Predigt vom 2. September, Gottes Gebot und Menschengebot, Mk 7,1-23
22. Sonntag im Jahreskreis, Lesjahr B Mk 7,1-23
Gottes Gebot und Menschengebot
Mein Vaterhaus in Kaldenhausen am Niederrhein steht in einem ruhigen Wohngebiet aus den 1960er-Jahren. Neben der verwinkelten Zufahrtsstraße für den Autoverkehr gibt es noch 2 gepflasterte Fußgängerwege, die die Straße an anderen Stellen mit größeren Straßen des Dorfes vernetzen. Auf diesen Fußgängerwegen ist die Durchfahrt für Radfahrer verboten, aber ich habe nie eingesehen, warum. Ich bin da seit Kindheitstagen immer mit dem Radl durchgefahren, und wenn da eine Mutter mit Kinderwagen oder ältere Leute mit Hund unterwegs waren, habe ich mein jugendliches Tempo natürlich gedrosselt. Aber nie bin ich mit jemandem zusammengestoßen, und nie hatte ich ein schlechtes Gewissen. So habe ich mich von früher Jugend an daran gewöhnt, Vorschriften zu übertreten, wenn ich keinen Sinn darin erkennen kann.
Später im Studium, in der Moraltheologie, lernten wir dann, dass „sittlich gut“ nicht automatisch dasselbe ist wie „sittlich richtig“. Oft ist schon das, was richtig ist, auch das Gute, aber nicht immer. Wer z.B. Dienst nach Vorschrift macht, wie man so sagt, wer nicht mehr tut, als er muss, der macht es wohl richtig, aber nicht wirklich gut. Und manchmal muss man ein Gebot übertreten, um einer wichtigeren Sache wegen, um einem höheren Wert gerecht zu werden. Dann ist das Falsche trotzdem gut. Z.B. wenn ich in den Zuständigkeitsbereich eines anderen eingreife, der gerade nicht da ist, aber die Sache eilt, sodass ich nicht warten kann, bis er zurückkommt. Natürlich könnte ich mich hinter den menschlichen Regeln verschanzen und sagen: „Dafür bin ich nicht zuständig, kommen Sie später wieder, wenn der zuständige Sachbearbeiter zurück ist“, aber wenn es wichtig ist, wenn ich es kann, wenn mein Gewissen sagt: „Mach es“, dann ist das nach menschlichen Maßstäben gesehen Falsche vielleicht in Gottes Augen das Gute.
Und diesen Unterschied zwischen gut und richtig, zwischen verantwortet und regeltreu, diesen Unterschied kannten die Pharisäer eben nicht. Für die standen die Menschen-satzungen über allem, die Überlieferung der Alten war wie Gottes Gebot. Ausnahmen gab es nur, wenn die auch gesetzlich geregelt waren. Vor dem Essen muss man die Hände waschen, egal, ob sie dreckig sind oder nicht. „Rein sein“ war für die Pharisäer alles: rein - das hieß vor allem erst einmal hygienisch rein, und das war dann auch moralisch rein.
Jesus versteht unter „rein“ etwas anderes. Es geht ihm nicht so sehr darum, die Reinheits-vorschriften einzuhalten, zahlreiche Waschungen und Speisevorschriften. Jesus versteht „rein“ moralisch, als reines Herz. Da macht Jesus eine geniale Umdeutung: „Nicht, was von außen in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ Nicht dass Jesus die Hygiene für überflüssig hielte, aber böse Gedanken, böse Blicke und böse Worte sind bei weitem schlimmer. Die kommen von innen und machen unrein.
Zur Verdeutlichung zählt Jesus 12 Laster auf: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch usw. 12 Stück. Die kommen von innen und machen unrein. Indem sie von innen heraus kommen, machen sie unrein. Das finde ich therapeutisch interessant: alle 12 Laster sind schon in uns drin, aber dadurch, dass sie in uns drin sind, sind wir noch nicht unrein. Erst wenn sie raus kommen, d.h. wenn sie zur Tat werden, dann erst machen sie unrein, dann erst wird es böse.
Bloße Gedanken von Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch usw. sind noch nicht so schlimm. Phantasieren kann man viel. Aber erst, was von innen herauskommt, wird problematisch. Was herausgekommen ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. Ein einmal ausgesprochenes Wort zieht seine Kreise.
Die Neigung zum Bösen im eigenen Innern zu kennen, hat 2 Vorteile:
1. Wenn ich meine Neigungen zum Bösen ignoriere und weit von mir weise, dann überraschen sie mich vielleicht in einer schwachen Stunde, weil ich nicht gewohnt bin, mich innerlich gegen sie zur Wehr zu setzen. Dann können sie durchbrechen und zur Tat werden. Aber die Neigung zum Bösen an sich ist noch keine böse Tat. Wer gelernt hat, dem Bösen in sich selber in die Augen zu schauen und dagegen anzukämpfen, der ist besser imstande, beim Guten zu bleiben.
Und der 2. Vorteil: Wenn ich weiß, dass das Böse auch bei mir möglich ist, dann macht mich das barmherziger im Umgang mit denen, die Böses tun. Ich habe dann mehr Verständnis, ich kann dann viel souveräner umgehen mit unangenehmen Menschen und habe dann auch eher die Chance, die zum Guten zu bewegen.
Liebe Schwestern und Brüder, was Jesus an dieser Stelle des Evangeliums nicht sagt: Von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen natürlich nicht nur die Gedanken zum Bösen, sondern auch sehr viele gute Gedanken. Das wollen wir nicht übersehen. Und die guten Gedanken sind Gottes Gebot für uns, Gottes Auftrag an uns, die Welt mitzugestalten. Wer auf diese Stimme Gottes in sich hört, braucht sich halb so viel um menschliche Regeln zu sorgen und der geht seinen Weg in der Freiheit der Kinder Gottes.