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Wichtiges
Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier in der Pfarrkirche St. Josef, Klingsmoos aus Anlass der ersten feierlichen Eucharistiefeier vor 100 Jahren

Ein Kirchenbau ist ein Zeichen für die „Gottes-Sehnsucht“

27.11.2022

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

heute am 1. Advent vor 100 Jahren kamen Ihre Vorfahren zusammen, um zum ersten Mal im neuen Gotteshaus Eucharistie zu feiern. Dem gingen Jahre der Hartnäckigkeit und Geduld voraus, bis der 1896 gegründete Kirchenbauverein die notwendigen finanziellen Mittel für das Projekt beisammenhatte. 

Jede Familie trug nach ihren Möglichkeiten zur Errichtung der Kirche bei. Alle halfen zusammen, jeder hat seine Arbeitskraft eingebracht. Die damalige Kirche von Klingsmoos war ein großes Gemeinschaftswerk! Verneigen wir uns stolz und dankbar in Anbetracht der herausragenden Leistungen ihrer Ahnen und schließen wir sie heute in besonderer Weise in unser Gebet ein.

Obgleich die Opferbereitschaft hoch war, konnte die Kirche aufgrund des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs der Zwanzigerjahre nur notdürftig ausgestattet werden. Die erste Messe wurde mit einer Tabernakel-Leihgabe aus Neuburg gefeiert, als Altar diente das Heilige Grab aus Ludwigsmoos, ebenfalls eine Leihgabe. Wahrscheinlich ist Ihnen die Entstehung Ihres Kirchenbaus und die weitere Entwicklung wohlbekannt. Besondere Verdienste hat sich dabei Ihr Kirchenpfleger Ludwig Rieß erworben, der sich mit Eifer den historischen Quellen gewidmet und die Geschichte Ihrer Kirche erforscht hat.  Mit Blick auf das heutige Jubiläum und den ersten Adventssonntag möchte ich einige vertiefende Aspekte mit Ihnen teilen. Diese lassen sich umschreiben unter dem Stichwort der „Sehnsucht“. Was meine ich damit? Von welchem Sehnen spreche ich da? Und was heißt das für uns als Christen?

Wenn ich die Ausdauer der damaligen Beteiligten sehe, allen voran der Pfarrer Hermann Mohr und Franz-Xaver Wonhas sowie des Lehrers Josef Niedermayr, dann haben sie unermüdlich das vorangetrieben, was die Pfarreimitglieder ersehnten: Ein eigenes religiöses Zentrum im Dorf, einen „heiligen Ort“, an dem die Gläubigen zusammenkommen konnten, um ihren Glauben miteinander zu bekennen und zu feiern. Kurzum: Eine Kirche im Dorf! Sie ist die Mitte, von der her das Leben innerlich auferbaut wird. Und auch wenn heute die Kirchen leerer werden, bekenne ich mich als Bischof genau zu einer Kirche „nah bei den Menschen“! Deswegen möchte ich, wenn nicht notwendig, unsere pastoralen Räume nicht noch größer machen. Ich bin für eine Kirche der kurzen Wege: Die Kirche muss im Dorf bleiben! Helfen Sie dazu bitte auch alle mit.

Manche meinen heutzutage mit Blick auf frühere Zeiten, dass vieles damals gewohnheitsmäßig war: „Die Leute gingen halt in die Kirche, weil man das so gemacht hat!“ Nein, ich behaupte: Viele waren angetrieben von der Sehnsucht der Gottesbegegnung, der Nähe Gottes in der Eucharistie. Damals wie heute gibt es die Erfahrung seiner heilenden Gegenwart: Gott hat sich in seinem Sohn Jesus Christus mitten in diese Welt eingefleischt, um den Menschen mit sich zu versöhnen. Er ist keine von der Welt abgehobene Sache, kein „Abstraktum“, kein irgendwie „nebulöses Etwas“! Wenn wir auf das Geheimnis der Eucharistiefeier schauen, so ist Jesus in seinem Wort gegenwärtig. Und in den gewandelten Gaben von Brot und Wein dürfen wir ihm leibhaftig begegnen. So wollte er über seinen Tod hinaus uns nahe sein. Der christliche Glaube ist kein Hirngespinst, keine bloße Idee, sondern in Jesus Christus reales Gegenüber, konkrete Person, mit der wir uns im „Brot des Lebens“ vereinen dürfen.

Ihre Vorfahren haben viel Zeit, Mühe und Geld in den ersten Kirchenbau gesteckt, bis er aufgrund der großen Schäden Ende der 1970er-Jahre dem jetzigen Neubau weichen musste. Als verbindendes Element aber steht der wertvolle Hochaltar. Aufwendig wurde er vor wenigen Jahren restauriert. Diesen Altar und das, wofür er steht, wussten Sie, liebe Mösler, stets zu schätzen – Danke für Ihr klares Statement!

Um diesen Altar schart sich die Pfarrgemeinde. Auf den Altar stellt der Priester die Schale des Brotes und den Kelch mit Wein. Sie dürfen Ihre Sorgen und Ängste dort hineinlegen. Im Namen Jesu Christi, „durch ihn und mit ihm und in ihm“ werden sie gewandelt, mehr noch: Er will, dass auch wir uns von ihm verwandeln lassen. Suchen Sie die Begegnung mit Jesus in der Eucharistie. Lassen Sie sich vom Altar aus stärken und empfangen Sie regelmäßig den Leib des Herrn. Seien Sie sich bewusst: Gott hat sich klein gemacht hat, um in uns zu wohnen. Wenn Sie zur Kommunion gehen, dann tun sie es bitte nicht aus Gewohnheit, sondern aus einer „Haltung der Sehnsucht“ heraus. Es ist wie in einer innigen Beziehung unter Freunden oder einer Partnerschaft, wenn man sich nach einer Zeit der Abwesenheit in die Arme schließen kann: Die Freude über das Wiedersehen ist groß und das sehnsüchtige Warten hat ein Ende.

In der Feier des Leibes (und Blutes) Christi wird die Gemeinschaft der Kirche auferbaut. Die Eucharistie ist also nie bloße Seelenspeise für frömmelnde Individualisten. Gott will keine „Eigenbrötler“! In Jesus Christus sind wir Teil einer „geistlichen Gemeinschaft“: Er bindet uns an sich; im Teilen sind wir miteinander verbunden! Mit meinem Glauben bin ich nicht allein. Ich weiß mich getragen und gestützt von den anderen, die mit mir leben, zweifeln und glauben. Von daher ermuntere ich Sie: Achten Sie als Christ, als Christin aufeinander! Die hl. Kommunion allein reicht nicht, es braucht unter uns in der Kirche mehr Kommunikation.

So folgte aus der Kommunion die Aktion: Jesus Christus ruft uns als Zeugen, als Jüngerinnen und Jünger, in seine Nachfolge. Die Wahl des hl. Josef als Patron der Pfarrkirche scheint mir kein Zufall zu sein. Josef, der Handwerker, ist Programm für eine Gemeinde, die hinlangt und zupackt. Josef spielt in den Kindheitsgeschichten Jesu eine wichtige Rolle, aber von ihm ist kein einziges Wort in der Bibel überliefert. Er ist kein Mann vieler Worte, sondern einer der Tat! Er handelt, gerade wenn es drauf ankommt: Er steht zu Maria ohne Wenn und Aber, obgleich das Kind göttlicher Abstammung ist. Und als Gefahr droht, ergreift er ohne Zögern mit Jesus und Maria die Flucht nach Ägypten.

Nehmen Sie sich Ihren Patron zum Vorbild: Kein Glaube leerer Worte, sondern eine Verkündigung, die sich im Handeln zeigt. Ein Glaube nicht absondert von der Welt, sondern einer, der mitten in der Welt steht.

Josef führt uns ein in den ersten Advent. Damit beginnt das große Warten, die Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten, wenn wir die Menschwerdung Gottes feiern. Nutzen wir diese Zeit gut! Im eben gehörten Brief an die Gemeinde in Rom fordert uns Paulus dazu auf, vom Schlaf aufzustehen (vgl. Röm 13,11). Wortgewaltig ermuntert er uns, die Werke der Finsternis abzulegen und die Waffen des Lichts anzulegen (vgl. Röm 13,12)! Der Text aus der Feder des Matthäus schärft uns ein: Seid wachsam, haltet Euch bereit (vgl. Mt 24,42.44)! Daher meine Bitte: Belassen Sie es nicht bei Ihren alltäglichen Gewohnheiten! Greifen Sie den Vorsatz des Paulus auf, ehrenhaft zu leben, bescheiden, ohne Ausschweifungen, ohne Streit (vgl. Röm 13,13). Reservieren Sie sich eine bestimmte Zeit am Tag, um bewusst in sich zu gehen und das Gespräch mit Jesus zu suchen. Machen Sie immer wieder mal eine Pause, um ein kurzes „Stoßgebet“ zu sprechen. Möge Sie dazu der Anfangsvers von Psalm 63 leiten: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir.“

Wer wachsam ist, wer auf eine Person oder auch ein Ereignis wartet, tut dies in einer Haltung der Sehnsucht. Papst Franziskus erklärte in einer Generalaudienz die Herkunft des italienischen Ausdrucks für Sehnsucht, „desiderio“. Demnach kommt dieses Wort von dem „sehr schönen lateinischen Begriff, der etwas seltsam ist: ‚de-sidus‘, im wörtlichen Sinne ‚das Fehlen des Sterns‘. Sehnsucht ist das Fehlen des Sterns, das Fehlen des Bezugspunktes, der dem Lebensweg Orientierung schenkt.“ Insofern ist die Sehnsucht der Motor, der in Bewegung setzt: „Ein Mensch, der nie Sehnsucht hat, ist ein stillstehender, vielleicht kranker, beinahe toter Mensch. Sie ist der Kompass, ob ich unterwegs bin oder ob ich stillstehe.“ (Ansprache von Papst Franziskus bei der Generalaudienz am 12.10.2022) Machen wir uns auf den Weg, gehen wir jetzt im Advent auf die Suche nach dem „Stern von Bethlehem“, der unserem Leben das Ziel setzt. Folgen wir dem Stern und lassen ihn über uns aufgehen – möge unser Sehnen nach Gottes Nähe sich erfüllen! Das führt mich zu einem letzten Gedanken.

Wir haben vor allem über die Sehnsucht des Menschen nach Gott nachgedacht. Gibt es da aber nicht auch die andere Bewegung? Ist es nicht tröstlich, dass es ebenso die umgekehrte Richtung gibt? Der hl. Augustinus hat sie knapp und bündig in die Aussage zusammengefasst: „Gottes Sehnsucht ist der Mensch.“ Gott hat den Menschen als sein Gegenüber erschaffen. Und aus Liebe zu ihm wird Gott selbst Mensch. Er macht sich klein, damit wir Menschen groß sein können! Es ist das tiefe Verlangen Gottes, sein Wunsch, sein Begehren beim Menschen „anzukommen“, ihm seine Liebe zu geben.

Dazu möchte ich Ihnen abschließend das Gedicht der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs (1891–1970) „Alles beginnt mit der Sehnsucht“ ans Herz legen, welches unsere Gedanken treffend zusammenfasst.