasverheißung Israels wurde und wird bis heute mit ganz unterschiedlichen Erwartungen verbunden. Zu Lebzeiten Jesu war daran zum Beispiel die kriegerische Befreiung von den Römern geknüpft. Davon waren die Jünger Jesu durchaus beeinflusst; wir sehen es deutlich am Verhalten des Apostels Judas: nicht nur Geldgier trieb ihn zum Verrat, er wollte es regelrecht herausfordern, dass Jesus endlich seine ganze Macht aufbietet gegenüber den politischen und religiösen Führern seiner Zeit. Doch Jesus handelt anders als erwartet. Er greift nicht zur Waffe.
Die Evangelien schildern uns, wie er selbstbewusst und mutig immer da auf Konfrontation geht, wo das rechte Bild von Gott auf dem Spiel steht. Sein Auftreten ist nicht kraftlos, es ist voller Autorität. Aber er nutzt seine göttliche Kraft nicht, um sich selbst in Szene zu setzen. Er nutzt sie nur im Dienst für die anderen. Oft tritt er unscheinbar auf, er kommt mit der Zärtlichkeit und Verletzbarkeit eines Kindes in das Leben der Menschen und führt sie behutsam und geduldig wie ein guter Hirte. Diese Haltung Jesu gipfelt in seiner Lebenshingabe am Kreuz. Das Kreuz aber war ein Schandmal, das mit allen Vorstellungen eines messianischen Helden bricht. Die dabei stehen, sparen nicht mit Spott und Hohn. Manche sagen, der Kreuzestod war die Konsequenz, dass er sich mit den Mächtigen seiner Zeit angelegt hat. Doch er trägt dort mehr als einfach nur die Folge seines Handelns; er trägt die ganze Erfahrung menschlicher Dunkelheit, Schuld und Gottverlassenheit. Er geht durch das finstere Tal des Todes hindurch, um jeden, der nach seiner Hand greift, mit hinaufzunehmen in ein Leben voller Licht und Fülle.
Der Kreuzestod Jesu ist 2000 Jahre her und noch immer sind wir von Krieg umgeben und tragen Dunkelheit in uns. Jesu Rettung kommt zwar von oben, aber sie ereignet sich nicht im Sturzflug. Die Erlösung kommt nicht per Fingerschnippen. Sein Weg, um uns aus der Finsternis ins Licht zu holen, geschieht über Beziehung. In der Szene, die uns das heutige Evangelium vor Augen führt, gibt es nur eine einzige Person, die nicht über Jesus spottet. Es ist einer der Schächer, ein Schwerverbrecher, definitiv schuldig; er gibt es selbst zu. Dieser Mann sieht in Jesus nicht einen gescheiterten Helden, sondern er erkennt, dass Jesus derjenige ist, der ihm Zugang zum Himmel verschaffen kann. Das lässt ihn die Bitte an Jesus richten: „Jesus, denk an mich!“ (Lk 23,42). Mit diesen einfachen Worten stellt er Beziehung her zwischen seinem Leben und Jesus. Es ist ein Akt des Vertrauens. Damit setzt der Verbrecher, am Kreuz fixiert, den vielleicht wichtigsten Schritt seines Lebens: es ist der Schritt von der Dunkelheit ins Licht. Und es folgt das einzige Wort, das Jesus in dieser ganzen Szene spricht. Spott und Hohn hat er nicht erwidert, aber auf die Bitte des Verbrechers antwortet Jesus: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43) Was für eine Zusage!
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Jugendliche, dieser Zuspruch Jesu gilt auch uns heute! Jesus verweigert niemals eine ehrlich gemeinte Beziehungsanfrage. Vielleicht denken wir manchmal, Jesus nachzufolgen, das braucht Superkräfte. Wer sich heute für Gott und seine Kirche entscheidet, muss tatsächlich Mut und Überzeugungskraft aufbringen. Wenn wir uns wie der Schächer dafür entscheiden, Jesus ins Licht zu folgen, dann werden wir von Gott selber dazu befähigt (vgl. Kol 1,12)! Um das zu unterstreichen, möchte ich am Ende meiner Predigt das Wort Super-Kraft anders interpretieren als wir es aus vielen Filmen kennen.
Der lateinische Ursprung des Wortes „super“ hilft uns dabei. Frei übersetzt können wir sagen: Super-Kräfte sind Kräfte, die über etwas hinausgehen und es sind Kräfte von oben. Die Kraft im Glauben kommt von Gott. Und mit Gott an unserer Seite können wir über uns hinauswachsen. Wo wir natürlicherweise eigentlich verzweifeln müssten oder auf Gewalt nur noch mit Gegenwalt reagieren wollten, da hilft Gott uns anders zu handeln. Leuchtende Beispiele in der Geschichte haben es uns vorgelebt, darunter viele, die wir als Heilige verehren. Selbst vom Schächer am Kreuz können wir lernen, dass es sich lohnt, wenn wir uns mit unseren Schwächen, Ängsten und Grenzen Gott anvertrauen. Von Gott kommt die Fähigkeit, umgeben von Krieg, Frieden zu stiften; er lässt Menschen schwerste Krisen durchstehen und Schicksalsschläge überwinden; er lässt den Glauben an das Gute und den Einsatz für das Leben immer wieder neu aufflammen. Das ist die Super-Kraft des Reiches Gottes. Bitten wir Gott, dass er auch uns diese Kraft gebe, damit wir immer mehr lernen, als Kinder des Lichts an seiner Hand durchs Leben zu gehen.