Menü
Wichtiges
Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938

Gedenkveranstaltung in Augsburger Synagoge

09.11.2021

In der Pogromnacht von 1938 wurden in ganz Deutschland Jüdinnen und Juden Opfer konzertierter Gewalt. Antisemitismus und Judenhass seien indes kein rein historisches Phänomen, sondern auch heute noch konkrete Gefahr, betonte Bischof Dr. Bertram Meier im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in der Augsburger Synagoge am Dienstagabend – und bat auch im Namen der Kirche um Verzeihung für geschehenes Unrecht.

Bischof Bertram war von der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg zu der alljährlich stattfindenden Gedenkveranstaltung in die Synagoge in der Halderstraße eingeladen worden. In seiner Gedenkansprache betonte er zunächst die überaus reiche Tradition von 1.700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland, die auch in der Friedensstadt Augsburg tiefe Spuren hinterlassen hätten. Die Beziehungen zwischen Christen und Juden in der Stadt kenne fruchtbare und friedliche Phasen der Koexistenz und sogar des selbstverständlichen Zusammenlebens, das einst oft als „deutsch-jüdische Symbiose“ durchaus positiv konnotiert und bezeichnet wurde.

Allerdings habe dieser Begriff bereits die Problemanzeige in sich geborgen: Die Gegenüberstellung und Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Juden“ habe im 19. Jahrhundert zunehmend antisemitische Ressentiments befeuert und das gesellschaftliche Miteinander vergiftet. „Im Rückblick erscheint die Geschichte von Juden und Christen in Deutschland, von Menschen, die sich einheimisch und dazugehörig fühlten, und solchen, denen man erst spät Menschen- und Bürgerrechte zuerkannte, von Beginn an fragil und von Gewaltexzessen beziehungsweise Machtmissbrauch geprägt“, so der Bischof. Auch der über Jahrhunderte von der Kirche gelehrte Antijudaismus habe den Nährboden dafür gebildet, dass die Geschichte christlich-jüdischer Beziehung sich in Deutschland fast ausschließlich „unter der Perspektive einer Täter-Opfer-Beziehung beschreiben“ ließe.

„Es begann mit Worten, dann folgten die Taten: Aus Wortgewalt wurde körperliche Gewalt. Populisten und Nationalisten wollten spalten, indem sie Vorurteile schürten, Neiddebatten anzettelten und dumpfe Gefühle weckten. Wir kennen die fatalen Folgen, für die wir uns noch heute schämen müssen: Hass spaltet, hetzt und tötet“, betonte Bischof Bertram und zitierte angesichts der Geschehnisse der Pogromnacht und der folgenden Jahre der NS-Diktatur den Dichter Georg Büchner: „Der Mensch ist ein Abgrund, und es schwindelt einen, wenn man hinabschaut.“

Der Antisemitismus der Pogromnacht sei mit dem Ende der Diktatur 1945 allerdings nicht verschwunden. Von Judenhass motivierte Gewalttaten und Terrorakte nähmen wieder zu, „Jude“ werde auf Schulhöfen teils wieder als Schimpfwort verwendet und mancherorts könnten sich Juden nicht mehr trauen, öffentlich die Kippa als Zeichen ihres Glaubens zu tragen. Gerade die Pandemie hebe auch latenten Antisemitismus in der Gesellschaft ans Licht – etwa, wenn sogenannte „Querdenker“ bei ihren Demos den Judenstern missbrauchten. „Die Entwicklung ist ernst. Wir Christen dürfen uns weder verschämt wegducken noch tatenlos zuschauen. Wir müssen uns vor unsere jüdischen Geschwister stellen – und auch vor andere Minderheiten, die bedrängt werden. Obsta principiis! Wehre den Anfängen!“, rief der Bischof den anwesenden Christen zu und berief sich auf den Theologen Dietrich Bonhoeffer, der vor seiner eigenen Ermordung durch die Nationalsozialisten geschrieben hatte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“

Bischof Bertram betonte in seiner Gedenkansprache die bleibende Verantwortung auch der christlichen Kirchen gegen das Vergessen.

Bischof Bertram betonte in seiner Gedenkansprache die bleibende Verantwortung auch der christlichen Kirchen gegen das Vergessen.

Das Gedächtnis an die Gräueltaten der Vergangenheit müsse also stets mit aktiver und aufmerksamer Zivilcourage gegenüber allen verbalen Entgleisungen und Provokationen verbunden sein. „Die Hemmschwelle sinkt immer mehr; die Wortwahl wird stetig nach oben ausgereizt: ein fatales Spiel mit dem Feuer. Deshalb wage ich die Behauptung: Wie jede Glaubensgemeinschaft braucht unsere wehrhafte Demokratie das klare Bekenntnis zu ihr - ein Bekenntnis, das sich in Wort und Tat manifestiert“, erklärte der Bischof und betonte, dass ihn christliches Engagement gegen Populismus und Radikalismus in der Politik stolz mache.

Abschließend verwies der Bischof auf den Shoah-Überlebenden Jehuda Bacon sowie den Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz. Während Bacon, der als Fünfzehnjähriger aus dem KZ Mauthausen befreit worden war, sein Leben der Kunst und der Versöhnung widmete, betonte Metz in seiner Schrift „Memoria Passionis“, dass das Christentum nie wieder hinter das Fanal von Auschwitz zurückkommen könne. Am Gedenktag der Pogromnacht von 1938 verneige er sich in Ehrfurcht vor den Opfern des Nationalsozialismus, betonte der Bischof schließlich – und auch vor „allen, denen im Namen menschenverachtender Ideologien, kirchlich tradierter Vorurteile und aus anderen niederen Beweggründen Leid zugefügt wurde und noch wird. Ich bitte als katholischer Theologe und Bischof von Augsburg dafür um Verzeihung.“

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg, Alexander Mazo, betonte in seinen Begrüßungsworten, dass die Pogromnacht vor 83 Jahren den Auftakt zum größten Völkermord der Menschheitsgeschichte gebildet habe. Unter diese Vergangenheit könne und dürfe man keinen Schlussstrich ziehen, schon allein angesichts der Tatsache, dass auch in der deutschen Parteipolitik antisemitische und rassistische Äußerungen wieder zunehmend salonfähig würden. In die gleiche Kerbe schlug auch die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber. Im Schnitt werde in Deutschland rund jede halbe Stunde eine antisemitisch motivierte Straftat registriert. Davon sei auch die Stadt Augsburg nicht ausgenommen. Gerade in den sozialen Medien sei der Antisemitismus zu einem großen Problem geworden: „Digitaler Hass kostet nichts. Er ist billig, bequem und anonym.“

Mit einem liturgischen Teil wurde die Gedenkveranstaltung beendet, die musikalisch vom Leopold-Mozart-Quartett begleitet worden war. Die beiden Gabba’im – also Laienvorsteher der jüdischen Gemeinde – Marian Abramowitsch und Josef Strzegowski sprachen beziehungsweise sangen mit „El male rachamim“ und dem Kaddisch zwei bedeutende Gebete des Judentums und sprachen zuletzt den aaronitischen Segen über die Anwesenden.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden im ganzen damaligen Deutschen Reich tausende Synagogen, Geschäfte, Wohnungen, Friedhöfe und weitere jüdische Einrichtungen in einer konzertierten Aktion angegriffen und oftmals zerstört. Dabei wurden hunderte Menschen ermordet; zahlreiche weitere nahmen sich in den Tagen darauf das Leben. Auch in Augsburg wurde die Synagoge in der Halderstraße in Brand gesteckt. Das Feuer wurde jedoch nur kurz darauf wieder gelöscht, da sich damals direkt neben dem Gotteshaus eine Tankstelle befand, die sonst in Explosionsgefahr gewesen wäre. Die Augsburger Synagoge gehört deutschlandweit zu den wenigen jüdischen Tempeln, die die Zerstörungen der Reichspogromnacht überlebt haben.