"Der Kreuzweg Jesu geht weiter" - Aber warum?
„Grausame, unmenschliche, unerklärliche Verfolgungen, vor allem gegen Christen“ nennt Papst Franziskus das Vorgehen von islamistischen Terroristen und Fanatikern im Nahen Osten gegen Minderheiten: Die Christen „sind die Märtyrer von heute, gedemütigt und diskriminiert um ihrer Treue zum Evangelium willen“. Prälat Dr. Bertram Meier zitierte diese aufrüttelnden Worte von Papst Franziskus in seiner Ansprache auf der Fachtagung des Diözesanrates über verfolgte Christen am 22. September in Augsburg.
Dazu war Oliver Maksan nach Augsburg gekommen, Chefredakteur der katholischen Zeitung „Die Tagespost“. Auch er begann mit einem Zitat von Papst Franziskus, der die Christenverfolgung von heute mit der der Antike verglichen hatte. Maksan, der vier Jahre Korrespondent in Jerusalem gewesen war, ergänzte: Auch in den 70 bis 80 Jahren der kommunistischen Herrschaft sowie unter dem Nationalsozialismus habe es im großen Stil Christenverfolgungen gegeben. Auch heute seien es die verbliebenen kommunistischen Diktaturen oder Nachfolgestaaten, in denen Christen Bedrängnis, Diskriminierung und Verfolgung erführen, ebenso wie in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.
Der Referent wies auch darauf hin, dass Christen keineswegs die einzigen verfolgten Religionsmitglieder seien, gerade in islamischen Ländern treffe es auch Muslime. Auch kirchlicherseits gebe es keinen Anlass zur Selbstgerechtigkeit. So habe erst die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „Dignitatis humanae“ die Religionsfreiheit zum Bestandteil der katholischen Lehre gemacht. Zuvor hätten Angehörige anderer Religionen lediglich Toleranz und Duldung erfahren. Einzig der Wahrheit der katholischen Religion gebührte auch das umfängliche Recht, diese zu leben, zu lehren und zu verbreiten. Der Irrtum hatte keine Rechte. Der Einzelne war aus katholischer Sicht verpflichtet, in die Kirche einzutreten, sofern er es vermochte. Wenn auch dieser Verpflichtung kein staatliches Gesetz entsprach, so stand doch die Religionsfreiheit der menschlichen Person nicht im Zentrum der kirchlichen Auffassung. Als Recht gestand die Kirche erst 1965 diese dem Einzelnen zu.
Die Kultusfreiheit, also die Möglichkeit, seinen Glauben im gemeinschaftlichen Gottesdienst zu praktizieren, ist durchaus auch heute in Ländern gegeben, die nicht Religionsfreiheit im vollen Sinne gewähren. Denn diese umschließt auch die Freiheit, „seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden“. So steht es im Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder UN-Menschenrechtscharta von 1948, wo die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zum Menschenrecht erklärt wird.
Auch angesichts solcher Differenzierungen ist die Definitionsfrage nicht einfach zu beantworten. So ist bspw. die Verfolgung durch Fanatiker oder Dschihadisten meist keine staatliche Angelegenheit, oft fällt sie mehr unter Terrorismus. Umgekehrt sind auch Einschränkungen, wie z.B. in der Berufswahl oder im beruflichen Aufstieg bei Religionsangehörigen zu beachten oder Fälle von Beschädigung oder Enteignung kirchlicher Güter. Laut Maksan differenziert hier das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ besser als „Open Doors“, das evangelikal geprägt ist und jährlich einen „Weltverfolgungsindex“ erstellt, der auch schon wegen zahlenmäßiger Übertreibungen und Vergröberungen kritisiert wurde.
Ebenso wie Oliver Maksan trat auch der zweite Referent des Abends, Dr. Marwan Abou-Taam, dem weit verbreiteten Eindruck entgegen, dass die Verfolgung von Christen in der islamischen Welt einfach eine Folge bestimmter Passagen des Korans sei. Der Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte wies aber auch die umgekehrte Behauptung ab, dies alles habe nichts mit dem Islam zu tun.
Zunächst wies Maksan darauf hin, dass im islamischen Kulturkreis ein Konvertit grundsätzlich als jemand gelte, der Hochverrat an seiner Religion begehe, den gesellschaftlichen und letztlich auch staatlichen Zusammenhalt gefährde. Auch unter orientalischen Christen sei Konversion, egal in welche Richtung, verpönt. Diese würden einen Konvertiten schlichtweg verstoßen, was seinen sozialen Tod bedeute. Dadurch seien Konvertiten zusammen mit Missionaren und Atheisten die gefährdetste Gruppe in islamischen Ländern. Wer ein Kind christlicher Eltern ist, die zu einer der seit Jahrhunderten im Orient beheimateten Kirchen gehören, genießt gemäß der islamischen Orthodoxie zumindest Kultusfreiheit, erklärte Abou-Taam. In den islamischen Ländern, die von säkularen Regimen beherrscht wurden oder noch werden, wie z.B. von der Baath-Partei (Irak, Syrien) habe es für Christen sogar berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bis hin zu hohen Ämtern gegeben.
So sind es einzelne Faktoren, die zu Situationen und Aktionen der Verfolgung beitragen: Konflikte wie z.B. Verteilungskämpfe, Bürgerkriege oder Revolutionen. Maksan erwähnte auch Gesetze gegen Gotteslästerung oder Blasphemie, die z.B. in Pakistan eine Verspottung oder Verächtlichmachung Allahs, des Korans oder seines Propheten verbieten würden. De facto handle es sich jedoch um „Gummiparagrafen“, die sich Fanatiker zu Nutze machten, andere gegen Christen aufzuhetzen. Ein solcher Mob wähne sich dann im Sinne des Gesetzes, während Sicherheitskräfte und Gerichte sich aus Angst oder Parteilichkeit zurückhielten. Der bekannteste Fall ist der von Asia Bibi: Ein Gouverneur und ein Minister wurden in Pakistan ermordet, weil sie sich nicht eindeutig gegen sie stellten (sondern das Blasphemiegesetz kritisierten), der der Vorwurf gemacht wurde, sie habe gesagt, nicht Mohammed, sondern Jesus sei der Prophet Gottes.
Auch der Hindunationalismus verfolgt gleichermaßen Muslime wie Christen, ohne aus der eigenen Religion motiviert zu sein. Diesen indischen Extremisten und ihren Anhängern geht es nach Maksan um eine Re-Hinduisierung ihrer Nation. Oder Kolumbien: Priester werden von Banden ermordet, nicht weil sie Christen sind, sondern weil sie sich ihrem Treiben entgegenstellen.
Hat der Westen, der sich Freiheit und Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat und die Menschenrechte ohne den sog. Scharia-Vorbehalt der islamischen Staaten (gelten nur, sofern sie nicht der Scharia widersprechen) akzeptiert, eine weiße Weste im Fall der Christenverfolgung? Abou-Taam, selbst libanesischer Schiit, wies darauf hin, dass die radikalsten islamischen Kräfte zugleich Partner des Westens sind, nämlich die Golfstaaten. So nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel Saudiarabien den „wichtigsten Partner deutscher Politik in Nahost“.
Nach Abou-Taam ist die Entstehung der arabischen Nationalstaaten als Nachfolger des Osmanischen Reiches auch unabhängig von Saudiarabien eine letztlich problematische Angelegenheit, gerade für die Christen, die im Osmanischen Reich als Dhimmis existieren konnten, d.h. gegen die Zahlung einer Schutzsteuer, der Dschizya, geduldet waren und Kultusfreiheit genossen. Denn Religion blieb der Kitt der Gesellschaften und nur ein geringer Teil fiel unter den ethnischen Begriff der Araber. Also blieb die gemeinsame Religion ein Faktor des nationalen Zusammenhalts, eine Quelle der Gesetzgebung und ein Problem für jede Minderheit, sei sie nun innerislamischer (Schiiten), alawitischer, jesidischer oder christlicher Natur.
Gerade die Austreibung und Auswanderung von Christen ist jedoch für Abou-Taam ein Problem auch für die islamische Welt: „Die Christen sind die letzte Chance der Modernisierung des Nahen Ostens. Es läuft auf eine Implosion der arabischen Welt hinaus, wenn sie verschwinden.“ Vorläufig setzt der Islamwissenschaftlicher auf die gegenwärtige Auffrischung der islamischen Theologie durch Denker, die im Westen beheimatet sind, z.B. Mouhanad Khorchide, den er gewissermaßen im Gefolge Luthers sieht. Gleichwohl müssten, so Abou-Taam, die Konflikte in der Nahost-Region beigelegt werden, wobei die Christen aufgrund ihres Versöhnungspotentials eine große Rolle spielen könnten. Auch Oliver Maksan nannte die Schwäche der arabischen Welt und die Politisierung des Islams, aber auch den dominanten Westen als hinderlich für eine Lösung der letztlich für die orientalischen Christen prekären Situation. Den Christen bei uns empfahl er im Gebet, auch für die Verfolger, nicht nachzulassen, sich über die Situation der Verfolgten Brüder im Nahen Osten zu informieren (Kirche in Not) und über Spenden materielle Hilfe zu leisten.
Michael Widmann
Geistliche Einstimmung von Bischofsvikar Domdekan Prälat Dr. Bertram Meier: