"Die Kirche kann der Politik vorausgehen"
Im engen Austausch vereint: Das war der Geist, in dem sich die Mitglieder der Kontaktgruppe der Deutschen und der Polnischen Bischofskonferenz jetzt in Augsburg getroffen haben. Geleitet wird die Gruppe von Bischof Dr. Bertram Meier, dem Vorsitzenden der Kommission Weltkirche der DBK, und Erzbischof Stanisław Budzik aus Lublin. Beide hoben am Ende der Tagung in einem Exklusivinterview hervor, wie sehr Christen Brückenbauer sein können – und damit der Politik auch Wege weisen.
Erzbischof Stanisław, vor fast 60 Jahren, im Jahr 1965, haben die polnischen Bischöfe in einem berühmt gewordenen Brief an die deutschen Bischöfe, wie sie schrieben, „vergeben und um Vergebung gebeten“ – ein Meilenstein der Versöhnung nur 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Seitdem ist viel geschehen. Wie beurteilen Sie das deutsch-polnische Verhältnis heute?
Erzbischof Stanisław: Ich glaube, das Verhältnis ist gut. Der Brief von 1965 ist ein Fundament, das war ein neuer Anfang. Die Politik ist damals viel später gekommen, die Kirche hat ein gutes Beispiel gegeben und den Weg bereitet. Wir können der Politik vorausgehen. Wir sind in einer Kirche, wir sind Christen, wir müssen immer den Weg der Versöhnung suchen, und diesen Weg gehen wir gemeinsam.
Bischof Bertram: Das, was ich als Vorsitzender der Kommission Weltkirche in der Deutschen Bischofskonferenz im globalen Sinn erlebe, das sehen wir hier im Verhältnis zwischen der polnischen und der deutschen katholischen Kirche wie in einem Brennglas zugespitzt. Meine Mutter kommt ja aus Niederschlesien, ich glaube, dass ich die Mentalität ganz gut verstehen kann – und in unserer deutsch-polnischen Kontaktgruppe sehen wir gemeinsam, dass wir Brückenbauer sein können, dass wir da, wo Politiker vielleicht noch streiten, eine Kultur der Barmherzigkeit und der Versöhnung aufbauen können.
Worüber haben Sie auf Ihrer Tagung in Augsburg gesprochen?
Bischof Bertram: Wir haben gesprochen über die Kirche in ihrer Synodalität. Papst Franziskus gebaucht ja die Worte „Kirche“ und „Synodalität“ synonym. Wir haben festgestellt, dass die Probleme in Deutschland und die Fragestellungen in Polen durchaus ähnlich sind, wenn auch die Methoden, damit umzugehen, auch unterschiedlich sind. Höhepunkte für mich waren natürlich die Feiern der Gottesdienste, aber auch das miteinander Reden, Diskutieren, Lachen - wir haben auch Freude aneinander gehabt.
Erzbischof Stanisław: Besonders wichtig war für mich auch das Thema Ukraine. Lublin liegt an der Grenze zur Ukraine, wir haben sehr viele Flüchtlinge. Ich habe im Frühjahr einen Besuch in Lemberg und Kiew abgestattet, um unsere Solidarität zu zeigen – und habe später festgestellt, dass Bischof Bertram fast zur gleichen Zeit die gleiche Reise unternommen hat. Das bedeutet, dass wir gemeinsam fühlen, darauf aufmerksam machen zu müssen, wie wichtig es ist, den Ukrainern zu helfen. Das hat mich sehr gefreut.
Sie beide sind neu als Tandem in der Leitung der deutsch-polnischen Kontaktgruppe – wie erleben Sie sich gegenseitig?
Erzbischof Stanisław: Ich hatte von Bischof Bertram bereits viel gehört, er hat eine große Erfahrung in der Kirche, war lange in Rom, spricht fließend italienisch – ich bin sehr begeistert von seiner großen Freundlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft. Ich freue mich, dass wir zusammenarbeiten.
Bischof Bertram: Wir haben festgestellt, dass wir beide im Studium die gleichen Rektoren hatten. Was ich an Erzbischof Stanislaw besonders schätze, ist seine hervorragende Kenntnis der deutschen Sprache, aber auch seine große Empathie für das, was in der Kirche in Deutschland vor sich geht. Wir beide versuchen, uns empathisch in den anderen Menschen hineinzufühlen. Als ich am Ulrichsschrein in der Krypta der Basilika St. Ulrich und Afra unseren Gästen das Leitwort des Ulrichsjubiläums „Mit dem Ohr des Herzens“ nahebrachte, hat Erzbischof Stanislaw das tags darauf in seiner Predigt gleich aufgegriffen. Das Tandem funktioniert, weil die Chemie stimmt - und das ist das Wichtigste.
Hintergrund
Die Deutsch-Polnische Kontaktgruppe wurde in den 1990er Jahren – nach dem Ende des Kommunismus in Europa – gegründet, um den Austausch zwischen den Bischofskonferenzen beider Länder zu intensivieren und zur Versöhnung zwischen den Völkern beizutragen. Nachdem die Kontaktgruppe in der Anfangszeit nicht zuletzt mit der Klärung strittiger Fragen im kirchlichen Bereich befasst war, entwickelte sie sich seit Mitte der 2000er Jahre immer mehr zu einem Gremium, das gemeinsame Aktivitäten der beiden Bischofskonferenzen anstößt sowie den Austausch zu Anliegen und Aufgaben der Kirche in Polen und Deutschland für eine gute Zukunft der Weltkirche und der europäischen sowie der internationalen Gemeinschaft pflegt.