Die „Kultur der Achtsamkeit“ ist Kernstück kirchlicher Präventionsarbeit
Augsburg (pba). In den vergangenen Jahren sind mehr als 3.500 pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese Augsburg und der Pfarreien geschult worden, um Fällen sexualisierter Gewalt vorzubeugen. Ziel ist es dabei, eine Kultur der Achtsamkeit zu fördern. Sie setzt weit im Vorfeld an, damit es gar nicht erst zu Missbrauchsfällen kommen kann. Wie dieses Schutzkonzept der Diözese Augsburg aussieht, haben gestern rund fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren, die im Bischöflichen Ordinariat in leitenden Funktionen oder auch im Personalbereich tätig sind. „Es geht darum, das eigene Verhalten zu reflektieren und eine Sensibilität für Nähe und Distanz zu entwickeln“, beschrieb Dr. Anton Schuster – der Pastoralreferent leitet im Generalvikariat die Fortbildungsabteilung – vor den Teilnehmern im Haus Sankt Ulrich die Kultur der Achtsamkeit. Bei der Präventionsarbeit gehe es nicht um blinden Aktionismus, sondern um ein Schutzkonzept, das bis in die Pfarreien hinein umgesetzt werden müsse.
Eine von acht Multiplikatoren, die dieses Präventionskonzept in das Bistum tragen, ist Martina Lutz. Die Mitarbeiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung sowie des Schulwerks der Diözese Augsburg hat gestern während der Fortbildung erklärt, was hinter dem diözesanen Schutzkonzept steht: „Auf die kleinen Grenzen achten und dadurch vor den großen Grenzüberschreitungen schützen!“ Umfragen hätten gezeigt, dass jeder Zweite schon einmal am Arbeitsplatz Fälle sexueller Belästigung erlebt habe; auch Männer seien davon betroffen, sagte Frau Lutz unter Bezug auf einen Beitrag des ZDF.
Sie berichtete zudem, dass sich Opfer, die sich wehrten, in der heutigen Arbeitswelt auch selbst schaden. „Sie riskieren zum Beispiel eine Versetzung. Oder sie werden gemeinsam mit den Tätern entsorgt“. Umso wichtiger sei es, betonte sie ein weiteres Mal, schon auf die kleinen Grenzüberschreitungen im Umgang miteinander zu achten. Sei es die zu herzliche Umarmung, seien es spitze Bemerkungen über die Kleidung: Im Sinne des gegenseitigen Respekts und einer gemeinsamen Grundhaltung zu Nähe und Distanz seien das bereits sehr frühe Grenzen, die am Arbeitsplatz im Sinne der Kultur der Achtsamkeit thematisiert werden müssten. Sexuelle Gewalt stelle zudem immer eine massive Grenzverletzung dar, und zwar nicht erst durch Taten, sondern auch durch Worte und Gesten. Noch einmal betonte Martina Lutz dabei, wie wichtig es sei, hier klare Grenzen zu setzen. „Rassistische und sexistische Sprüche sind tabu!“
Frau Lutz appellierte auch an die Vorbildaktion leitender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Opfer sexueller Gewalt tun sich schwer, offen zu erzählen. Sie sprechen verschlüsselt.“ Vorgesetzte müssten deshalb eine Sensibilität dafür entwickeln, auch solche Botschaften zu verstehen. Missbrauchsopfer würden von den Tätern oft zum Schweigen und zur Geheimhaltung gezwungen, in ihnen herrsche ein Chaos von Gefühlen und Scham. „Opfer suchen sich zu schützen um den Preis, dass sie sich sehr klein machen.“ Deshalb gelte es, bei Bekanntwerden von Fällen sexualisierter Gewalt auch mit Blick auf die Opfer Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln. Vorgesetzte müssten als Vorbilder eine Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen schaffen. Der Arbeitsplatz müsse für Opfer ein sicherer Ort sein. Umso wichtiger sei es, bei einem Verdachtsfall Sicherheit herzustellen und das Vorgefallene auch schriftlich zu dokumentieren. „Auf gar keinen Fall darf mit dem Täter oder der Täterin gesprochen werden“, richtete sich Frau Lutz abschließend an die Teilnehmer. Es sei wichtig, den Generalvikar oder die diözesane Missbrauchsbeauftragte zu informieren.
Institutionalisiertes Schutzkonzept soll Missbrauchsfälle vermeiden helfen
Das Bistum hat in den vergangenen Jahren nicht nur mehrere tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult, um sexualisierte Gewalt an Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen vorzubeugen. Bischof Dr. Konrad Zdarsa hat auch eine umfassende diözesane Präventionsordnung erlassen. „Es muss darum gehen, alles zu unternehmen, was dazu beitragen kann, dass möglichst niemand Opfer sexualisierter Gewalt wird“, erklärte Bernhard Scholz vor den Teilnehmern der Fortbildung. Der Pastoralreferent leitet die diözesane Koordinationsstelle zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Dies müsse sich etwa auf eine entsprechende Sorgfalt bei der Auswahl des Personals auswirken. Wenn von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein erweitertes Führungszeugnis verlangt werde, habe dies eine Signalwirkung; deshalb müsse es auch alle fünf Jahre erneuert werden, betonte der Präventionsbeauftragte. Außerdem sei arbeitsvertraglich festgehalten, den Dienstgeber im Falle von einschlägigen Ermittlungen zu informieren.
Als „Kernstück der Prävention“ nannte Bernhard Scholz jedoch die Verpflichtung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dem Generalvikar oder der Missbrauchsbeauftragten Fälle sexualisierter Gewalt mitzuteilen. Wichtig seien im Rahmen des Präventionskonzepts auch die verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen sowie entsprechende Beratungsangebote. Zusammenfassend sprach Scholz vom Gedanken eines institutionalisierten Schutzkonzeptes. Seine Umsetzung sei eine dauernde und durchgängige Aufgabe. „Es geht dabei nicht um einmalige Aktionen und auch nicht um Großtaten, sondern um eine grundsätzliche Verpflichtung und um Maßnahmen, die immer und immer wieder im Blick sein müssen.“ Er verglich dieses Schutzkonzept mit einem Haus. Sein Fundament bestehe aus Wertschätzung und Respekt, das schützende Dach bilde die Kultur der Achtsamkeit.
Weitere Informationen zur Präventionsarbeit gibt es auf den Internetseiten der Koordinationsstelle.