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Wichtiges
Herbstvollversammlung 2016

Gender - ein Thema mit überraschenden Einsichten

29.10.2016

Wohl selten ist eine Vollversammlung des Diözesanrats, was ihren thematischen Teil betrifft, mit so viel Spannung erwartet worden, wie die zum Thema „Gender – Herausforderung für Christen“. Denn diesbezüglich herrscht eine im Grunde genommen unversöhnliche Uneinigkeit unter den Katholiken: Während viele Verbände Gender-Mainstreaming in ihre Grundsätze aufgenommen haben, sehen Konservative in der Genderlehre und ihrer Anwendung (dem „Mainstreaming“) eine Leugnung der Geschlechtsunterschiede und einen Brückenschlag zu den Positionen der LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) –Lobby. Würde es diesmal also „so richtig krachen“ in der Diözesanratsvollversammlung? 

Dass das nicht soweit kam, ist möglicherweise der humorvollen und bodenständigen Moderation von Peter Hummel zu verdanken (was nicht heißen soll, dass die Teilnehmer sich ohne ihn spinnefeind gewesen wären). Jedenfalls wurde die Vollversammlung zu einer äußerst informativen und spannenden Veranstaltung, die wohl keiner der Beteiligten ohne das Gefühl verließ, etwas für ihn Neues oder Interessantes gelernt zu haben.

 Vorbereitet hatte den thematischen Teil der Vollversammlung der Sachausschuss "Ehe und Familie" unter der Leitung von Pavel Jerabek. In der Vollversammlung war es dann Sachausschussmitglied Alex Barth, welcher die Referenten und Podiumsteilnehmer der Vollversammlung zum Thema "Gender" begrüßte und mit einem Gebet für den himmlischen Beistand sorgte.

Doch der Reihe nach:

 

 

Werkstattbericht des Generalvikars

Jede Vollversammlung beginnt am Freitagnachmittag mit der heiligen Messe, die in der Regel der Bischof selbst zelebriert. Auch diesmal schlossen sich die Berichte des Generalvikars und der Vorsitzenden des Diözesanrates an. Msgr. Harald Heinrich berichtete von den noch laufenden Visitationen, die auch die Möglichkeit bieten die verschiedenen Vorhaben „Raumplanung“ zu prüfen und auszurichten. In enger Verbindung damit stehen die Ausgaben der Diözese, insbesondere der sog. Instandsetzungsetat, der in diesem Jahr bei 37 Mio. EUR liegt, um Sanierungen/Renovierungen zu ermöglichen. „Wo brauchen wir überall Pfarrbüros? Wie schaut es mit Versammlungsräumen in den Pfarreien aus – ganz konkret: Wie viele Pfarrheime können wir uns leisten und vor allem auch im Blick auf die konkreten Zahlen und Bedürfnisse der Pfarreien – brauchen wir wirklich?“ Auch sollen die Pfarreiengemeinschaften und größeren Pfarreien von einem Übermaß an Verwaltungsarbeit entlastet werden. Deshalb sind derzeit auf knapp 17 Planstellen 22 Verwaltungsleiterinnen und Verwaltungsleiter tätig. Ein neuer Berufszweig also, der Kirchenpfleger und Kirchenverwaltungen entlastet, z.T. bereits auch ersetzt. In anderen Personalbereichen kann man weniger von Aufbau und Ausbau sprechen, sondern muss von einem Rückgang ausgehen, nicht nur was die diözesanen Priesterberufungen betrifft (auch wenn es da jüngst eine Aufwärtsbewegung gab), sondern vor allem was die Stellen für Gemeindereferenten betrifft. Letztere bleiben nämlich in Ermangelung von Bewerbern oder Zugriff der Kandidaten auf die Stellen zu oft unbesetzt, während Stellen für Priester noch ganz gut ausgefüllt werden durch ausländische Priester. Diese verfügen nämlich auch über eine große Flexibilität, was ihren Einsatzort betrifft, während hauptamtliche Laien durch ihre Familien stärker an die Standorte der Schulen, die ihre Kinder besuchen, und deren Freundeskreis gebunden sind. (siehe am Ende des Artikels den vollständigen Bericht)

 

"Seien wir Zeugen in der Welt!"

Auch der Bericht der Diözesanratsvorsitzenden enthielt erheblich mehr Aspekte, als hier dargestellt werden können. Er befasste sich zunächst mit der weltpolitischen Situation und mit einem Aufruf an die Christen, sich nicht verunsichern oder gar verhetzen zu lassen. Weiters forderte Hildegard Schütz die Vollversammlungsteilnehmer auf, sich gut zu informieren und selbst zu Meinungsmachern zu werden: „Mischen wir uns ein!“ Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, sich nicht damit zu begnügen, Opfer oder gar Täter in der virtuellen Welt zu werden, sondern auf die Menschen zuzugehen, sie ihr Leben und ihre Kultur, ihre Religion und ihre Familien kennen zu lernen. „Seien wir Zeugen in der Welt!“ Als einen herausragenden Zeugen Christi in der Welt zeichnete Hildegard Schütz sodann Papst Franziskus, der uns auffordert, engagierte und unbequeme Europäer zu sein. Dieses Engagement zu fördern, ist auch Anliegen des Konzepts „Kirche und Kommune – gemeinsam für soziale Gemeinden“, für das die Vorsitzende gemeinsam mit Staatsminister a.D. Josef Miller und anderen alle Dekanate besucht. In diesen Netzwerkveranstaltungen möchte der Diözesanrat auch immer wissen, was er für die Ehrenamtlichen tun kann, und es ist ein starkes Bedürfnis nach einer stärkeren Wertschätzung ihrer Arbeit (bis hin zur finanziellen Entschädigung) festzustellen.

Aktuelle Zeitungsberichte waren es dann noch, die nicht nur Schütz, die selbst Lehrerin ist, sondern auch Bernhard Rößner, ebenfalls Lehrer und Leiter der Abteilung Schule und Religionsunterricht des Bistums, auf den Plan riefen. So wurde berichtet, dass immer weniger Schüler den konfessionell geprägten Religionsunterricht in Bayern besuchten und stattdessen Ethik wählten. Diese Zahlen vermitteln jedoch ein falsches Bild, so als ob der Religionsunterricht unbeliebt sei, während in Wirklichkeit andere Faktoren, z.B. zurückgehende Schülerzahlen und eine veränderte Schülerstruktur (d.h. mehr Schüler mit Migrationshintergrund) verantwortlich sind. (siehe am Ende des Artikels den vollständigen Bericht von Hildegard Schütz)

 

  • Bernhard Rößner wies einerseits auf einen Artikel im neuen "Kontakt"-Heft (zu Kontaktstunden, von Thomas Schwartz und Angelika Spannagel: „Kontaktstunden als ein Zukunftsmodell der schulischen Seelsorge“ in: Kontakt [Informationen zum Religionsunterricht im Bistum Augsburg] 10.2016, Seite 35), andererseits auf einen Beitrag zur Situation des Religionsunterrichts hin.

  • Und: Vorstellung von credo-online durch Pfarrer Dr. Ulrich Lindl und Thomas Weifenbach.

  • Eigener Artikel zur Vorstellung der Sozialwahlen 2017 durch Peter Ziegler.

  

Gendersprache als Herrschaftsinstrument

Am Samstag hatte dann zunächst Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, das Wort. Er legte dar, dass die Unterscheidung von sex (biologisches) und gender (soziales Geschlecht) mittlerweile zu einer „Maske“, zu einem „trojanischen Pferd“ geworden sei, das sich in den Prinzipien der UNO, der EU, vor Ministerien und vielen Verbänden befinde. So gebe es mittlerweile nur noch 120 Professuren für alte Sprachen (also für unsere sprachlichen und kulturellen Wurzeln), aber 212 für Gender. Gender-Mainstreaming hingegen sei zu einer dominanten Linguistik geworden, die über Behörden, Universitäten und Schulen den Menschen aufgezwungen werde. So muss eine Fußgängerbrücke dann „Fußgehendenbrücke“ heißen und Mutter und Vater „Elter1“ und „Elter2“. An mancher Universität habe mit Punktabzügen in der Benotung zu rechnen, wer keine gendergerechte Sprache verwendet. Nach verschiedenen Bundesländern (Baden-Württemberg, Berlin, Hessen usw.) gebe es nun auch in Bayern neue Richtlinien zur Sexualerziehung, in denen Begriffe wie „Vielfalt kennen lernen“, „fragwürdige Rollenbilder“ und „reproduktive Gesundheit“ auffielen. Was auf den ersten Blick als bloße Begrifflichkeit erscheine, sei in Wirklichkeit ein Herrschaftsinstrument: „Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Gehirne.“

 

Wie aber sind diese neuen Entwicklungen philosophisch einzuordnen? „Gender im Spannungsfeld von Geschlechtergerechtigkeit und Leibvergessenheit. Philosophische und theologische Perspektiven“ war der Titel des Referats von Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Die Philosophin möchte, dass wir von unseren natürlichen Gegebenheiten ausgehen. Demnach gibt es nun einmal Männer und Frauen, und deren genetische und cerebrale Voraussetzungen seien unterschiedlich, aber zunächst einmal bloße Natur, bloße Körperlichkeit. Menschen aber sind nicht einfach mit ihrer Natur identisch, sie haben einen „Leib“, was ein ganzheitlicher Begriff ist, im Unterschied zum „Körper“. „Ich habe einen Körper, aber ich bin mein Leib“ (Helmuth Plessner). Diesem leiblichen Dasein brauche der Mensch nicht zuzustimmen, ja er könne demgegenüber eigentlich keine Position einnehmen, denn: „Ich habe vor meiner Zustimmung einen Leib.“ Den Gender-Theoretikerinnen warf Gerl-Falkovitz vor, im Grunde genommen nicht einmal den Körper zu sehen, sondern diesen zu einem bloßen Vehikel, zu einem Medium des eigenen Willens, der eigenen Konstrukte zu machen. Von einem Leib sei bei Theoretikerinnen wie Judith Butler keine Rede, er werde auf den Körper reduziert. Im Grunde genommen sei dies das, was man dem Christentum immer vorgeworfen habe, nämlich Leibfeindlichkeit, und etwas zutiefst Antifeministisches, weil es nicht nur die Existenz von Weiblichkeit ignoriere, sondern in einer ausgesprochen männlichen Weise („maskulinistisch“) den Körper benutze, dominiere, manipuliere, um sich selbst – ggf. auch immer wieder neu – zu erfinden.

 

KDFB: "Das verstehen wir unter Gender-Mainstreaming"

Nach dieser geballten Kritik kam Sabine Slawik als Vertreterin des Kath. Deutschen Frauenbundes (KDFB) zu Wort, die eine ganz andere Sicht von Gender-Mainstreaming als Element ihrer Verbandsprinzipien darlegte. Demnach gehe es keineswegs um die Nivellierung von Unterschieden, sondern sogar um deren Berücksichtigung, bspw. in der Medizin, wo Frauen häufig noch nach dem Muster von Männern angesehen und behandelt werden. Es gibt aber auch die Notwendigkeit der Beseitigung von Unterschieden, bspw. in Arbeitsverträgen, bei denen Männer und Frauen für die gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt würden, ohne dies meist überhaupt nur zu wissen (siehe Equal Pay Day). Mit den Flüchtlingen müssten bspw. weibliche Fluchtursachen in den Blick genommen werden, da viele Frauen vor Beschneidung, sexueller und körperlicher Gewalt flohen. „Das verstehen wir unter Gender-Mainstreaming“.

 

An dieser Stelle kehrte das Gespräch noch einmal zur Genderpolitik zurück, als Prof. Dr. Johannes Schroeter, Vorsitzender des Familienbunds in der Erzdiözese München und Freising, noch einmal mit einer staatskritischen Position nachlegte: Wie denn der Staat dazu komme, Beliebigkeit zu lehren – Schroeter erinnerte an die Entstehung der Schulpflicht im Jahre 1938, um den Geist des Nationalsozialismus durchzusetzen. Auch seien die Lehrer ja per Dienstrecht geradezu verpflichtet, die vom Staat verfolgte Linie zu lehren. Schroeter: Man darf der Gendertheorie anhängen, aber sie nicht anderen aufzwingen. Diese Toleranz teilte er auch in anderer Hinsicht mit Kraus und Gerl-Falkovitz, die betonten, Abweichungen von Mann, Frau und Heterosexualität seien zu tolerieren, aber nicht zu akzeptieren, in dem man bestimmten Formen der Sexualität zustimmen müsse. Der einzelne Mensch sei stets zu akzeptieren, nicht aber die Auffassung von der Beliebigkeit des Sexuellen. Gerl-Falkovitz erinnerte daran, dass diese Beliebigkeit momentan noch die Pädophilie ausschließe, die Polyamorie (mehrere Partner zugleich zu haben) immer mehr propagiere, die Polygamie auf dem Wege der Zuwanderung vielleicht noch akzeptieren werde. Was kann uns davor bewahren? Sie nannte zunächst die Annahme seiner selbst als Mann oder Frau, sodann: diese Leiblichkeit als eine Vorgabe und Aufgabe anzunehmen, wofür es freilich keine fertigen und identischen Antworten gibt. Und weil dem so ist, sei das sich Einlassen auf das andere Geschlecht, auf dessen Fremdheit genauso wichtig wie der Bezug auf die Transzendenz, den Schöpfer, von dem jeder von uns kommt. Auf diese Weise führten wir Menschen den Schöpfungsauftrag fort, indem wir unserem Wesen nach von der angenommenen Natur in die immer vorläufige Kultur gelangten. Dazu bedürfe es der einzig im Christlichen anzutreffenden Vorstellung von der Personalität des Menschen.

Einig waren sich nun aber alle Teilnehmer über die Forderungen von Sabine Slawik, nur dass sie anstelle der Gender-Begrifflichkeit lieber Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtersensibilität sähen, da sich hinter dem Genderbegriff eigentlich etwas ganz anderes verberge, als jeden Menschen rechtlich und politisch gleich zu behandeln und seine Geschlechtsidentität zu berücksichtigen. Was ist nun der wahre Genderbegriff? Und wie steht der KDFB zu den von den Genderkritikern angesprochenen Punkten? Diese Fragen blieben letztlich offen, auch wenn der Wunsch geäußert wurde, die Verbände möchten sich doch einer anderen Begrifflichkeit bedienen. So wurde aus einer Vollversammlung, in der viele Sprengstoff vermuteten, eine recht informative und keineswegs unversöhnliche Veranstaltung.

Michael Widmann