Mary Ward (1585-1645)
Vor dem Haus eines alten Mannes ragt ein hoher Berg. Der Berg nimmt ihm das Licht, das er sich zum Leben wünscht.
Was tut er? Er fängt an, nimmt Hacke, Schaufel und Schubkarre und beginnt, den Berg abzutragen. Die Nachbarn fangen an zu lächeln und zu spotten: „Jetzt ist er ganz verrückt geworden, der Alte!“ Er sagt: „Wartet nur, ich werde das schon schaffen, Schaufel für Schaufel, Karre für Karre.“ „Das schaffst du doch nie!“, sagen die Nachbarn. Er darauf: „Vielleicht habt ihr Recht. Aber wenn ich es nicht schaffe, dann werden meine Söhne weitermachen; wenn die es nicht schaffen, deren Söhne - irgendwann ist der Berg abgetragen.“ Die Legende mündet in den Satz: „Als Gott im Himmel dieses Vertrauen sah, da schickte er zwei Engel, die den Berg auf ihren Flügeln davontrugen.“
Als Mary Ward sich im Jahre 1609 mit einigen Gefährtinnen zusammentat, um nach ihrer Zeit bei den Klarissen „etwas Anderes“ anzufangen, befand sich die junge Frau in einer ähnlichen Lage wie der alte Mann in der Geschichte. Sie sah sich vor einem hohen Berg, gleichsam umstellt von Autoritäten der Gesellschaft Jesu, von Bischöfen, Nuntien und einflussreichen Personen in Rom; eingekreist von Argwohn und Missgunst, von Eifersucht und Spott. Ein weiblicher Zweig der Jesuiten schien damals nicht vorstellbar. Mary Ward war ihrer Zeit voraus, doch wie der alte Mann in der Geschichte sagt sie heute an ihrem Geburtstag im Blick auf ihr Institut: „Wenn ich es nicht schaffe, dann werden meine Töchter weitermachen; wenn die es nicht schaffen, deren Töchter – irgendwann ist der Berg abgetragen.“ Mary Ward sollte Recht behalten: Gott hat nicht zwei Engel geschickt, er hat geholfen, dass Generationen von sog. „Englischen Fräulein“ auf dem ganzen Globus tätig wurden, um das „Andere“ von Mary Ward aufzubauen. 400 Jahre ist das Institut alt, und doch ist es jung geblieben, weil Mary Ward nicht alt geworden ist: Ihr Geist wird von den Schwestern jung gehalten und weiter getragen. Obwohl es 300 Jahre brauchte, bis Mary Ward von der Kirche offiziell als Gründerin anerkannt wurde, ist viel geschehen: Mittlerweile hat die männliche Societas Jesu (Jesuiten) auch vom Namen her ein weibliches Pendant bekommen: die Congregatio Jesu (Institut der Mary Ward).
Unterricht und Lehre gehören zu den obersten Prioritäten, die Mary Ward erfüllt haben. So dürfen wir sie heute fragen: Mary Ward, wenn du jetzt predigen könntest, was würdest du uns heute sagen? Das Wort, das bei Mary Ward ganz groß geschrieben wurde, heißt Jesus. Deshalb hätte sie sich sicher sehr über die Auswahl des Evangeliums gefreut. Jesus war ihr Weg, Wahrheit und Leben.
Jesus der Weg
In Exerzitien notiert Mary Ward: „Das scheint der Weg zu sein, dass man ihn (Jesus) zuallererst kennen soll, danach ihn ersehnen, dann ein wenig eigenes Bemühen dazugeben, und Gott wird das Übrige tun. Ich beschloss, für mich selbst diesen Weg zu wagen, dann ihn anderen durch mein Beispiel zu zeigen und schließlich weiterzugeben an solche, die sonst keine Möglichkeit hätten, ihn kennen zu lernen.“ Jesus kennen lernen – darum ging es ihr – und die Freundschaft zu Jesus mit anderen teilen. Das war ihr Weg, den sie für sich und ihre Gefährtinnen erkannte. Glaube will geteilt und mitgeteilt werden, Glaube ist „Kommunikation“, wie schon Ignatius von Lojola sagte. Das große gefüllte Leben von Mary Ward, ihre unermüdlichen Reisen, auf denen sie in einem Jahrhundert der Kriege und tiefer Leiden den Kontinent durchquerte: Unter gefährlichen Umständen versuchte sie, Menschen für den katholischen Glauben zu gewinnen. Dabei ging sie unkonventionelle Wege; ihre Idee war ein alternatives Ordensleben selbstbewusster Frauen ohne Abschottung und Klausur. All das ist Antwort auf die Berufung des Herrn, der ihr Weg und zugleich Wegweiser war: „Es wurde mir mit Klarheit und Sicherheit gezeigt, dass etwas anderes für mich bestimmt sei, das unvergleichlich mehr zur Ehre Gottes gereiche als mein Eintritt in jenen heiligen Orden“ (1609).[1] Und später wird sie notieren: „Unser Glück, unsere Sicherheit und unser Fortschritt kommen nicht von Reichtümern, Größe, Gunsterweisungen von Fürsten, sondern liegen darin, dass wir einen offenen und freien Weg zum allmächtigen Gott haben. Von dort müssen Kraft, Licht und Schutz kommen“ (1625).
Jesus die Wahrheit
Kraft, Licht und Schutz kommen einem Menschen nur zu, wenn er sich auf die Suche nach der Wahrheit macht. Die Wahrheit ist nicht vom Menschen selbst gemacht, sie ist Geschenk des Himmels. Das hat Mary Ward 1609 erlebt, als sie dabei war, vor dem Spiegel ihr Haar zu machen. Es war mehr als ein Traum, es war eine „eingegossene Erleuchtung“. Wie manchem jungen Menschen war ihr noch nicht klar, was ihre wahre Berufung sein sollte. Da wird ihr die Wahrheit gezeigt, dass sie „für etwas ganz anderes bestimmt sei, was der Ehre Gottes ungleich mehr dienen würde“ als der Eintritt in ein beschauliches Kloster: „Ich konnte nicht erkennen, worin das mir zugesagte hohe Gut bestünde, aber die Ehre, die Gott daraus zukommen sollte, schien so unaussprechlich und überfließend, dass meine Seele ganz davon erfüllt wurde und ich geraume Zeit nichts anderes fühlen oder hören konnte als den Klang der Worte: „Gloria! Gloria! Gloria! Was das alles genau bedeutete, wusste ich nicht. Mir war nur klar: Gott ruft mich! Er gibt mir eine Aufgabe, der ich mich nicht entziehen darf“ (1609).
Diese Gloria-Vision war visionär für die Zukunft. Zeitlebens blieb Mary Ward der Wahrheit auf der Spur. Klipp und klar brachte sie es auf den Punkt: „Wer nicht vorwärts geht, geht zurück.“ Ist das nicht eine aktuelle Zeitansage für heute? Wer nicht vorwärts geht, geht zurück. Wie viel denken wir nach über die Zukunft der Kirche? Was machen wir uns für Sorgen um die Rechtgläubigkeit? Und manchmal vergessen wir dabei die Glaubwürdigkeit. Ist es nicht traurig, dass gerade Menschen, die sich um geistliche Erneuerung der Kirche mühen und die Spiritualität groß schreiben, zu wünschen übrig lassen, wenn es um menschliche Standards geht? Gnade setzt die Natur voraus, das ist eine theologische Binsenweisheit. Auf unser Leben übertragen: Wahrheit bekommt erst Kraft, wenn sie gelebt wird in Wahrhaftigkeit. Nicht die Nostalgie an scheinbar gute alte Zeiten wird uns retten, nicht der Rückweg ins Gestern, sondern mutige Schritte in die Zukunft, wo der Herr auf uns wartet, um alle Schleier wegzunehmen, die auf dieser Erde noch über der letzten Wahrheit liegen. Nur wer vorwärts geht, macht Fortschritte, auch im geistlichen Leben. Wer aber nicht vorwärts geht, geht zurück. Damit spannt sich der Bogen zu
Jesus das Leben
Für Mary Ward stand außer Zweifel, dass sinnvolles Leben nur im Raum der Kirche gelingen kann. Selbst als sie ihre Gründung von der Autorität der Kirche zerstört sah, blieb sie gehorsam. In einem Jahrhundert der Rebellion hat sie die kirchliche Gemeinschaft nie aufgekündigt, obwohl sie – menschlich gesehen – manchen Grund dafür gehabt hätte. Sie hat das eigene Ich in das Wir der katholischen Kirche eingebettet. Nicht nur intellektuell, sondern vom Herzen her hat sie Jesu Wort verstanden: „Einer sät, und ein anderer wird ernten“ (Joh 4,37). Das ist die Geduld, die große Tugend der Dienerinnen und Diener Gottes: Sie säen nicht für ihren persönlichen Erfolg, sondern sie werfen den Samen aus für die Ewigkeit. Sie sind sich bewusst, dass sie selbst aus der Saat eines anderen leben: vom Weizenkorn, das für uns gestorben ist und Frucht bringt für die Ewigkeit. So hat auch Mary Ward den Samen ihres Instituts in den Acker der Kirche gegeben. Auch wenn sie noch keine großen Früchte ernten konnte, auch wenn sie viel leiden musste durch die kirchliche Autorität, hat sie keinen Kirchenfrust geschoben. Sie starb im Raum der Kirche, im Kreise ihrer Gefährtinnen mit dem Vertrauen, dass die Frucht des Lebens die Geduld des Reifens braucht. Im Angesicht ihres Todes halten ihre Gefährtinnen fest: „Der Name Jesus war ihr erstes und ihr letztes Wort, Anfang und Ende all ihrer Bitten, ihre Zuflucht in Gefahr und ihr Schutz bei jedem Übel. Dreimal sprach sie den Namen Jesu aus und gab ihre Seele ihrem Schöpfer zurück“ (1645).
Jesus war ihr Weg, Wahrheit und Leben. Mary Ward war eine passionierte Freundin Jesu Christi. Kein Wunder, dass sie noch auf dem Sterbebett sagen konnte: „Kommt, lasst uns doch singen und Gott fröhlich preisen.“
[1] Hier ist der Karmel gemeint, wie ihr Beichtvater vorgeschlagen hatte.