Hedwig von Andechs (1174-1243)
"Papst Clemens, Diener der Diener Gottes, sendet seinen ehrwürdigen Brüdern, dem Erzbischof von Gnesen und den ihm unterstellten Bischöfen, Gruß und apostolischen Segen.
Die milde Mutter aller Gläubigen, die Kirche, ist voller Freude, und ihrem Herzen entströmen Preis und Jubel. Denn während sich die Welt dem Abend zuneigt, hat sich eine unschätzbare Perle gefunden, nämlich eine starke Frau. Kein Schicksalsschlag konnte ihr standhaftes Gemüt erschüttern, und nichts in aller Welt vermochte sie abzubringen von ihrem Entschluss, ein heiligmäßiges Leben zu führen.“ So beginnt die Bulle vom 26. März 1267, mit der Papst Clemens IV. von Viterbo aus die Heiligsprechung Hedwigs von Schlesien verkündete.
Wenn wir jedoch auf ihren Geburtsort schauen, dann müsste Hedwig von Schlesien eigentlich Hedwig von Andechs heißen. In Andechs stehen wir an der Wiege dieser „unschätzbaren Perle“ und „starken Frau“, wie sie Papst Clemens nannte. In Andechs auf der Herrenburg mit ihren Mauern und Türmen, ihrem weiten Blick über Wiesen und Wälder hoch über dem Ammersee thronend ist Hedwig aufgewachsen. In den Reliquiaren der Burgkapelle war sie von Kindesbeinen an eingebunden in die Gemeinschaft der Heiligen. Es war der Ahnherr Graf Rasso der Heilige, der die Heiligtümer aus Rom und Jerusalem nach Bayern mitgebracht hatte. So wird Andechs nicht von ungefähr auch „Heiliger Berg“ genannt.
Den Mutterboden des Glaubens, in den Hedwig hineingeboren wurde, wollen wir für uns fruchtbar machen: Was würde uns die hl. Hedwig predigen, wenn sie heute vor uns stünde? Welchen Weg zeigt sie uns für unsere Bemühungen, die Schätze des Glaubens weiterzugeben nicht nur als folkloristische Bräuche (die in Bayern noch sehr verbreitet sind), sondern als lebendige Überlieferung eines kostbaren Erbes?
1. Die Herzogin als Mutter der Armen und Kranken
Hedwig war dreizehn Jahre alt – fast noch ein Kind, als sie vermählt wurde und ihrem Gatten Heinrich, der Bärtige genannt, nach Schlesien folgte. Dem Willen ihrer Eltern gehorsam, sah sie darin eine Einladung Gottes, ihre Berufung zu entdecken: hineinzuwachsen in die Aufgabe einer Herzogin, die ihre ganze Existenz einfordern sollte.
Ihre besondere Vorliebe und Sorge galt den Kranken, Armen und Schwachen. Selbst aus der Zurückgezogenheit des Gebetes, in der sie sich nur ungern stören ließ, wollte sie geholt werden, wenn Notleidende und Bedürftige vor der Tür standen. Diese Liebe zu den Armen verband sie mit ihrer Nichte Elisabeth von Thüringen. Doch bei Hedwig kam etwas hinzu, was spätere Biographien manchmal in Verlegenheit brachte: Sie liebte die Armut und lebte sie, zugleich aber sah sie es als ihre Verpflichtung an, nicht aus der Verantwortung zu fliehen, die sie als Herzogin ihrem Land gegenüber hatte. Nach dem Tod ihres Gatten (um 1238) lebte Hedwig im Kloster Trebnitz, das sie gestiftet hatte. Ihre Tochter Gertrud, die dort Äbtissin war, drängte die Mutter, den Schritt zu tun und in das Kloster einzutreten. Aber vergeblich! Hedwig lehnte ab. Begründung: Sie kann nicht ins Kloster gehen, weil sie bis zu ihrem Lebensende über ihr Witwengut selbst verfügen will, nicht um zu genießen nach dem Motto: „Man gönnt sich ja sonst nichts“, sondern um es reichlich auszuteilen an die Armen, die ihr ans Herz gewachsen waren wie einer Mutter. Hedwig wurde nicht Nonne, weil sie als reiche und lustige Witwe frei und unverbindlich hätte leben wollen. Im Gegenteil: Sie wollte sich noch intensiver binden an die Notleidenden und Kranken und damit an Christus: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Die Botschaft der hl. Hedwig ist aktuell. In ihrer Zeit eine „starke Frau“, ruft sie uns die „Option für die Armen“ in Erinnerung. In Deutschland, einem reichen Land, gibt es neue Armut. Wie stark und tragfähig ist unser soziales Netzwerk? Wer fällt bei uns zwischen die Maschen? Die Stimme der hl. Hedwig findet bis heute ihr Echo, wenn die Kirche ihrem Grunddienst der Caritas nachkommt.
2. Die Landesfürstin als Friedensstifterin
Der caritative Einsatz der hl. Hedwig sprengte kulturelle und ethnische Grenzen. Um 1200 war Schlesien in einem großen Umbruch begriffen. Zu der polnischen Bevölkerung, die nur spärlich das Land besiedelte, waren Bauern, Handwerker, Mönche und Künstler aus allen deutschen Stämmen, vor allem Franken und Flamen, ins Land gekommen. Die Spannungen, die sich zwischen so verschiedenen Volksgruppen entwickelten, mussten überwunden werden. Herzog Heinrich, ständig in Auseinandersetzungen mit anderen Piasten verwickelt, blieben nur wenige Möglichkeiten, sich dem Ausgleich dieser Spannungen zu widmen. Hier sah die Herzogin eine ihrer Aufgaben und Verantwortung für die Menschen, die in ihrem Land lebten. Ob es Deutsche waren oder Polen, ihr galt jeder gleich. Jeder Bedürftige und Unterdrückte konnte ihrer Fürsprache und Unterstützung sicher sein.
Mit ihrem Einsatz für den Frieden wirkte Hedwig über den sozialen Bereich hinaus in die Politik hinein. Selbst persönliche Gegner ihres Mannes, die man ins Gefängnis geworfen hatte, vergaß sie nicht. Für manche von ihnen konnte sie sogar die Befreiung erwirken. Aus ihrer Zurückhaltung tritt Hedwig endgültig heraus, als ihr Gatte bei einer Schlacht in Gefangenschaft gerät. Einen Befreiungsschlag mit Waffen lehnt sie ab, dafür setzt sie auf einen gewaltlosen Friedensmarsch. Ohne Waffen macht sie sich persönlich auf den Weg zum Kriegsgegner und erreicht die Freilassung ihres Gatten, ohne dass ein Schwertstreich fällt.
Die Friedensdiplomatie dieser Frau steht bis heute über der deutsch-polnischen Aussöhnung. Zunächst sind Geburtsort und Begräbnisstätte eng zusammengerückt: Kardinal Bertram von Breslau hat in dunkler Zeit dem Kloster Andechs eine Kopfreliquie der hl. Hedwig aus Trebnitz geschenkt. Als sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil polnische und deutsche Bischöfe trafen, um Schritte der Versöhnung unter ihren Völkern vorzubereiten, stellten sie dieses Vorhaben unter das Patronat der hl. Hedwig. Der letzte Gottesdienst, den Kardinal Döpfner in Andechs feierte, war der deutsch-polnischen Versöhnung gewidmet.
Diese Schritte aufeinander zu mündeten in einen gemeinsamen Weg des Vertrauens, auf dem sich polnische und deutsche Bischöfe bis heute bewegen. Das ist die Richtung für die Zukunft. Die regelmäßigen Tagungen, die in Andechs immer wieder Persönlichkeiten aus Kirche und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenführen, um Visionen für ein christliches Europa zu entwickeln, haben in der hl. Hedwig eine renommierte Schirmherrin.
3. Die „starke Frau“ als spirituelle Persönlichkeit
Wenn der aktiven Landesmutter die Nächstenliebe als oberstes Gebot galt, dann vergaß sie darüber das geistliche Leben nicht. Sie war keine „First Lady“ mit der Zuständigkeit für Sozialprojekte, sondern eine tief geistliche Persönlichkeit, deren Caritas im Dienst der Pastoral stand. Hedwig war eine passionierte Katechetin. Über Ehe und Familie unterwies sie ihre Schwiegertochter Anna, über Beten und Beichten ihren Hofstaat. Als sie bemerkte, dass eine alte Waschfrau das Vaterunser nicht beten konnte, nahm Hedwig sich ihrer an und übte mit ihr so lange, bis die alte Frau das Gebet auswendig konnte. Hedwig „trichterte“ das geistliche Leben nicht ein, sie bezeugte es, indem sie es selbst praktizierte, so dass ihre Mitmenschen es bei ihr „abschauen“ konnten: Wir wissen von Hedwigs Psalmenbuch, täglicher Betrachtung, Anbetung der Eucharistie und kindlicher Liebe zu Maria.
Weitere Grundzüge von Hedwigs Spiritualität sind ihre Nüchternheit und Herbheit. Bei ihrer Nichte, der hl. Elisabeth, konnten Herz und Gemüt mitunter überschwänglich werden. Hedwig hingegen folgte eher ihrem Verstand. Trotzdem war ihr Charakter weder trocken noch kalt. Sie war kein „Mannweib“, sie war eine „Frau mit Herz“. Das Leiden blieb ihr nicht erspart. Den Tod von sechs ihrer sieben Kinder musste sie miterleben; am tiefsten hat sie wohl der Verlust ihres Sohnes Heinrich II. getroffen, der in einer Tartarenschlacht gefallen war.
Trotz verschiedener Schicksalsschläge ist sie nicht verbittert, sondern innerlich gewachsen. Sie hat gelernt, ihr Leben immer mehr als „compassio“ Christi zu sehen. Diese innere Reife lässt sich ablesen aus dem Gebet, das sie auf die Todesnachricht ihres Sohnes Heinrich hin sprach: „Ich danke dir, Gott, dass du mir einen solchen Sohn gegeben hast, der mich, solange er lebte, stets geliebt und mich nie in etwas betrübt hat. Obwohl ich ihn sehr gern bei mir auf Erden hätte, gönne ich ihm von Herzen, dass er durch sein Martyrium mit dir, seinem Schöpfer, nun schon vereinigt ist im Himmel; seine Seele empfehle ich dir, mein Gott und Herr, von Herzen.“
Die hl. Hedwig erinnert uns daran, dass Andechs ein „Heiliger Berg“ ist und bleiben soll. Die Benediktiner tragen dazu bei, dass unzählige Pilger diesen geschichtsträchtigen Ort gern aufsuchen. Viele Männer und Frauen, über die konfessionellen Grenzen hinaus, tragen ihre Sorgen und Nöte auf den Heiligen Berg. Auch in Zukunft wird Andechs eine Tankstelle sein, nicht nur für durstige Kehlen (Bier!), sondern vor allem für die Seele. Möge dieses geistliche Zentrum Andechs über den Heiligen Berg weit hinausstrahlen nach Bayern, nach Deutschland und nach ganz Europa.