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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zum Festgottesdienst der Ehejubilare am 18. Juli 2025 im Hohen Dom zu Augsburg

„Lasst euch erneuern!“

18.07.2025

Ein kühles Bier, ein schattiger Platz oder eine kalte Dusche – wie wohltuend sind solche Dinge, wenn die Temperaturen steigen. Die Hitze in den letzten Sommerwochen hat vielen von uns zu schaffen gemacht. Da waren wir froh und dankbar um alles, was für Abkühlung sorgt.

Vielleicht hat manch einer unter Ihnen bedauert, dem eigenen Körper nicht so einfach entfliehen zu können. Wünschten wir uns das in bestimmten Situationen? Aber die Leiblichkeit gehört zum Menschen. Wir erkennen einander am leiblichen, am äußeren Erscheinungsbild. Unser Innenleben drückt sich nach außen hin aus. Mitunter geschieht das automatisch, wenn wir nicht manipulativ dagegenhalten: Wir werden rot vor Zorn oder blass vor Schreck. Ein Mensch teilt sich dem Anderen über Mimik, Gestik und Sprache mit. Wenn wir uns allein auf Gedankenübertragung verlassen, kann das gewaltig schief gehen - das wissen Sie, liebe Ehejubilare, durch zahlreiche Beispiele des Alltags bestätigt. Wir haben nicht nur einen Leib, wir sind eins mit ihm.

Aber spielt das für unser Glaubensleben, für die Frage nach unserem Heil eine Rolle? Geht es da nicht viel mehr um geistlich-seelische Vorgänge? Ist unsere Leiblichkeit und alles, was damit zusammenhängt, nicht nur ein notwendiges Übel? Solche Gedankengänge führen mitten hinein in eine Streitfrage, die vor 1.700 Jahren die Christenheit spaltete. Die junge Kirche tat sich schwer, diesen Jesus von Nazareth einzuordnen. War er nun Gott oder Mensch? Gott und Materie, Gott und Welt, Gott und Mensch – wie geht das zusammen? Die Heilige Schrift und die Menschen, die Jesus begegnet sind, bestätigen ganz klar: dieser Jesus war Mensch wie wir, aus Fleisch und Blut. Sie bezeugen aber auch, dass er mit der Autorität Gottes auftrat, sprach und handelte. Jesus Christus ist ganz Gott und ganz Mensch. Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte formulierten im Glaubensbekenntnis, was Simeon im Tempel spontan bezeugt hat, als er das Kind in seine Arme nahm und Gott mit den Worten pries: Meine Augen haben das Heil gesehen (vgl. Lk 2,28.30). Simeons Augen – und nicht nur die Augen seines Herzens - sehen, was eigentlich nicht zu sehen ist. Er hält in seinen Händen, was eigentlich unbegreiflich ist. Die Besonderheit des Christentums liegt darin, dass der unsichtbare Gott sich zeigt, indem er Fleisch annimmt. „Für uns Menschen und zu unserem Heil“ ist Gott Mensch geworden; so dürfen wir glauben, so beten wir im Großen Glaubensbekenntnis. Gottes Gegenwart, seine Liebe, seine Barmherzigkeit kommt leib-haftig auf uns Menschen zu. Gott wählt den Weg über den Leib, um der Welt aus unsichtbarer Ferne ganz nahe zu kommen. Er tut das, ohne sich die Schattenseiten eines leiblichen Daseins zu ersparen. Ganz im Gegenteil: er nimmt Schmerzen, Folter und Tod auf sich. Der Leib Jesu wird zum Zeichen der Erlösung.

Eine zweite Konsequenz wird mit dem Konzil von Nicäa deutlich: Wir glauben an einen Gott in drei Personen. Der Begriff der Person wird heute vor allem unter dem Aspekt von Selbstbestimmung und Individualität gelesen. Im Verständnis der Konzilsväter aber weist das Wort Person auf deren soziale Dimension hin. Person sein heißt Beziehung leben. Gott ist Gemeinschaft, in Gott geschieht Beziehung. Wir sind geschaffen aus dieser Liebesbeziehung Gottes heraus; wir Menschen sind Beziehungswesen.

Und Sie liebe Eheleute, sie verkörpern das! In der Ehe ist nicht nur jeder als Einzelner ein Abbild Gottes, sondern ihre Beziehung zueinander erzählt etwas von Gott und macht Gott, macht seine Liebe sichtbar. Keine Berufung ist besser oder höherwertiger als die andere; Sie und ich sind auf je eigene Weise berufen, etwas von der Wirklichkeit Gottes widerzuspiegeln. Das Besondere der Ehe ist, dass eine Beziehung zwischen zwei Menschen Sakrament ist und so zum Zeichen des Heils wird.

Das Stichwort Sakrament lässt mich noch einmal zur Bedeutung des Leibes zurückkehren. Leiblichkeit ist nicht etwas Gottfernes, sondern Heilsweg Gottes. In den Sakramenten und Sakramentalien der Kirche entdecken wir das wieder. Sie beziehen nicht zufällig materielle Elemente und die Sinne des Menschen mit ein. Denken Sie an das Wasser der Taufe, an Brot und Wein bei der Eucharistie oder den wohlriechenden Chrisam. Der Ehebund ist von Gott gesegnetes Beziehungsgeschehen, das sich im menschlichen Leib ausdrückt. Es wird darin Christus ähnlich. So wie Christus seinen Leib für uns hingegeben hat, so setzen sich insbesondere Eheleute mit Leib und Seele füreinander ein. Werfen wir einen kurzen Blick auf drei Bereiche des Ehelebens, in denen die Leiblichkeit zum Tragen kommt:

1)   Die Ehe ist das einzige Sakrament, dass nicht vom Priester gespendet wird. Sie selbst wurden sich zum Spender dieses Sakraments. Wir haben eingangs bereits gesagt, dass der Mensch leiblich ausdrückt, was im Innersten verborgen ist. Ehe ist Entscheidung, ist Annahme des anderen. Dieses ganzheitliche und gegenseitige Ja findet im leiblichen Einswerden seinen besonderen Ausdruck. Es ist die intimste Form der körperlichen Begegnung von zwei Menschen, die zugleich die Paarbeziehung überschreitet, wenn sie auch leiblich fruchtbar wird und Kinder daraus hervorgehen.

2)   Die leibliche Dimension spiegelt sich auch in der täglichen Sorge um das Wohl des Anderen wider. Essen und Trinken, ein Dach über den Kopf und Kleider am Leib - es sind lebensnotwendige Dinge, die ein Zuhause prägen; im Fall von Eheleuten und Familien dürfen wir ergänzen: die Anwesenheit geliebter Menschen - auch das macht ein Zuhause aus. Darüber hinaus gehören gemeinsame Mahlzeiten und das Feiern verschiedener Anlässe zum Familienleben; Momente, die Zusammenhalt, Freude und Genuss bringen.

3)   Ein dritter Aspekt von Leiblichkeit nimmt in zunehmendem Alter immer mehr Raum ein. Neben den Freuden erfahren wir durch Krankheit und Gebrechlichkeit auch die Grenzen unserer leiblichen Existenz. Wieviel Stunden an Pflege und Unterstützung schenken sich Eheleute; Stunden fürsorglicher Hingabe, die oft im Verborgenen geschehen, solange die eigenen Möglichkeiten und Kräfte dafür ausreichen.

Wir sind gerufen, Bild Gottes zu sein, als „neue Menschen“ zu leben. Die Kehrseite wäre den Anderen meiner Laune, meinen Emotionen oder meinem Nutzen nach zu behandeln. Die Ehe als lebenslange Schule lehrt, dass wir miteinander auch in unserer Leiblichkeit unserer Würde entsprechend umgehen. Das ist ohne Frage ein hoher Anspruch. Das gelingt uns nicht immer, das gelingt uns nicht fehlerfrei! „Lasst euch erneuern“ (Eph 4,23) ruft uns Paulus im Epheserbrief zu. Erneuerung ist ein Prozess. Mit den Jahren blicken Sie auf sehr verschiedene Etappen ihres gemeinsamen Weges zurück. Sicher war es mehr als einmal erforderlich, reinen Tisch zu machen, aufeinander zuzugehen, zu vergeben und die Sonne nicht, oder nicht ein weiteres Mal unter eurem Zorn untergehen zu lassen. Die eigenen Ecken und Kanten und die des Partners, aber auch äußere Ereignisse führen dazu, sich immer wieder neu miteinander anfreunden zu müssen. Berufliche Veränderungen, der Wechsel des Wohnorts, das Geschenk der Elternschaft, Krankheiten, ein unerfüllter Kinderwunsch oder gar der schmerzliche Verlust von Kindern oder anderen nahestehenden Menschen - all das fordert und formt die eheliche Beziehung immer wieder aufs Neue.

Lasst euch erneuern! Vergessen Sie niemals den Dritten im Bunde! Fünfzig, fünfundfünfzig, sechzig und mehr Ehejahre haben Sie erreicht! Es ist Ihr Ja, es ist Treue, Hingabe und Vergebungsbereitschaft, die Sie heute hier sein lassen, aber es ist auch die Gnade Gottes. Unser Gott ist ein Gott der Beziehung, Euer Heil-Werden und das Wohl Eurer ganzen Familie liegt Gott wirklich am Herzen. Es gibt nicht nur Priestermangel; auch das, was Sie miteinander leben, wird rar. Umso wertvoller ist das Vorbild Ihrer Lebensgemeinschaft für die jüngere Generation. Vergelts Gott für Ihr Zeugnis, dass der Welt „leibhaft“ von der Liebe Gottes erzählt!