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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram an Mariä Himmelfahrt

Marias Geburtstag für den Himmel

15.08.2022

Wir sind heute zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Denn was ist das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel anderes als ihr Geburtstag für das Ewige Leben? Wer einer Geburtstagseinladung Folge leistet, der bringt ein kleines Geschenk mit und verbindet damit einen persönlichen Glückwunsch.

Es fällt nicht leicht, Maria zu beglückwünschen, denn viele von uns haben wohl irgendwann schon einmal Schwierigkeiten mit dieser Frau gehabt. So könnten wir uns zunächst einmal fragen: Wie habe ich bisher Maria in meinem Glaubensleben erfahren? Die Maria der Maiandachten? Die Maria als ökumenisches Streitobjekt? Die Maria an der Krippe? Die Maria der feministischen Theologie? Die Maria der Dogmen? Die Maria des Rosenkranzgebetes? Die Maria als sanfte Begleiterin meines Lebens? Die Maria, die mir unbekannt geblieben ist und zu der ich keine Beziehung habe? Oder die Maria, die mir in der Betrachtung ihres Lebens dieses oder jenes Evangelium nahegebracht hat? Jedenfalls fällt es nicht leicht, Maria zu beglückwünschen. Vielleicht haben wir sie fast schon zu groß gemacht – die kleine Jüdin Miriam, von der wir zunächst nichts wissen, als dass sie in jungen Jahren, ohne verheiratet zu sein, Mutter wird. Ihr Sohn behauptet, nicht nur eines Menschen Kind, sondern Gottes Sohn zu sein. Vielleicht haben wir es leichter, Maria unsere Glückwünsche auszudrücken, wenn wir sie von der hohen Säule einmal herunternehmen und mitten unter uns Menschen hineinstellen – als eine von uns. Denn es spricht sich leichter, wenn man dem anderen in die Augen schauen kann.

 

Ein erster Glückwunsch lautet:

Maria wir beglückwünschen dich zu deinen offenen Ohren.

Wer das Leben Marias ein wenig nachgeht, wird sie als Hörende entdecken. Im Tympanon einer Nürnberger Kirche ist dargestellt, wie Maria durch das Ohr Christus empfängt: „sola fide“ und „sola gratia“, d.h. allein durch Glauben, durch Gnade von Gott her, ist sie ganz Ohr für ihn, und ihr ganzes Leben setzt diesen Anfang fort. Die Botschaft über Maria als Hörende schlägt übrigens eine ökumenische Brücke zu unseren protestantischen Brüdern und Schwestern. Menschlich brachte Maria nichts mit – für Gott die Möglichkeit, aus ihr alles zu machen. So steht sie vor uns wie eine große Ohrmuschel.

Sind wir überhaupt noch fähig zuzuhören? Der Hörende erwartet mehr als Informationsaustausch; er versucht sich in den anderen Menschen hineinzuhören: Was schwingt mit in seiner Stimme? Sagt er etwas, indem er schweigt? Einem Menschen lauschen, kann eine Neuentdeckung sein. Ich denke, wir haben oft das Lauschen verlernt. Als Priester wünsche ich mir selbst, immer mehr ein Hörender zu werden. Vielleicht ist die Krise der Beichte nicht zuletzt eine Krise der Priester: Wir sollen zuerst einmal hören und lauschen. Dann erst gilt es, selbst das Wort zu ergreifen und den Zuspruch zu geben. Dies gilt auch für die Kirche als Ganze: Vielleicht reden wir deshalb so oft an den Menschen vorbei, weil wir antworten, wo wir gar nicht gefragt wurden und Fragen stellen, die die Menschen in ihren Freuden und Nöten nicht interessieren. Oder als Ehepartner und Freund: Wieviele scheitern in ihrer Beziehung daran, dass sie einander nicht mehr zuhören können. Gespräche werden im Keim erstickt; man vereinbart viele Treffen, und trifft sich eigentlich nie. Man pflegt den täglichen Umgang und umgeht einander in den entscheidenden Fragen. Der Blick auf Maria belehrt uns eines Besseren: Sie ruft uns in die Stille des Wartens und Lauschens auf Gottes Verkündigung; als Kirche mahnt sie uns zur Geduld, unsere Sendung gerade in Situationen zu erfüllen, die undankbar, hoffnungslos oder besonders konfliktgeladen sind. Maria, wir beglückwünschen Dich zu Deinen offenen Ohren.

 

Aus dem Hören erwächst die Antwort:

Maria, wir beglückwünschen Dich zu Deinem beherzten Ja.

Wir müssen uns einmal in die Lage des jungen Mädchens hineinversetzen. Erschreckt und verwirrt stellt es fest, dass sich in seinem Körper etwas tut. Bekomme ich ein Kind?, mag sie beklommen gefragt haben. Oder stimmt etwas mit meiner Gesundheit nicht? – Welche Not mag sie wohl ausgestanden haben? Wie es beim Menschen so ist, musste sie über kurz oder lang zum Mittelpunkt des Dorftratsches werden. Keine leichte Situation für ein Mädchen, sich selbst und noch mehr den anderen die Schwangerschaft plausibel zu machen. Die Antwort Gottes klingt überraschend. Sie bietet kein einsichtiges Rezept, wie der Mensch es sich wünscht; und noch etwas ist zu bedenken: Damals hätte es ohnehin keine Rezepte gegeben, mit deren Hilfe man unerwünschte Kinder entweder im Vorfeld ganz verhindern oder vor der Geburt noch hätte loswerden können. Maria bekommt nur die Zusicherung des Geistes. Das ist alles: Heiliger Geist wird über Dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Ein Kind vom Heiligen Geist. Können wir das überhaupt noch einer alten Großmutter erzählen?

Auf diese unglaubliche Botschaft hat Maria mit einem beherzten Ja geantwortet: Ich bin die Magd des Herrn. Eine Magd ist ihrem Herrn preisgegeben. Wenn zwei Menschen heiraten, geben sie sich füreinander preis in Liebe: In Gesundheit und Krankheit, in der Jugend und im Alter, in guten und in bösen Tagen. Immer und überall sind sie einander preisgegeben   und damit einander verbunden. Dieses Versprechen sollte sich nicht irgendwann als unüberlegter Versprecher entpuppen. In Maria haben wir ein Vorbild, auch zu schwierigen und unkonventionellen Entscheidungen zu stehen: Maria, wir beglückwünschen Dich zu Deinem beherzten Ja und bitten Dich, dass du uns immer Vorbild bist, wenn wir als Kirche ungewohnte Schritte tun müssen.

 

Noch einer kommt hinzu, der meist im Hintergrund bleibt und von der Kirche den Titel „Arbeiter“ bekommen hat. Es ist Josef, der Verlobte, der Maria nicht bloßstellen und sich deshalb im Stillen von ihr trennen wollte.

Maria, wir beglückwünschen Dich zu Josef, der Deinen Sohn, den Gottessohn, erzog.

Es ist schade, dass Josef meist nur als alter Mann dargestellt wird. Aber vielleicht war er ein junger Mensch, der von der Ehe mit Maria träumte. In einem modernen Lied über Josef heißt es: Du wolltest weiter nichts, o nein, als mit Maria glücklich sein. Wahrscheinlich war es hart für diesen jungen Mann, die Vaterschaft an den Heiligen Geist abtreten zu müssen. Selbst abzunehmen, damit ein anderer zunehmen darf – so könnte man die Biographie Josefs auf einen Nenner bringen. Von ihm überliefern uns die Evangelien kein einziges Wort. Seine Spuren verlaufen schließlich im Sand. Ich stelle mir vor: Wenn Josef sein Evangelium geschrieben hätte, ein Evangelium nach Josef, dann hätte es wohl das eine große Thema der Liebe: Liebe heißt, bei größter Nähe auch Trennung und Distanz zulassen. Ohne Josef keine Gottesmutter, ohne Gottesmutter keinen menschlichen Erlöser.

Die Gestalt des Josef rückt uns näher als wir denken: etwa, wenn Eltern ihren Einfluss auf Kinder schwinden sehen; wenn andere Menschen ins Leben eines Freundes treten und wir selbst uns in der Beziehung zurücknehmen müssen; nicht zuletzt dort, wo ein Jugendlicher zu seinen Eltern oder Freunden sagt: „Ich muss etwas anderes tun, als Ihr Euch von mir erwartet. Ich gehe ins Kloster oder werde Priester.“ Dann ist auch von uns die Haltung des Josef gefordert: akzeptieren und doch weiter begleiten – in Gedanken und Gebeten. Ich habe diese Haltung sehr schön in einem Gedicht ausgedrückt gefunden:

 

„Wieviel er von dem Ganzen je verstand, wer weiß.

Was er gesprochen, schien den Schreibern nicht der Reder wert.

Zur Not weiß man grad eben seinen Namen: Josef.

Doch was er tat, das Wesentliche,

hat man uns freilich aufgeschrieben, weil’s dazugehört,

weil auch dem scheinbar Unbedeutenden

um Jesu willen und für diesmal

höhere Bedeutung zukam.

Was er tat? Das Nötige.

Auch wenn sie nicht von ihm empfangen hatte

die Mutter – er verstieß sie nicht.

Auch wenn er nicht sein Vater war,

Er zog es dennoch auf – das Kind.

 

Wieviel er von dem Ganzen je verstand, wer weiß.

Dass er und sie ihn brauchten, das verstand er wohl

und tat das Seine.“

 

Wir haben versucht, unsere Geburtstagsglückwünsche für Maria in passende Worte zu kleiden: Wir beglückwünschen Dich zu deinen offenen Ohren, zu Deinem beherzten Ja und zu Deinem Verlobten Josef.

Einen hätten wir jetzt fast vergessen: Wir beglückwünschen Dich zu Deinem Sohn Jesus. Auch wenn wir den Geburtstag Marias feiern, bleibt doch Er der eigentliche Gastgeber: Er sorgt bei der Feier für die „Himmelsspeise“, indem er sich selber in Brot und Wein verschenkt für unsere Pilgerreise. Maria, wir beglückwünschen Dich zu Deinem Sohn, der Mahl mit uns hält und der es erst möglich macht, dass wir Deinen Geburtstag für den Himmel feiern können. Denn in seinem Licht schauen wir Dein Licht.