„Gott im Herzen, die Menschen im Blick“
Liebe Schwestern und Brüder, wenn man die Kirche St. Cyriakus in Grafertshofen vom Südeingang her betritt, blickt man unweigerlich zur beeindruckenden Sonnenuhr von Karl Manninger hinauf. Majestätisch thront die Himmelskönigin mit dem Jesuskind über der Tür und zeigt die jeweilige Tageszeit an. Es wäre wohl übertrieben zu sagen, dass es im Blick auf den Zustand der Filialkirche in der Pfarreiengemeinschaft Weißenburg zuletzt „Fünf vor Zwölf“ war, doch machten die enormen Risse in der Dachkonstruktion sowie andere Schäden im Innen- und Außenbereich eine Generalrenovierung nötig.
Da diese nun erfolgreich abgeschlossen ist, bin ich heute gerne zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen Gott zu loben und die Heilige Messe zu feiern, voller Freude über die gelungene Arbeit und den neuen Glanz dieses schönen Kirchenraums an der Roth. Lassen Sie mich an der Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen allen, die in den letzten Monaten auf unterschiedliche Weise bei der Renovierung mitgeholfen oder durch Spenden unterstützt haben. Vergelt’s Gott! Ebenso danke ich allen, die regelmäßig hierherkommen, um zu beten, zu singen und sich mit ihren vielfältigen Talenten in der Gemeinde einzubringen. Es sind genau diese zwei Dinge - die persönliche Beziehung zu Gott und der Einsatz für andere - um die es in den heutigen Tageslesungen geht. Man spricht auch von der „vita contemplativa“ und der „vita activa“. Hierzu möchte ich Ihnen jeweils einen kurzen Gedanken anbieten, der Sie gleichermaßen in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen bestärken soll.
1. Gott im Herzen…
Schauen wir zunächst auf das Evangelium. Es ist die berühmte Geschichte von Maria und Marta, die uns dazu anregen kann, darüber nachzudenken, auf was es im Leben ankommt. Entgegen der biblischen Erzählung möchte ich mit dem Blick auf Maria beginnen, die sich, allen damaligen Gepflogenheiten zum Trotz, zu Füßen Jesu hinsetzt und ihm - statt zu arbeiten - einfach nur zuhört, wie eine Schülerin vor ihrem Lehrer (vgl. Lk 10,39). Nebenbei ist jene Maria, wie uns der Evangelist Johannes aufklärt (vgl. Joh 11,1), eine der beiden Schwestern des Lazarus, den Jesus später von den Toten auferweckt. Alles, was über sie gesagt wird, ist, dass sie den Worten Jesu lauscht, der sie dafür später gegen die Vorwürfe ihrer Schwester Marta verteidigen wird (vgl. Lk 10,42).
Das Hören auf die Stimme Gottes scheint mir gerade in unserer Zeit, die so laut und voller Störgeräusche ist, immer schwieriger zu sein. Dabei ist es eine der wesentlichen Grundlagen unseres christlichen Glaubens. Schon im Alten Testament heißt es: „Höre Israel!“ (Dtn 6,4) Fromme Juden beten diese Worte jeden Tag und vergewissern sich, dass aller Glaube damit beginnt, in der Stille und im Gebet Gott zu suchen. Später wird (auch) Jesus an vielen Stellen darauf hinweisen, unter anderem wenn er sagt: „Selig sind diejenigen, die das Wort Gottes hören und es befolgen.“ (Lk 11,28)
Wie aber geht das konkret, auf Gottes Wort zu hören? Hier gibt es verschiedene Wege. An erster Stelle steht natürlich das Lesen in der Bibel. „Die Heilige Schrift nicht kennen, heißt, Christus nicht kennen“, soll der hl. Hieronymus einmal gesagt haben. Deshalb lade ich sie ein, regelmäßig einen kleinen Abschnitt zu lesen, um Gottes Wesen besser kennenzulernen. Nehmen Sie sich am besten jeden Tag ein bisschen Zeit, um über Gottes Worte und Taten nachzudenken. Manche gehen dazu in die Natur und meditieren auf dem Weg. Gerade am heutigen Tag aber möchte ich sehr dafür werben, dass Sie hierher, in dieses neu renovierte Gotteshaus kommen: ein Ort, an dem Sie Ruhe finden und auch ohne Bibel einfach nur da sein können. Die wirklich wichtigen Erkenntnisse gewinnen wir meist, wenn wir ganz still werden und Gott eine Chance geben, uns Dinge ins Herz zu legen. Vertrauen Sie darauf, dass er das tun wird, denn das hat er uns versprochen (Mt 7,7) und viele Menschen haben es erfahren.
Maria hat das getan. Sie hat sich von Jesu Worten berühren lassen. Was aber ist mit Marta? Ist es wirklich gerechtfertigt, sie für ihr Verhalten zu kritisieren? Ich meine nein. Lassen Sie es mich in einem zweiten Gedanken ausführen.
2. …die Menschen im Blick
Oftmals führte die Gegenüberstellung von Maria und Marta in der Vergangenheit dazu, dass die eine gelobt wird, weil sie „den guten Teil gewählt“ (Lk 10,42) und auf Jesu Botschaft gehört hat, während die andere eher die Rolle einer ruhelosen bis meckernden Hausfrau innehat. Diese Beurteilung ist gerade auch mit Blick auf die beiden Lesungen vom heutigen Tag nicht fair. So fällt in der Episode aus dem Buch Genesis, die wir gehört haben, doch zumindest auf, dass die zentrale Figur Abraham ja beinahe schon hektisch aufspringt und sich eifrig bemüht, ein guter Gastgeber zu sein für die drei vorbeikommenden Männer (vgl. Gen 18,1ff.), hinter denen wir wohl eine Art Verkörperung der göttlichen Dreifaltigkeit erkennen dürfen. Sollte also gerade er, das Paradebeispiel eines gläubigen Menschen, hier den Fehler Martas gemacht haben und vielmehr herumeilender Gastgeber statt aufmerksamer Zuhörer gewesen sein? Allein die Tatsache, dass Abraham später für eben jene Gastfreundschaft belohnt wird und Gott ihm verspricht, dass seine Frau Sara bald ein Kind bekommen wird, zeigt, dass es grundfalsch wäre, Freundlichkeit und den Dienst am Mitmenschen von der Liebe gegenüber Gott zu trennen. Darum ist es auch kein Zufall, dass wir am heutigen Sonntag dieses Evangelium gehört haben, und letzten Sonntag das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Gott zu ehren und Gutes zu tun gehört nach christlicher Überzeugung von jeher zusammen! Wohl aber gibt uns die Geschichte von Maria und Marta die Frage mit, welchem von beiden wir in unserem Leben mehr Gewicht geben wollen. Die Geschichte der kirchlichen Ordensgemeinschaften zeigt das sehr gut. Hier gab und gibt es Frauen und Männer, die eher kontemplativ sind und Gottes Gegenwart in der Abgeschiedenheit suchen, aber auch jene, die ihre Berufung mehr in konkreten Taten der Nächstenliebe, beispielsweise in der Versorgung von Kranken, verspüren. Beide Wege haben ihre Berechtigung, beide Wege sind christlich und beide Wege können zu einem inneren Frieden führen. Doch zeigen uns die Worte Jesu am Ende des heutigen Evangeliums an, dass das Hören und die persönliche Beziehung zu Gott zunächst die Quelle ist, aus welcher der liebevolle Blick und das Engagement gegenüber anderen Menschen erwächst.
Einer, der das sehr gut verstanden hat, war der heilige Paulus. Denn er rief seine Mitchristen immer wieder dazu auf, ohne Unterlass zu beten (vgl. 1 Thess 5,17). Zugleich lehrte er sie aber auch, dass Christus uns in jedem Menschen begegnen kann (vgl. Kol 1,27f.) und wir alle einander dienen sollen. Da wir hier in Grafertshofen sind, darf ein Hinweis auf ihren Kirchenpatron nicht fehlen: den heiligen Cyriakus, der als Diakon und Arzt seinen Zeitgenossen gleichermaßen, geistlich wie weltlich, ein Helfer war.
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist mein Wunsch für Ihre Gemeinde und für die ganze Kirche von Augsburg: Dass sie zum einen die Gemeinschaft mit Gott sucht, in den verschiedenen liturgischen Feiern, bei Wallfahrten und im Gebet. Zugleich wünsche ich mir, dass sie die Gemeinschaft untereinander pflegt, konkret hier in der Pfarrgemeinde, aber immer auch mit dem Blick für jene Menschen, die am Rande stehen und oft übersehen werden. Wir müssen nicht alle Maria und Marta zugleich sein, jeder hat seinen eigenen Charakter mit Stärken und Schwächen, aber ein bisschen was von beiden tut der Kirche und damit uns allen gut. Das Gebäude von St. Cyriakus ist wieder gerichtet und hergestellt. Auch das berühmte „Nasenbohrerengele“[1] hat seinen Platz. Nun geht es darum, dieses Haus mit Leben zu füllen. Möge es ein Ort sein, an dem möglichst viele Menschen zu Gott finden, sich an seiner Gegenwart erfreuen, und für andere zum Segen werden!
Schriftlesungen vom 16. So. i. J.: Gen 18,1-10a; Kol 1,24-28; Lk 10,38-42
[1] https://pg-weissenhorn.de/grafertshofen/ (11.07.2025).