Reisegruppe besucht Projekte im Baltikum
Nächstes Jahr im Mai findet die bundesweite Eröffnung der Renovabis-Pfingstaktion im Bistum Augsburg statt. Um sich aus nächster Nähe über die Situation und vielschichtige Projektarbeit des Hilfswerks in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zu informieren, hat sich eine zehnköpfige Reisegruppe aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden des Bistums Augsburg sowie Renovabis auf den Weg nach Litauen und Lettland gemacht. Bei Besuchen in karitativen Einrichtungen, bei Kirchenvertretern und politischen Akteuren hörten die Gäste von Sorgen, Nöten und einer schwelenden Angst vor kriegerischer Bedrohung im ehemals kommunistischen Land.
„Uns war es wichtig, dass wir zu dieser Zeit des russischen Angriffskriegs in diese Weltgegend fahren, um ein authentisches Bild der hier lebenden Menschen zu erhalten und zu erfahren, was hier gedacht wird. Diese Reise ist ein Zeichen der Solidarität mit den baltischen Staaten“, so Dr. Markus Ingenlath, zweiter Geschäftsführer von Renovabis zum Ziel der Bildungsfahrt. Wie diese Verbundenheit aussieht und in konkreten Projekten Gesicht erhält, davon konnten sich die Vertreter des Bistums in karitativen Projekten der Caritas und Malteser sowohl in der lettischen Hauptstadt Riga, als auch in den litauischen Städten Siauliai, Vilnius und Kaunas überzeugen. Darüber hinaus vermittelten Besuche bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga, im Sozialministerium sowie bei der Deutschen Botschaft in Litauen ein facettenreiches Bild der politisch-gesellschaftlichen Lage der beiden Länder. Vor allem die Kirche und kirchlichen Einrichtungen seien tragende Bausteine in der Arbeit mit sozialen Problemen und Missständen, war aus allen Gesprächen als gemeinsame Botschaft zu hören.
Auf die Arbeit von „Freiwilligen“ greifen auch die Malteser in Riga zurück – ein Verband, der erst vor vier Jahren gegründet wurde und mittlerweile vor allem im Engagement mit Geflüchteten aus der Ukraine wertvolle Arbeit leistet. „Wir haben Seniorentreffen, Sprachkurse und Kreativ-Workshops für die Geflohenen eingerichtet“, betonte Inese Motte, Generalsekretärin der Malteser in Lettland. „Einige Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten mittlerweile selbst als Ehrenamtliche bei den Maltesern mit. „Es ist schön zu sehen, dass sie nicht nur Hilfe empfangen, sondern auch weitergeben. Durch die Arbeit als Freiwillige fühlen sie sich gebraucht und freuen sich, anderen helfen zu können.“
Wie in Lettland kümmert sich auch in Litauen vor allem die Kirche mit ihren sozialen Einrichtungen um Menschen in Notlagen. „Im Kommunismus der ehemaligen Sowjetrepublik war die Leistung von sozialen Diensten an die Dienstgeber der Arbeitnehmer geknüpft. Durch die Privatisierung fielen die Sozialsysteme zusammen. Die Caritas hat diese Lücke gefüllt“, gab Diakon und Vorstandsvorsitzender, Arūnas Kučikas, Einblicke in die Ursprünge des kirchlich-sozialen Agierens in den baltischen Staaten und wies zugleich auf aktuell drängende Herausforderungen und Vorsorgemaßnahmen in Blick auf die weltpolitische Lage hin. „Wir bereiten uns gerade mit Notfallplänen auf mögliche russische Angriffe vor. Dies ist nicht einfach, weil viele Menschen noch die Erfahrungen der Geschichte im Kopf haben“, gab Kučikas zu Bedenken.
Wie wichtig es sei, nicht vom Baltikum zu sprechen, sondern die baltischen Staaten in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen, wurde der Reisegruppe nicht nur durch ein Gespräch in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga bewusst, sondern auch mit Blick auf die kirchlichen Strukturen der beiden Länder. Während die Katholiken in Lettland mit 20 Prozent eine Minderheit darstellen, ist Litauen ein traditionell mehrheitlich katholisches Land. Welche Auswirkungen dies für die pastorale Arbeit hat, wurde den Gästen aus Deutschland bei Begegnungen mit Bischöfen der beiden Länder vor Augen gestellt.
„Unser Ziel ist es, die Rolle der Kirche in einer nicht religiös geprägten Gesellschaft zu stärken. Wir wollen das Evangelium und die christlichen Werte zu den Menschen bringen“, stellte der Erzbischof von Riga, Dr. Zbignevs Stankevičs, die Schwierigkeiten katholisch-kirchlichen Agierens in der Diaspora-Situation Lettlands vor. Möglichkeiten hierfür bietet das Religionswissenschaftliche Institut RARZI, ein gefördertes Projekt von Renovabis und gleichzeitig Ort der Gesprächsrunde mit den Vertreter/-innen aus Deutschland. „Es hat gute Früchte gebracht, dass wir Pfarreien aktiv besuchen, um junge Menschen für das Studium und die pastorale Arbeit im Anschluss zu begeistern“, so der Erzbischof weiter. Angeschlossen an die Standards der Lateran-Universität bietet die universitäre Einrichtung eine Reihe von akademischen Programmen in den verschiedenen Bereichen der Religionswissenschaften an.
Die Besonderheit der geographischen und politischen Lage Litauens wurden den Gästen aus Augsburg spätestens am „Berg der Kreuze“ in Šiauliai hautnah vor Augen geführt. Der ursprünglich auf Legenden beruhende Wallfahrtsort wurde seit dem 19. Jahrhundert zunehmend zum Symbol des nationalen Widerstands gegen die kommunistische Herrschaft der Sowjets, wie Pater Severin (OFM) vom angeschlossenen Franziskanerkloster zu berichten wusste. Eine schmale Treppe aus Holzbohlen führt den kleinen Hügel bergan. Links und rechts säumen unzählbar große und kleine Kreuze den Weg, Rosenkränze und Engel hängen an Bäumen und Pfeilern. „Der Berg wurde zum Realsymbol für den Glauben und die Freiheit Litauens“, so der weit über 80-jährige Franziskanerpater zur besonderen Bedeutung des Ortes.
Ein eindrucksvolles Zeugnis tiefer Gläubigkeit konnte die Gruppe bei einem Treffen mit Erzpriester Yuri Roi der Belarussisch Orthodoxen Gemeinde im Litauischen Exarchat von Konstantinopel als Schlussakkord mit auf die Heimreise nehmen. Zu Beginn des Ukraine-Krieges hatte er sich öffentlich gegen das politische System seiner Heimat gestellt und war mit seiner Familie nach Litauen geflohen. Zusammen mit acht Priestern bietet er nun in einer kleinen Hauskapelle ein offenes Glaubensleben an. „Die Erfahrung der Emigration war sehr schwierig, aber ich schätze meine neue Freiheit und bin glücklich“, sprach der vierfache Familienvater Yuri Roi Worte, die nicht nur Anton Stegmair, Leiter der Abteilung Weltkirche im Bistum Augsburg, in Erinnerung bleiben dürften. „Höhepunkt der Reise war für mich die Begegnung mit dem orthodoxen Priester aus Belarus, der aus dem Glauben heraus mit seiner Familie seine Heimat verlassen hat, um eine Gemeinde für offene, orthodoxe Gläubige in Litauen aufzubauen. Die Erzählung von Abraham wurde für ihn ganz real“, betonte Stegmair und blickte dankbar auf die Erlebnisse im Baltikum zurück. „Auf der Reise nach Lettland und Litauen konnte ich wieder erfahren, wie Solidarität zwischen den kirchlichen Partnern wirkt. Es geht nicht nur um Finanzen, sondern überhaupt um das ‚Gesehen‘ und ‚Mitgetragen zu werden‘.“
Renovabis-Pfingstaktion
Die Pfingstaktion ist die jährliche Kampagnenzeit von Renovabis. Sie beginnt rund zwei Wochen vor Pfingsten und endet mit einem feierlichen Gottesdienst am Pfingstsonntag. Mit einem Schwerpunktthema wird die Arbeit des 1993 von der Deutschen Bischofskonferenz gegründeten Hilfswerks jährlich neu vorgestellt. Bei der Pfingstaktion 2026 liegt der Fokus auf dem Thema „zusammen_wachsen. damit Europa menschlich bleibt“.
Säulen der Arbeit von Renovabis
Als Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa unterstützt Renovabis kirchlich-pastorale Projekte, soziale Aufgaben, Bildungsprojekte und weitere Projekte in 29 Ländern. Seit Gründung 1993 hat das Hilfswerk bei der Verwirklichung von fast 30.000 Projekten geholfen.