„Neue Zeitrechnung der Fortpflanzungsmedizin in die verkehrte Richtung“

Augsburg (pba). Der Augsburger Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger, Mitglied im Deutschen Ethikrat, und der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, ebenfalls Mitglied des Deutschen Ethikrates, haben das Urteil vom 6. Juli 2010 des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofes zur Präimplantationsdiagnostik scharf kritisiert. Das Urteil erleichtere eine Fehlentwicklung der modernen Fortpflanzungsmedizin, weil es eine Selektion unter den künstlich erzeugten Embryonen erlaube. Die probeweise Erzeugung einer Überzahl von Embryonen, die anschließend einer Qualitätskontrolle unterworfen werden, widerspreche der Menschenwürde und dem Instrumentalisierungsverbot, das auch das vorgeburtliche menschliche Leben schütze.
Die Verwerfung eines Embryos aufgrund eines auffälligen Chromosomen-Befundes verstoße aber nicht nur gegen das Achtungsgebot der Menschenwürde und das Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit, sondern auch gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes, das den voraussichtlich behinderten Embryo ebenso vor Diskriminierung schützt wie geborene Menschen mit Behinderung. Das Urteil stelle eine unerträgliche Diskriminierung von behinderten Menschen dar, so die beiden Theologen.
Mit dem Urteil beginne in der Tat eine neue Zeitrechnung der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland, die sich in die "verkehrte" Richtung entwickeln werde: Weg vom bisherigen Schutzgedanken, hin zu selektiver Willkür, die menschliches Leben den Wunschvorstellungen seiner Erzeuger opfere.
Der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte gestern festgestellt, dass sich ein Frauenarzt durch die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik nicht wegen Verletzung des Embryonenschutzgesetzes strafbar gemacht hat. Gegenstand der Entscheidung sei nur die Untersuchung auf schwerwiegende genetische Schäden gewesen. Eine unbegrenzte Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale sei damit nicht zugelassen, betonte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung.