Georgien, ein Land an der Schwelle zur Europäischen Union
Eindrücke von einer Begegnungs- und Lernreise mit Renovabis
 
                            Passender könnte die Begegnungs- und Lernreise der bayerischen Weltkirche-Referenten nach Georgien nicht überschrieben sein, wie mit dem diesjährigen Leitwort von Renovabis: „Voll der Würde. Menschen stärken im Osten Europas“.
Vom 23. bis 28. September 2025 waren sechs der sieben Referenten und vier Gäste dazu von München aus nach Tbilisi (Tiflis) gereist. Darunter waren auch die Seelsorgeamtsleiterin, Angelika Maucher und der Leiter der Abteilung Weltkirche, Anton Stegmair.
Begleitet wurden sie von Matthias Dörr, dem Leiter der Abteilung „Kommunikation und Kooperation“ bei Renovabis und seiner Mitarbeiterin Liliya Doroshchuk. Vor Ort empfing sie Tamar Iluridze, die aus Georgien stammt und der Gruppe als Übersetzerin und Organisatorin diente. Mit ihr organisierte die verschiedenen Programmpunkte Luka Kimeridze, der Projektmanager der Caritas Georgia in Tbilisi.
Nach dem rund vierstündigen Flug ging es gleich zu einem Abendessen, an dem neben Vertretern der Caritas Georgia der Apostolische Nuntius, Erzbischof Ante Jozić, der armenisch-katholische Erzbischof Gevorg Noradounkian und den assyrisch-chaldäischen Bischof Benny Beth Yadegar teilnahmen. Ein spannender Austausch über das Thema Christentum in Georgien und die heutige Ökumene angesichts einer starken Überzahl und Übermacht der orthodoxen Kirche. Leider halte sich die orthodoxe Kirche bei gemeinsamen Treffen und Aktionen immer sehr bedeckt und sei nicht offen für eine Zusammenarbeit. Nicht immer seien die Ansichten zu den Themen „christliche Werte“ und „Menschenrechte“ deckungsgleich, was das Miteinander sehr erschwere.
So manche Hintergründe der jüngsten Geschichte und die Auswirkungen auf die aktuelle politische Situation bot ein Gespräch mit Dr. Anna Schneider, Counsellor an der Deutschen Botschaft in Tbilisi.
Mit Herzlichkeit empfingen die Mitarbeitenden im Caritas-Centrum von Tbilisi die Reisegruppe von Renovabis. Nach einem Mittagessen in einer Suppenküche konnte die Teilnehmenden dann verschiedene Angebote auf dem Gelände der Caritas erkunden. Darunter eine Tagespflege für Senioren („Harmony“), die einzige Beratungsstelle für Migration und Entwicklung im Lande, ein Tageszentrum für Kinder („Sunflowers“) und das Mutter- und Kind-Zentrum St. Barbara, in dem jeweils maximal 15 Personen für einige Wochen oder Monate wohnen können und psychologisch betreut werden und eine Sozialberatung erhalten. Ein Bonmot war dann eine Trommel- und Tanzaufführung von Jugendlichen, die ebenfalls von Sozialarbeitenden der Caritas betreut werden und in verschiedenen Werkstätten erste handwerkliche Erfahrungen sammeln können.
Über einen ehemaligen Stipendiaten von Renovabis war es gelungen, eine Begegnung mit einem Vertreter der georgisch-orthodoxen Kirche im Patriarchat zu ermöglichen. Der Erzpriester nahm diplomatisch gut geschult aus offizieller Sicht Stellung zu Fragen der Ökumene und dem Staats-Kirchen-Verhältnis. Bischof Rolf Bareis, Vorstand der evangelischen Gemeinde in Georgien, nahm sich Zeit für eine Einführung in die Geschichte der Deutschen, die vor Jahrhunderten als Siedler in den Südkaukasus kamen. Seitdem gebe es die protestantische deutsch-georgische Gemeinde mit kleineren Ablegern im Land. Informell konnten dann weitere Infos zu den Erfahrungen des seit knapp 3 Jahren aus Deutschland ins Land gekommenen Bischofs bei einem leckeren Abendessen erhalten werden.
Eine weitere Stadt, die die Gruppe besuchen konnte, war Akhaltsikhe, im Süd-Westen des Landes. Über die Berge mit Höhen von über 2000 Metern ging es frühmorgens zunächst nach Esthia. Dort befindet sich eine alte armenisch-katholische Gemeinde mit einem Tageszentrum für Jugendliche, das von der Armenisch-Katholischen Caritas Eshtia betrieben wird. Weil auch das kulturelle Erbe Georgiens nicht fehlen durfte, ermöglichten die Organisatoren auf dem Weg noch einen Besuch in den beindruckenden Höhlenklöstern von Wardsia, einem UNESCO-Weltkulturerbe.
Den Abschluss der Fahrt nach Akhaltsikhe bildete dann am nächsten Vormittag der Besuch eines Tageszentrums für Menschen mit Behinderung, das der Kamilianer-Orden unterhält. Besonders beeindruckt waren die Reisenden vom Gespräch mit einer älteren Frau in ihrem einfachen Haus am Stadtrand. Sie wird durch das Programm der häuslichen Pflege der Caritas versorgt.
Auf dem Rückweg durfte ein Stopp in der alten Hauptstadt Georgiens, Mzcheta, nicht fehlen. Dort konnte Tamar Iluridze ein Gespräch mit einem orthodoxen Geistlichen, Archimandrit Dorothe Kurashvili, vermitteln. Er äußert sich öffentlich im Fernsehen sehr kritisch zum aktuellen Kurs der Regierung, wirbt für eine Integration seines Landes in die Europäische Union und stellt sich damit offen gegen Positionen seiner Kirche, die oft dem „Westen“ ablehnend gegenübersteht. Abgerundet wurde der Tage mit dem Besuch in einem weiteren Weltkulturerbe, nämlich dem Kloster Jvary und der Altstadt von Mtskheta.
Georgien hat auch eine Katholische Universität, die den Namen Sulkhan-Saba Orbeliani trägt und deren Anfänge auf das Jahr 2001 zurückgehen. Bei einem Austausch mit Rektor Pfr. Akaki Chelidze, einem Kamilianerpater und Prof. Dr. Vaja Vardidze konnte die deutsche Reisegruppe sehen, dass sich die katholische Kirche, die Georgien nur ein Prozent der Bevölkerung ausmacht, ebenfalls im Bereich der Wissenschaft einen Namen gemacht, auch wenn sich diese Bildungseinrichtung noch nicht die angestrebte Studierendenzahl erreicht hat.
Prof. Dr. Ketevan Gurchiani, Professorin für Anthropologie und Leiterin des Forschungszentrums für Anthropologie an der Ilia State University in Tbilisi, und Dr. Levan Shatberashviili, Übersetzer und Philosoph, berichteten von den gesellschaftlichen Entwicklungen Georgiens in der jüngsten Geschichte vor und nach dem Ende der Sowjetunion. Aktuell demonstrieren seit mehr als 300 Tagen jeden Abend Menschen vor dem Parlament in Tbilisi und in anderen Städten des Landes, nachdem die jetzige, von vielen als russlandhörig angesehene Regierung vom „Georgischen Traum“ die Beitrittsverhandlungen zur EU ausgesetzt hatte. Vor allem junge Menschen fordern, dass restriktive Gesetze zurückgenommen und die Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen werden. Die Polizei geht zum Teil hat gegen die Demonstrierende vor. Es gibt Einschüchterungen, Misshandlungen, hohe Geldstrafen und willkürliche Festnahmen. Fast täglich sind Menschenrechtsverletzungen und ein Treten auf die Würde der engagierten Menschen zu verzeichnen. Gerade die jungen Menschen im Land schauen mit Angst, aber auch mit Hoffnung auf den 4. Oktober 2025, den Tag der Regionalwahlen, der für die Proteste und die Zukunft des Landes von großer Bedeutung ist.
Markus Wöllenstein, Leiter des Politischen Dialoges Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung, den die Gruppe in einem integrativen Caritas-Café zum Gespräch traf, erfuhren die Gäste, wie sich die Arbeit der deutschen politischen Stiftungen in Georgien gestaltet, diese aber durch die jüngsten Gesetzgebungen der Regierung immer mehr eingeschränkt würde.
Der Besuch bei der Assyrisch-Chaldäischen Gemeinde in Tbilisi bildeten den Abschluss der Reise. Erzbischof Benny, den die Gruppe bereits am ersten Abend treffen konnte, erzählte von der Arbeit der zum Patriarchen von Bagdad gehörigen Kirche und über die Bemühungen, für die Christen dieser Minderheitenkirche da zu sein, die aus verschiedenen Ländern kamen. Ein Höhepunkt war zum Ende der Reise die Sonntagsmesse in der Assyrisch-Chaldäischen Kirche, die in aramäisch, der Sprache Jesu gefeiert wurde. Mit vielen Eindrücken und auch Fotos kam die Reisegruppe am Sonntagabend wieder gut in München an. Die Gedanken und Gebete der Teilnehmenden werden am 4. Oktober ganz bestimmt bei den Menschen in Georgien sein, aber auch weit darüber hinaus. Der Schrei nach Freiheit war in (fast) allen Gesprächen unüberhörbar! Es geht um alles, vor allem aber um die Würde – eines jeden Menschen!
Text: Anton Stegmair