Weihbischof Losinger in der "Augsburger Allgemeine": Wir dürfen Selbsttötung nicht zur Lösung machen

In der aktuellen Wochenendausgabe der "Augsburger Allgemeine" (07./08. Februar) ist eine Sonderseite mit dem Themenschwerpunkt "Sterbehilfe" erschienen. Auf dieser Seite übernahm Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger den Contra-Artikel ("Wir dürfen Selbsttötung nicht zur Lösung machen"), in dem er die Argumente aufführte, die aus christlicher Perspektive gegen organisierte und kommerzielle Sterbehilfe sprechen. Gleichzeitig zeigte der Weihbischof in seinem Gastbeitrag "gute Gegenmittel" auf, die für ihn in der Förderung der Palliativmedizin und Schmerzlinderung liegen und eine Stärkung von Suizidprävention bedeuten sowie in Ausbau und Finanzierung von Pflege und Hospiz. Mit Blick auf die bevorstehenden Entscheidungen auf parlamentarischer Ebene schreibt Weihbischof Losinger, dass der Bundestag "vor einer einschneidenden Weichenstellung" stehe, unter anderem dem Trend der Normalisierung der Suizidbeihilfe entgegenzuwirken.
Hier lesen Sie den Text von Weihbischof Losinger im Wortlaut:
Ich bin klar gegen jede Form organisierter und kommerzieller Sterbebeihilfe. Erstens, weil es bei der Beihilfe zur Selbsttötung eines Menschen – auch des schwer kranken und sterbewilligen – um eine Frage des unverfügbaren Lebensrechts geht. Zweitens, weil eine Gesellschaft mit humanem Antlitz, die diesen Namen verdient, alle Möglichkeiten der Palliativmedizin, der Pflege und der sozialen Zuwendung zu Menschen in Not bereitstellen muss, statt den Exit in den Suizid zu befördern. Und drittens, weil alle Erfahrungen zeigen, dass die Öffnung der Tür zur organisierten und möglicherweise kommerziell motivierten Sterbehilfe eine schiefe Ebene auftut, die eine Gesellschaft und Ihre Haltung zur Unantastbarkeit des Lebens grundlegend ändert. Wer will die Tür wieder schließen, wenn selbst von engsten Angehörigen Druck ausgeht? Wer will die Grenze benennen, wenn wie in Belgien der ungeheure Kulturbruch der Suizidbeihilfe an Kindern eintritt? Und wer will das offene Tor wieder verbarrikadieren, wenn auch bei nichteinwilligungsfähigen Personen, bei Menschen mit Behinderung und bei psychisch und demenziell erkrankten Patienten die Frage der Suizidbeihilfe entsteht? Wie weit ist dann der Weg zur Euthanasie?
Vor einer entscheidenden Illusion will ich warnen. Die Bitte um Beihilfe zum Suizid ist in den allermeisten Fällen nicht Ausdruck einer autonomen, frei verantwortlichen und selbstbewussten Entscheidung für den eigenen Tod, sondern ein Phänomen der Angst! Eine öffentliche Expertenanhörung im Deutschen Ethikrat zeigte zuletzt drei Gründe: Erstens Angst vor großen Schmerzen, zweitens Angst vor dem Pflegefall und drittens Angst vor dem Alleinsein. Gegen diese treibenden Ängste hätten wir gute Gegenmittel: Einmal die nachhaltige Förderung der Palliativmedizin und Schmerzlinderung, und damit die Stärkung von Suizidprävention. Das bestätigt auch die Expertise des Präsidenten der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery, der erklärt, dass die absolute Mehrheit der Menschen, die um ärztlich assistierten Suizid bitten, von diesem Anliegen zurücktreten, wenn durch palliative Versorgung glaubhaft Schmerzen gelindert und die Angst genommen werden kann. Des Weiteren geht es um verstärkten Ausbau und die Ausfinanzierung von Pflege und Hospiz, die Menschen in ihrer letzten, vielleicht wichtigsten Phase ihres Lebens einen friedlichen, liebevoll begleiteten Raum für das eigene Sterben ermöglicht - wie es der Deutsche Ethikrat in seiner aktuellen Ad-Hoc-Stellungnahme fordert. Schließlich soll kein Mensch in unserer wohlhabenden Gesellschaft das Gefühl haben, überflüssig oder belastend zu sein und deswegen den Weg in den Tod suchen zu müssen. Auch im Blick auf die vielfältigen psychischen Krankheitsbilder, vor allem aber in der bedrohlichen Angst vor Demenzerkrankungen erscheint mir ein Lebenszeugnis stichhaltig, das wir Inge Jens, der Frau des berühmten Tübinger Rhetorikprofessors Walter Jens verdanken. Im Zeitmagazin vom 6. Februar 2014 berichtet sie über ihren Mann, der sich zusammen mit Hans Küng für den Fall einer Demenzerkrankung in seiner Patientenverfügung für aktive Sterbebeihilfe ausgesprochen hatte: „Als Gesunder hat er für Sterbehilfe plädiert, und als Kranker hat er leben wollen. Mit dieser Erkenntnis bin ich noch lange nicht fertig. Doch wer hätte das Recht gehabt ihn umzubringen?“
Es bleibt dabei. Eine Gesellschaft mit humanem Antlitz und rechtstaatlichem Anspruch steht und fällt mit der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens. Recht und Ethik dürfen keine schiefe Ebene begründen, in der Selbsttötung als Lösung präsentiert, assistiert oder organisiert wird. Gerade in der Mischung von gesellschaftlichem Druck und existenzieller persönlicher Ausweglosigkeit muss eine Gesellschaft ihr humanes Gesicht zeigen, sie muss beschützen, begleiten und helfen, statt Exit-Strategien aus dem Leben zu legalisieren.
Der Deutsche Bundestag steht mit der Entscheidung zur organisierten und kommerziellen Sterbebeihilfe vor einer einschneidenden Weichenstellung, dem Trend der Normalisierung der Suizidbeihilfe entgegen zu wirken, wichtige Bausteine in der Stärkung von Maßnahmen zur Suizidprävention zu setzen, die Weiterentwicklung der Palliativmedizin, der Pflege und der Ausweitung des Hospizangebotes zu fördern. Die Gesetzesnovelle sollte einen wichtigen rechtstaatlichen Pflock auf einer schiefen Ebene einrammen, der den Wert und die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens bis zum letzten Augenblick bestätigt und in dieser Wertschätzung bis zum letzten Augenblick Hoffnung macht.