Der Geist des Friedens
Unter all den geheimnisvollen Zeichen, die das Kommen des Heiligen Geistes an Pfingsten symbolisieren, ist für mich eines am faszinierendsten. Es ist das Wunder der Einheit der Sprachen. „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ heißt es in der Bibel.
Völker und Menschen aus allen Erdteilen verstehen sich plötzlich und können miteinander reden. Die babylonische Sprachverwirrung, das Missverstehen ist global überwunden. „Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.“ So berichtet die Apostelgeschichte.
Ist das nicht das zentralste und aktuellste Thema der Pfingstbotschaft dieses Jahres 2024. Friede, Verständigung der Völker, bei all den täglichen Zerstörungen, Menschenrechts-verletzungen, der Deportation und Vertreibung und des Verlustes der Heimat? Da steht heute die Frage nach Heilung, nach Friede und nach Verständigung der Völker im Mittelpunkt. Wie kann künftig Krieg, Vertreibung und Flüchtlingselend weltweit verhindert, wie kann Friede in Zukunft gesichert werden, das ist die Frage, welche die Politik und uns alle bewegt! Das Wunder der Einheit der Sprachen.
Ich lade Sie gerne ein, sich von diesem pfingstlichen Geist des Friedens inspirieren zu lassen und nenne zwei Blickwinkel, zwei Forderungen: 1) Friede ruht auf dem Geist der Gerechtigkeit und 2) Friede fordert den Geist der Wachsamkeit.
1. Der Friede ruht auf dem Geist der Gerechtigkeit
„Opus iustitiae pax“ auf deutsch „Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ - so lautet das berühmte Leitwort Papst Pius´ XII. Er war der Papst, der als Zeuge und Betroffener das Leid des II. Weltkrieges sah. Gerechte Strukturen als Voraussetzung für den Frieden, das ist seine Erkenntnis.
In allen Bereichen ist das so! Ist eine Schulklasse, ein Betrieb, eine Gruppe denkbar, in der Friede herrschen soll, wenn gleichzeitig einzelne tyrannisiert, gemobbt oder ständig zurückgesetzt und ungerecht behandelt werden? Niemals! Wo Menschen Gerechtigkeit vorenthalten wird, rührt sich der Hass, wird es stetig brodeln. Das beginnt im Kindergarten, das setzt sich fort in der Schule und in der Jugendgruppe und es endet bei Fragen der hohen Politik, bei den Grundlagen der internationalen Kooperation, bei der Entwicklungspolitik und bei der Kriegsverhinderung.
„Opus iustitiae pax“ – das ist das Prinzip jeder vernünftigen und soliden Friedensordnung, es der geistige Grund der Menschenrechte!
Da nenne ich zwei höchst aktuelle historische Markierungen. Ich spreche einmal vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das vor genau 75 Jahren entstand, und gleichzeitig von der berühmten UNO-Charta, der „Allgemeinen Menschenrechtserklärung für alle Menschen und Völker dieser Erde,“ unmittelbar nach dem II. Weltkrieg am 10. Dezember des Jahres 1948 ebenfalls vor 75 Jahren verabschiedet. Solch wunderschöne Sätze finden sich darin: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren und sie bleiben es... Niemand darf wegen seiner Rasse oder Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Weltanschauung oder politischen Überzeugung diskriminiert werden. Und – genau wie in unserer Verfassung - die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Vielleicht mag es uns heute mit einem gewissen Erschrecken erfüllen, wenn schon 20 Jahre später - im Jahre 1968 - der renommierte Jurist und Verfassungsrechtler Wolfgang Heidelmeyer schreibt: „Die allgemeine Menschenrechts-erklärung kam zustande unter dem Eindruck der Inhumanität und der Menschenrechtsverletzungen des Naziregimes und des Dritten Reiches. Müssten wir sie heute noch einmal erkämpfen, wir würden sie wohl nicht mehr bekommen.“
Es geht bei der Friedensfrage zutiefst um Menschenrecht und Menschenwürde, und es geht um unser christlich-abendländisches Menschenbild, auf das uns das Evangelium verpflichtet. Denn Krieg, Vertreibung und Unterdrückung zerstört alles, die Würde von Menschen und die Lebensmöglichkeiten von Gesellschaften. Darum dürfen wir uns als Christen und als Bürger auch in globaler Dimension der Verantwortung für den Frieden niemals entziehen.
2. Der Friede fordert den Geist der Wachsamkeit
Wir erleben gerade eine wahrhaft historische Zeitmarke. Vor über 90 Jahren fand in Berlin auf dem Opernplatz vor der Humboldt-Universität die berüchtigte Bücherverbrennung der Nazis statt. Jedem ist klar: Hier sollte nicht Papier, hier sollte Geist verbrannt werden.
Ich erinnere hier und heute an den so sympathischen Jugendschriftsteller Erich Kästner. So populäre Bücher wie „Emil und die Detektive“ „Pünktchen und Anton“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ stammen aus seiner Feder. Nur wenige wissen, dass auch seine Bücher im Jahr 1933 bei der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten vor der Berliner Humboldt-Universität unter dem Jubel der gröhlenden Nazijugend ins Feuer geworfen wurden. Er war persönlich auf dem Opernplatz anwesend und gesteht, dass er zwar die Faust in der Hosentasche geballt, aber nicht den Mut zum Protest hatte.
Später, als Erich Kästner im Jahr 1958 den begehrten Büchner-Preis für Literatur bekam, wählte er sich als Thema seiner Festrede: „Über das Verbrennen von Büchern.“ Es ist ein einziger Appell zur geistigen und politischen Wachsamkeit!
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen – schreibt Kästner. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“
Hier wird klar: Wachsamkeit des Geistes, das ist ein bleibender zentraler Ansatzpunkt zur Verhinderung von Katastrophen in der Politik, und so schließt Kästner:
„Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders, nicht des Heroismus.“
Am Schluss dieses pfingstlichen Gedankens zum Geist des Frieden zurück zum Anfang und - sozusagen für den geistigen Notizblock - ein inspirierendes Wort zum Nachdenken. Es stammt von dem Theologen Wilhem Stählin, der uns vor der Unruhe und der Störung warnt, die der Heiligen Geist ins Leben bringt, wenn er kommt:
„Wir sollten nicht allzu selbstverständlich darum bitten, dass der Heilige Geist bei uns einkehren möge, weil der Heilige Geist da, wo er einkehrt und Wohnung nimmt nicht nur seine „Gaben“ mitbringt, sondern zugleich ein in hohem Maß unbequemer, ja störender Gast ist ....
Der gleiche heilige Geist, den wir mit Recht inbrünstig erbitten, ist zugleich die unheimliche Störung aller persönlichen und erst recht aller kirchlichen Selbstsicherheit; er ist der Angriff Gottes auf unsere Unlebendigkeit und Selbstgenügsamkeit; er hat keinen Respekt vor aller verfestigten Institution, vor äußerer Ordnung, wenn sie zum Selbstzweck geworden ist ...
Die beiden Elemente, die in der Pfingstgeschichte als die Begleit-erscheinungen und Symbole des Heiligen Geistes erscheinen, Sturmwind und Feuer, sind die unheimlichsten unter allen Elementen, und sie lassen nichts, was sie ergreifen, an seinem Ort und in seinem Zustand ...
Wer an den heiligen Geist als die schöpferische Aktivität Gottes glaubt und in diesem Glauben um das Kommen dieses Geistes bittet, der muss wissen, dass er damit die göttliche Störung herbeiruft und sich dafür offenhält, dass Gott ihn stört in seinem „Besitz“, in seinen Gewohnheiten, auch seinen Denkgewohnheiten, wenn sie nicht mehr dafür taugen, ein Gefäß der heilsamen Unruhe und der aufregenden Wahrheit zu sein. Wer also bittet, „Komm, Heiliger Geist“ muss auch bereit sein zu bitten, „Komm und störe mich, wo ich gestört werden muss!“