Dem „Fürsten der Musik“ zu Ehren
Liebe Schwestern und Brüder, die Geschichte der Kirchenmusik kennt viele große Namen, doch gibt es nur einen, auf dessen Grabstein im Petersdom dereinst die Worte geschrieben wurden: „Musicae princeps“ – „Fürst der Musik“. Welch eine Ehrenbezeugung gegenüber einem Komponisten, dessen 500jährigen Geburtstag wir heute gedenken. Passend dazu wollen wir 500 Minuten lang Musik, überwiegend aus der Feder jenes berühmten Mannes hören, dessen Namen allein schon wohlklingend ist: Giovanni Pierluigi da Palestrina.
Den Anfang hat gerade AUXantiqua gemacht, ein professionelles Ensemble, bestehend aus sechs Sängern und drei Instrumentalisten, unter der Leitung unseres Domkapellmeisters Stefan Steinemann. Es folgen weitere Gruppen und Chöre, die ich gerne benennen und denen ich schon jetzt danken möchte: Da ist natürlich unsere Augsburger Dommusik mit den Domsingknaben, von denen wir den Karl-Kraft-Chor unter der Leitung von Julian Müller-Henneberg hören werden, ebenso den von Stefan Steinemann geführten Kammerchor sowie ein Männerensemble, und nicht zuletzt unseren Domchor. Außerdem dürfen wir uns über die Teilnahme des Vokalensembles Quintenzirkel freuen, bestehend aus vier ehemaligen Domsingknaben, wie auch über den Gesang des Chores Vox Augustana unter der Leitung von Christian Meister, der selbst viele Jahre lang Solist bei den Augsburger Domsingknaben war und heute begleitet wird von Cordula Ostertag, einer Sängerin aus dem Kollegium der Dommusik, die zudem mehrere Instrumente spielt. Last but not least das Frauenvokalsextett Luminosa mit Julia Lautenbacher, der Assistentin des Domkapellmeisters, sowie das Instrumentalensemble Duo Saitenwind und weitere Solisten, darunter Jacopo Sabina mit Laute, Michael Eberth mit einem Clavicytherium und Stefan Steinemann an der Orgel.
Allein diese Aufzählung macht deutlich, welch klangliche Vielfalt uns heute Nachmittag und Abend geschenkt wird. Mehr als acht Stunden geistliche Musik dürfen wir hören, wobei es zwischen den einzelnen „Klangfenstern“ immer wieder kurze Impulse zu den jeweiligen Werken geben wird. Am Ende können wir vielleicht besser verstehen, warum die Menschen vor 500 Jahren so ehrfürchtig vom „Musicae princeps“ – „Fürst der Musik“ sprachen.
Als Bischof von Augsburg unterstütze ich diese „Palestrina-Nacht“ als spezielle Form der Würdigung gerne, heiße Sie herzlich in unserem Dom willkommen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie jene zeitlos schönen Melodien genießen können, und zugleich im Glauben an Gott bestärkt werden, dem zu Ehren der „große Meister“ Palestrina die Mehrzahl seiner Werke komponiert hat.
Geistlicher Impuls
„Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus” – „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden.“
Wohl kaum eine Botschaft könnte schöner und passender für unsere Zeit sein, als diese Worte aus dem Engelsgesang, von denen der Evangelist Lukas uns berichtet (vgl. Lk 2,14). Wie sehr wünschten wir uns alle, dass endlich Frieden herrscht zwischen den Völkern. Mittlerweile sind es schon 135 Tage, in denen Papst Leo XIV. im Amt ist, welcher den Frieden zum zentralen Thema seines Pontifikats gemacht hat. Dieser Friede aber, das ist von jeher christliche Überzeugung, kann nur dann Realität werden, wenn wir auch den ersten Teil des „Gloria“ nicht vergessen, den wir soeben in der wunderschönen Vertonung aus der Missa brevis von Giovanni Palestrina gehört haben. Dabei geht es darum, Gott allein die Ehre zu geben, von dem aller Friede ausgeht. ER ist es, welcher Menschen zusammenführt und ihrem Leben nicht nur einen höheren Sinn, sondern auch innere Erfüllung und Ruhe verleiht. Das wiederum ist die Basis für Frieden, im Großen wie im Kleinen. In gewisser Weise wird dies auch deutlich, wenn wir auf das Leben und Wirken des heutigen Jubilars blicken:
Giovanni Pierluigi da Palestrina, wird geboren im Jahr 1525 in Palestrina, dem ehemaligen Praeneste, einem Ort, etwa 40 km östlich von Rom. Über seine Kindheit ist uns nichts bekannt, doch gibt es Hinweise, dass er in S. Agapita, der Kathedrale seiner Heimatgemeinde, – alle Domsingknaben aufgepasst! - als Chorknabe[1] (!) tätig war und hier die ersten künstlerischen Schritte tat. Offensichtlich war er so begabt, dass er alsbald nach Rom geschickt wurde, um auf die bestmögliche Weise kirchenmusikalisch unterrichtet zu werden. Konkret wurde er in die Sängerkapelle bei Santa Maria Maggiore aufgenommen, vermutlich, weil die Kirche dem Bischof von Palestrina, Kardinal Andrea della Valle unterstand. Es begann eine Zeit voller Freude am Singen und wir dürfen davon ausgehen, dass der junge Palestrina auch damals schon vielfach „Gloria in excelsis Deo“ gesungen hat.
Doch wie das so ist, kam auch für ihn irgendwann der Stimmbruch. Singen war nicht mehr möglich, also kehrte er nach Palestrina zurück und spielte die Orgel. Lassen Sie mich an der Stelle sagen, wie sehr es mich freut, dass auch viele unserer Domsingknaben im Haus St. Ambrosius, hier in der Domkurve, neben der Gesangsausbildung das Angebot des Instrumentalunterrichts annehmen und verschiedene Instrumente erlernen. Gerade im Sommer klingt es oft deutlich hörbar aus den offenen Fenstern herüber bis zum Bischofshaus. Orgel, Klavier, Geige, Trompete, Flöten…– Palestrina, da bin ich mir sicher, hätte seine wahre Freude daran gehabt. Er selbst wurde schließlich älter und heiratete mit Anfang Zwanzig. Drei Kinder entsprangen der Ehe und man könnte meinen, die Geschichte sei hier zu Ende. Das aber war nur der Vorspann.
Denn Giovanni Palestrina war einfach viel zu begabt und scheint sich als Kirchenmusiker seiner Heimatgemeinde so sehr bewährt zu haben, dass sein Heimatbischof, Kardinal Giovanni Maria del Monte, sich später an ihn erinnerte, als er zum Papst gewählt wurde, und ihn unter dem Namen Julius III. als Kapellmeister an die Capella Giulia bei St. Peter berief. Damit begann im Jahr 1551 die Amtszeit Palestrinas in Rom, der überaus motiviert und fleißig war. Schon nach drei Jahren gab er sein erstes Buch mit Messen (missarum liber primus) sowie ein vierstimmiges Madrigalbuch heraus. Der Papst war offenbar begeistert und beförderte ihn - ohne das übliche Aufnahmeverfahren! - 1555 zum „päpstlichen Kapellsänger“, die aus katholischer Sicht die höchste Auszeichnung für einen Kirchenmusiker war, die man erlangen konnte. Leider aber starb Papst Julius III. kurz danach. Ihm folgte Marcellus II., der jedoch ebenfalls bereits nach drei Wochen verschied. Trotz dieser sehr kurzen Zeit des Pontifikats blieb dessen Name in der Geschichte dennoch unvergessen, denn Palestrina widmete ihm seine wahrscheinlich berühmteste aller Messen, die Missa Papae Marcelli, welche bis heute kirchenmusikalisch als Meisterwerk angesehen wird.
Dann aber kam es zu einem Wendepunkt in Palestrinas Leben, denn der folgende Papst, Paul IV., entließ ihn unerwartet, weil er verheiratet war. Der Heilige Vater vertrat damals die Ansicht, dies sei „nicht mit den Bestimmungen der päpstlichen Kapelle in Einklang“[2] zu bringen. Enttäuscht musste sich der hochbegabte Komponist eine neue Stelle suchen, fand diese aber relativ schnell, als Kapellmeister an der nahegelegenen Lateran-Basilika. Sechs Jahre lang komponierte er dort viele Werke, obgleich die finanziellen Mittel für die Kirchenmusik an dieser Stelle deutlich geringer waren, was den überaus ambitionierten Maestro natürlich ärgerte. Es mag deshalb vielleicht kein Zufall sein, dass er in dieser Zeit, neben weiteren Messen und Madrigalen, auch Lamentationes, also Klagelieder schrieb.
1561 ging er dann nach Santa Maria Maggiore, jener Kirche, in welcher er bereits als junger Chorknabe gesungen hatte. Einer der Gründe dafür war sicher die deutlich bessere finanzielle Ausstattung für ihn selbst wie auch für seine Musiker. Es folgten zehn Jahre fruchtbares Schaffen als Kapellmeister und Komponist großer Werke wie der Motecta festorum totius anni, einem liturgischen Jahreszyklus von Motetten, sowie das zweite Buch seiner Messen.
An dieser Stelle gilt es etwas einzuschieben: Denn es geschah etwas in dieser Zeit, das nicht nur für das Leben und Schaffen von Palestrina, sondern für die gesamte Kirchengeschichte von großer Bedeutung sein sollte. Als Reaktion auf die Reformation in Europa hatte bereits Papst Paul III. Jahre zuvor ein Konzil einberufen, das in Trient stattfinden und von 1546-1563 andauern sollte. Bei dieser kirchlichen Zusammenkunft gab es viele Themen zu besprechen, darunter auch die zukünftige Ausrichtung der Kirchenmusik. Einige der Teilnehmer kritisierten unter anderem, dass der mehrstimmige Gesang im Rahmen der Liturgie völlig unverständlich und viel zu verkünstelt sei. Man könne die gesungene Botschaft gar nicht mehr verstehen. Liturgische Chormusik, so ihre Forderung, müsse schlicht und würdig sein. Ich will mir als Bischof nun nicht erlauben, in diesem Zusammenhang den Stil Palestrinas, vor allem in seinen Entwicklungen zu beurteilen, doch wird dem großen „Meister kirchlicher Tonkunst“[3], wie er später genannt wurde, von vielen Seiten attestiert, dass er sowohl den bisherigen polyphonen Stil als auch den gewünschten Reformstil bestens beherrschte. Seine Art des Komponierens, der sog. „Palestrina-Stil“, zeichnet sich durch eine derart fein abgestimmte Synthese und Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Klangvorstellungen aus, dass ihm viele seiner Kollegen damals und später größte Hochachtung zollten, darunter Franz Liszt, Johannes Brahms oder Anton Bruckner. Bis heute bewundern unzählige Hörerinnen und Hörer, wie es Palestrina geschafft hat, Textverständlichkeit und harmonischen Wohlklang in wunderbarer Weise zu verbinden. Ein oft genanntes Beispiel ist dabei die bereits erwähnte Missa Papae Marcelli, die der Legende nach den Konzilsteilnehmern so gut gefiel, dass dadurch die polyphone Kirchenmusik und Mehrstimmigkeit im Gottesdienst „gerettet“ wurde. Was auch immer am Ende den Ausschlag für die kirchenmusikalischen Entscheidungen beim Konzil von Trient gab, Palestrinas Musik fand allenthalben große Anerkennung. Er schrieb noch weitere drei Bücher mit Messen und hinterließ uns am Ende einen vielfältigen Schatz an ausgefeilten Kompositionen.
Wie sehr die persönlichen Lebenserfahrungen bisweilen dann aber auf das musikalische Schaffen ausstrahlen, zeigen die Jahre 1572-1580. Die teils plötzlichen Todesfälle in der Familie, darunter seiner Frau, Söhne und Enkel, ließen den Künstler in eine tiefe Traurigkeit verfallen. In diese eher dunkle Lebensphase fällt die Komposition seines zweiten Motetten-Buches mit Trauerliedern sowie seiner Karwochen-Gesänge. Das zeigt, dass es nicht immer leicht ist, „Gloria in excelsis Deo“ zu singen, wenn einem das Herze schwer ist. Der christliche Glaube aber vermag uns gerade in diesen schwierigen Momenten Kraft zu geben, insofern Gott uns in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt hat, dass er besonders jene Menschen im Blick hat, die körperlich und seelisch leiden. Gott sei Dank, können wir darum sagen, fand auch Palestrina, der die meisten seiner Stücke zur Ehre des Herrn schrieb, eines Tages wieder neuen Lebensmut. Er heiratete ein zweites Mal und komponierte weiter, nun wieder vermehrt fröhliche Werke wie Hymnen und Offertorien. 1594 starb er schließlich nach schwerer Krankheit.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Sie sich, wie ich im Vorfeld dieser Gedenkveranstaltung einmal genauer mit dem Leben und Wirken Giovanni Pierluigi da Palestrinas beschäftigen, können Sie viel lesen über den „Retter der Kirchenmusik“[4], der neben Orlando di Lasso und William Byrd als bedeutendster Komponist des späten 16. Jahrhunderts gilt. Für mich persönlich aber ist am spannendsten der Mensch, der hinter dem gefeierten Musiker steckt, da ich zutiefst davon überzeugt bin, dass solche, von vielen als „himmlisch“ bezeichneten Kompositionen, nur jemand schreiben kann, der selbst tief in der Seele berührt ist. Ich kann zwar nicht mit Sicherheit sagen, ob es der Glaube an den dreieinigen Gott war, der Palestrina die Kraft gab, solche Werke hervorzubringen, doch bin ich in jedem Fall der Ansicht, dass die christliche Botschaft hier auf eine so wunderbare Weise musikalisch verkündet wird, dass sie uns auch heute noch, 500 Jahre später, dabei helfen kann, dem Geheimnis Gottes näher zu kommen. So freue ich mich, wenn das „Gloria in excelsis Deo“ des eingangs zitierten „Fürsten der Musik“ nun in ein hoffentlich noch lange anhaltendes „Jubilate Deo“ mündet. Gott zur Ehre und den Menschen zur Freude!
[1] Vgl. Fellner, Karl Gustav: Palestrina, Regensburg 1930, 16.
[2] Fellner, Karl Gustav: Palestrina, Regensburg 1930, 21.
[3] Fellner, Karl Gustav: Palestrina, Regensburg 1930, 11.
[4] Fellner, Karl Gustav: Palestrina, Regensburg 1930, 11.