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Gesprächsabend in Kempten: „Berufung im Gespräch - Den eigenen Weg finden“

16.06.2016

Kempten (pdke). Den eigenen Weg finden, seinem Ruf folgen und seine Berufung erkennen – dieser Leitgedanke zog sich wie ein roter Faden durch den Gesprächsabend mit dem Titel „Berufung im Gespräch – Den eigenen Weg finden“ im Saal der Stadtpfarrei St. Lorenz in Kempten. Drei Gäste mit höchst unterschiedlichen Lebenswegen waren in dieser Woche der Einladung gefolgt und beleuchteten das Thema aus ihrer persönlichen Sicht.

Carlos Benede adoptierte als Kriminalkommissar in München zwei Jungen, die mit ansehen mussten, wie ihre Väter die eigenen Mütter ermordeten. Inzwischen leitet er die Jugendhilfeeinrichtung „Weitblick“ in Dachau, wo er schwer erziehbare und kriminelle Heranwachsende betreut. Die aus der Eifel stammende Äbtissin der Zisterzienserinnenabtei Oberschönenfeld, Gertrud Pesch, fand nach ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester den Weg ins Kloster, leitete dort ab 1986 das Altenheim und die Küche und steht der Abtei seit 2008 vor. Der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle war zunächst als Mittelschullehrer tätig, kam dann in seiner Freizeit zur Politik, zog als CSU-Mitglied in den Stadtrat ein und wurde am 1. Mai 2014 zum Stadtoberhaupt gewählt.

„Was haben diese drei Anwesenden miteinander zu tun“, fragte Dekan Dr. Bernhard Ehler in seiner Begrüßung die Teilnehmer im Pfarrzentrum St. Lorenz. Die Idee zu einer Veranstaltungsreihe zum Thema „Berufung“ hatten Gemeindereferent Martin Zeller, die vor ihrer Aussendung stehende Gemeindereferentin Karin Gröger sowie Diakon und Pastoralpraktikant Markus Lidel, der Ende Juni zum Priester geweiht wird. „Vor 39 Jahren habe ich meine Primizexerzitien in Oberschönenfeld gemacht“, erinnerte sich Dr. Ehler. Und bald werde Markus Lidel dort seine Besinnungstage vor der Priesterweihe erleben, führte der Dekan die Äbtissin Gertrud Pesch ein.

 „Zum Herrn hatte ich immer schon einen guten Draht“, wandte sich die 58jährige Ordensfrau augenzwinkernd an die Anwesenden. Sie sei als Älteste von sechs Kindern Ostern 1958 in einem kleinen Eifelort geboren worden und wohlbehütet aufgewachsen – die Kirche habe sie von Kind an begleitet. Während ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Trier habe sie „Gott zwei Jahre lang fast aus den Augen verloren“, blickte sie zurück. Doch nach einer gewissen Zeit habe sie nicht mehr den Frieden in sich gespürt: „Ich hatte jemanden verlassen, nämlich Gott!“, erinnert sich die Äbtissin. Auf der Kinderintensivstation habe sie oft hilflos vor verzweifelten Eltern gestanden und sich dann die Frage gestellt „was würdest du tun?“

In dieser Phase fand Gertrud Pesch den Weg zurück zu Gott und sie hat einen anderen Weg eingeschlagen. Vor 32 Jahren sei sie nach Oberschönenfeld gekommen, habe im Altenheim und in der Küche gearbeitet und sei seit sieben Jahren Äbtissin. Diese Aufgabe sei nicht immer leicht, vor allem wenn Entscheidungen für das Kloster zu treffen seien. „Ich muss mir selbst in die Augen schauen können“, stellte sie fest. Dazu sei eine klare innere Haltung nötig.  „Wir müssen die Menschen lieben“, fuhr Gertrud Pesch fort. Vor allem von den Schwestern, die anders denken und es ihr schwermachten, habe sie gelernt, zu verzeihen.

Thomas Kiechle berichtete von seiner Kindheit in Reinharts bei Kempten, wo er von klein auf mit der Landwirtschaft verbunden war. Als sein Vater dann Politiker wurde, habe Kiechle bereits früh die damit verbundene Verantwortung mitbekommen. Wie viele Politiker, merkte Kiechle schmunzelnd an, sei er Ministrant sowie Oberministrant gewesen und habe mit 18 Jahren den Vorsitz im Pfarrgemeinderat in Lenzfried übernommen. „Ich persönlich habe Kirche von positiver Seite kennengelernt“, erklärte das Kemptener Stadtoberhaupt. Nach dem Abitur habe sich ihm sogar kurz die Frage gestellt, ob er Priester werden solle. „Doch dann lernte ich meine Frau kennen“, bemerkte er lächelnd und so sei er nach dem Studium Lehrer geworden. Irgendwann kam die Phase, sich politisch zu engagieren – Kiechle wurde in den Stadtrat gewählt.

„Meine Berufung kam vor drei Jahren“, schmunzelte er. Im Auto sei der „Anruf“ – also ein Telefonat gekommen, ob er sich nicht vorstellen könne, als CSU-Kandidat bei der Wahl des Nachfolgers von Dr. Ulrich Netzer anzutreten. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen!“, sei seine Antwort gewesen. Doch die Parteifreunde ließen nicht locker und schließlich sei es doch anders gekommen. Die große Verantwortung, die er vor gut zwei Jahren übernommen habe, sei nicht nur Pflicht, sie mache ihm auch Spaß. Die Nähe zum Bürger führe auch zur Belastung, doch diese Spannung müsse man aushalten, so Thomas Kiechle.

„Wie verschlungen die Wege sein können, wenn man sich berufen lässt, zeigt sich am Beispiel von Carlos Benede“, führte Dekan Dr. Ehler den dritten Podiumsgast ein.

„Man glaubt es kaum: Ich bin in Immenstadt geboren“, stellte sich der dunkelhäutige Buchautor Benede zur Erheiterung der Anwesenden vor. Er sei im Waisenhaus der Dillinger Franziskanerinnen in Kalzhofen groß geworden und in Oberstaufen zur Schule gegangen. „Ich habe eine so schöne Kindheit gehabt bei den Ordensfrauen“, stellte Benede dankbar fest. Nach dem Quali begann er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann in München, wo er im Wohnheim der Salesianer Don Bosco untergebracht war. Aber bis zum Lebensende als Schuhverkäufer zu arbeiten, das habe er sich nicht vorstellen können. Auf dem zweiten Bildungsweg holte er Abschlüsse nach und machte eine Erzieherausbildung. In Regensburg arbeitete Benede mit Lehrlingen und hatte dort bereits mit schwer Erziehbaren zu tun.

Der leitende Polizeidirektor Regensburgs habe ihn als Spätberufenen zur Polizei gebracht, wo er im Dezernat für Prävention und Opferschutz ab 1997 in München gearbeitet habe. Hier seien erstmals die Opfer nicht nur als Zeugen betrachtet, sondern ihre Geschichte gesehen worden. Aus dieser Situation heraus nahm der Kripobeamte nacheinander zwei Jungen auf und adoptierte sie. Beide Kinder hatten zuvor miterlebt, wie ihre Väter die eigenen Mütter ermordet haben.  „So bin ich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen“, stellte der Autor des Buches „Kommissar mit Herz“ fest. Seit 2015 leitet er die Jugendhilfeeinrichtung „Weitblick“ in Dachau, in der „schwere Jungs“ (Benede), die durch alle Raster gefallen sind, eine letzte Chance erhalten.

„Wir sind für sie da. Ganz bewusst lesen wir uns nicht in die Akten ein, sondern wollen die jungen Menschen so erleben, wie sie ist. Sie sollen das Gefühl haben, ernst genommen zu werden. Geborgenheit, Sicherheit und Halt sind besonders wichtig“, beschrieb Benede seinen Erziehungsansatz. „Wie schafft ihr das?“, werden er und seine 28 Kolleginnen und Kollegen oft gefragt. „Aus unserem Glauben heraus, er schenkt uns die Kraft“, sei stets die Antwort.

In dem sich anschließenden Gespräch wurde die von Dekan Dr. Ehler gestellte Frage beleuchtet, was man den Zuhörern als Ratschlag auf den Weg geben könne, zur Berufung zu finden. Für die Äbtissin Gertrud Pesch sei es von Bedeutung, in sich hineinzuhorchen, auf die innere Stimme zu hören und festzustellen, „was passt zu mir?“ „Der Weg zur Quelle führe immer gegen den Strom“, habe sie erfahren. Thomas Kiechle empfindet es als notwendig, sich Rückzüge zu schaffen, etwa auf Bergtouren. Dann komme man zu sich selbst und zu Gott. „Mit Humor gelingt außerdem alles besser!“, sei seine Erfahrung. Für Carlos Benede gilt: „Hör auf dein Herz, steh’ zu deinen Entscheidungen.“

Die Gesprächsrunde wurde von thematisch passender Gitarrenmusik und Gesang durch Martin Odstrčil gestaltet.