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Wichtiges

Domprediger Meier hielt die Predigt

29.06.2011

Augsburg (pba). Vor 60 Jahren, am 29. Juni 1951, ist Joseph Ratzinger zum Priester geweiht worden. Joseph Ratzinger, geboren am 16. April 1927, ist seit dem 19. April 2005 Papst Benedikt XVI. und damit das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Am 29. Juni 1951 empfing er zusammen mit seinem Bruder Georg Ratzinger im Freisinger Dom das Sakrament der Priesterweihe durch den damaligen Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber. Seine Primiz feierte der heutige Papst in der Stadtpfarrkirche St. Oswald in Traunstein. Am 30. Juli 1951 feierten die beiden Brüder ihre Nachprimiz in Rimsting, dem Heimatort ihrer Mutter.

Aus Anlass des diamantenen Priesterjubiläums von Papst Benedikt XVI. hat der Generalvikar der Diözese Augsburg, Domkapitular Prälat Karlheinz Knebel, am heutigen Hochfest Peter und Paul im Augsburger Mariendom eine Heilige Messe zelebriert. Als Konzelebranten nahmen Mitglieder des Augsburger Domkapitels und zahlreiche Diözesanpriester an dieser Eucharistiefeier teil. Domkapitular Prälat Dr. Bertram Meier hielt die Predigt. Im Anschluss an die Messfeier wurde das Allerheiligste zur Anbetung ausgesetzt. Im Folgenden dokumentieren wir die Predigt des Dompredigers Prälat Meier im Wortlaut:

Priester und Papst: Stellvertreter der Liebe Christi

Gedanken zum 60. Priesterjubiläum von Papst Benedikt XVI.

Von Domkapitular Prälat Dr. Bertram Meier, Augsburg

Der Diakon ist gerade von einem Dienst zurückgekehrt, den er jeden Sonntag vollzieht: Nachdem er das Evangelium verkündet hat, inthronisiert er das Heilige Buch auf dem Hochaltar. Vor knapp fünfzig Jahren (1962) hat der Künstler Josef Henselmann den Hochaltar in unserer Kathedrale geschaffen: Er hat eine Kreuzigungsgruppe gestaltet als Thron des Wortes Gottes. Das Wort vom Kreuz wird inthronisiert.

Eine ähnliche und doch ganz andere Komposition kennen wir von Rom aus dem Petersdom. Wenn der Besucher das gewaltige Mittelschiff durchschritten hat und schließlich beim Altar in der Apsis ankommt, steht er vor einem leeren Thron. Dieser Thron scheint fast zu schweben; tatsächlich wird er gehalten von den Figuren der vier großen Kirchenlehrer des Westens und des Ostens. Der Thron, die leere Cathedra ist aus vergoldeter Bronze, in die ein hölzerner Stuhl aus dem 9. Jahrhundert eingeschlossen ist. Selbst wenn dieser Stuhl nicht das Original ist, auf dem Petrus Platz genommen hat, spricht das Zeichen für sich: Der Stuhl Petri drückt die bleibende Gegenwart des Apostels aus, der in seinen Nachfolgern anwesend bleibt. Er ist Thron der Wahrheit, für die der Papst bürgt, und der Petrus von heute heißt Benedikt, geboren als Joseph Ratzinger.

Am 29. Juni 1951 hat Joseph Ratzinger die Priesterweihe empfangen. Damit wurde er eingeweiht in die Geheimnisse Jesu Christi, besonders in die Eucharistie. In den darauf folgenden 60 Jahren seines Wirkens als Priester, Professor, Bischof, Kardinal und Papst kristallisierte sich die Eucharistie immer mehr als Dreh- und Angelpunkt sowohl seines theologischen Denkens als auch seines pastoralen Handelns heraus, ein echter Diamant in der Kette seiner geistlichen Biographie. Wem wie mir das Geschenk zuteil wurde, über Jahre hinweg fast jeden Donnerstag zu einer für römische Verhältnisse frühen Morgenstunde mit dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation im Schatten von St. Peter die hl. Messe konzelebrieren zu dürfen, konnte hautnah erleben, mit welcher Hingabe und welchem Ernst Joseph Ratzinger aus der Eucharistie lebt und daraus Kraft schöpft für sein tägliches Tun. Glauben und Leben - in der Eucharistie verklammern sie sich.

Dieser Zusammenhang war schon um 110 n. Chr. ins Bewusstsein der Christen gerückt: Damals attestierte der hl. Bischof Ignatius von Antiochien der Kirche von Rom einen „Vorsitz in der Liebe“.[1] Glaube und Liebe bilden eine Einheit. Wer an Gott glaubt, der die Liebe ist, wird diese Wahrheit stets in Liebe künden. Anders gesagt: Der Vorsitz im Glauben muss ein Primat in der Liebe sein. Denn Rechtgläubigkeit braucht Glaubwürdigkeit. Der Gedanke vom Vorsitz der Liebe vertieft sich noch, wenn man bedenkt, dass die frühe Kirche im Wort „Liebe“ auch einen Ausdruck für das Opfer der Eucharistie, das Herrenmahl, gesehen hat. In der Eucharistie legt Jesus sich aus Liebe in unsere Hände. Es liegt an uns, was wir aus dieser handgreiflichen Liebeserklärung machen. Von daher wird die enge Verbindung von Kirche und Eucharistie deutlich: Vorsitz in der Liebe heißt, „dass die Kirche ihr Maß von der Eucharistie nimmt. Sie wird umso einiger sein, je mehr sie vom eucharistischen Maß her lebt und je treuer sie in der Eucharistie sich an das Maß der Überlieferung des Glaubens hält. Umso mehr wird aus der Einheit auch Liebe reifen, die auf die Welt zugeht: Die Eucharistie beruht ja auf dem Liebesakt Jesu Christi bis in den Tod hinein.“[2]

Vorsitz in der Liebe bezieht sich also nicht nur auf den Petrusdienst, sondern auch auf jeden Priester. Seit 60 Jahren lebt Joseph Ratzinger den Vorsitz in der Liebe: als Priester in der Feier der Eucharistie, nunmehr auf dem Stuhl Petri, der weniger ein prunkvoller Thron ist, sondern der harte Stuhl des Dienenden. Bei Joseph Ratzinger kommt noch ein Merkmal hinzu, das wie ein roter Faden sein Leben und Wirken durchzieht. Dieses Merkmal rückt ihn in die Nähe von Romano Guardini, der unter dem 28. Februar 1954 zum Semesterende in sein Tagebuch notierte: „Eine wunderschöne Zuhörerschaft. Die Ansprachen in St. Ludwig sind mir fast so wichtig wie meine Vorlesungen. Die Wahrheit hat eine so klare und stille Macht. So meine ich es mit meiner seelsorglichen Arbeit: helfen durch die Wahrheit.“[3] Als Priester, Professor, Bischof und Papst dient Joseph Ratzinger der Wahrheit, er sieht sich als eine Art „Kooperator“, Mitarbeiter der Wahrheit, was sich auch in seinem bischöflichen und päpstlichen Wahlspruch niederschlägt (3 Joh 8). Die Cathedra ist sein Arbeitsplatz: Zunächst waren es die Lehrstühle als Universitätsprofessor, dann folgte das Lehramt des Bischofs und schließlich die Cathedra Petri in Rom.

Damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Kirche und Eucharistie. Weil Jesus Christus in jeder feiernden Ortskirche ganz anwesend ist, und er dadurch dennoch nicht zerstückelt wird, fordert die Teilhabe am Leib des Herrn Einheit. Diese Einheit ist nicht eine äußere Zutat, sondern eine Bedingung der Möglichkeit für die Feier der Eucharistie. Dass wir im Hochgebet Papst und Bischof ausdrücklich nennen, ist kein Zufall: Wir tun es nicht, weil diese hofiert werden müssten oder sie unser Gebet besonders nötig hätten. Die Erwähnung von Papst und Bischof dient vielmehr dazu, die Übereinstimmung des eigenen Glaubens mit dem des Papstes und des Bischofs zu bekunden. Papst und Bischof stehen dafür, dass die Kirche teilhat an der Communio, der Kommunion des ganzen Leibes Christi. So verstandene Einheit ist übrigens mehr als eine organisatorische, diplomatische oder kirchenpolitische Aufgabe. Die Einheit der Kirche wird nicht erreicht durch demokratische Mehrheitsbeschlüsse, sondern auf der Basis des gemeinsamen Glaubens an die sakramentale Ordnung, die Jesus selbst der Kirche eingestiftet hat.

So führt uns der Vorsitz in der Liebe wieder in den Abendmahlssaal zurück. Dort klingen uns die Worte im Ohr, die Jesus an Petrus gerichtet hat: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, stärke deine Brüder“ (Lk 22,32). Der hl. Ambrosius erinnert an diese Aussage, wenn er diese Stelle auslegt und sie mit der Amtseinsetzung des Petrus am See Tiberias in Verbindung bringt. Dabei ist eine kleine Nuance sehr sprechend: Ambrosius nennt Petrus nicht „Stellvertreter Christi“, sondern „Stellvertreter der Liebe Christi“.[4] Professor Joseph Ratzinger, der Priester und heutige Papst Benedikt XVI. bringt beides zusammen: Glaube und Liebe. Denn er versteht sich als „Mitarbeiter der Wahrheit“ und „Stellvertreter der Liebe Christi“, als Kooperator der Wahrheit und Vikar der Liebe, die Gott selbst ist (vgl. 1 Joh 4,16).

Die Liebe Gottes ist weit gegangen - bis ans Kreuz. Auch Petrus ist diesen Weg gegangen - bis zum Tod am Kreuz. Daran denken wir am Weihetag unseres Papstes. Die Cathedra Petri in Rom und der Thron des Wortes in unserem Dom: Gerade am 60. Jahrestag der Priesterweihe von Papst Benedikt erinnern wir uns, was der Bischof damals wie heute zu jedem Neupriester sagt: „Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Amen.

Bitten wir den Herrn, dass er unserem Heiligen Vater Papst Benedikt noch viele Jahre schenken möge, um uns im Glauben zu stärken und die Kirche Gottes zu führen!

[1] Brief an die Römer, Prolog.

[2] Joseph Kardinal Ratzinger, Bilder der Hoffnung. Wanderungen im Kirchenjahr, Freiburg i. Br. 1997, 39-45, 42.

[3] Vgl. Gedenktafel in der Universitäts-Kirche St. Ludwig in München.

[4] Vgl. Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam, Liber X., col. 1543. Dort spricht Ambrosius von Petrus als „vicarius amoris Jesu Christi“. Der damalige Diözesanadministrator Weihbischof Josef Grünwald hat 2005 in seinem Hirtenwort zur Wahl von Papst Benedikt XVI. diesen Gedanken entfaltet, nachzulesen in: Augsburger Schriftenreihe (St. Ulrichverlag) Bd. 24, Augsburg 2005.