Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis; Lesjahr B, 1.Juli 2018, Glauben
Mk 5,21-43 Die Heilung einer blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus
Ich treffe immer wieder Leute, die über allerhand Schmerzen klagen. Eine Frau war schon bei mehreren Ärzten und keiner konnte ihr helfen. Dann war sie bei einem Heiler, der machte nicht viel. Der schickte ihr Energie nach Art des Prana-Heilens, oder was weiß ich, und sie spürte Besserung, Linderung ihrer Schmerzen. Eigentlich war die Frau nur nervös und verspannt, und brauchte innere Ruhe und ein stärkeres Selbstbewusstsein.
Die Frau im Evangelium, die schon 12 Jahre an Blutungen litt, erwartete sich auch keine große Therapie. Die sagte sich: „Wenn ich auch nur das Gewand Jesu berühre, werde ich geheilt.“ Was ist das, was die Frau da tun wollte? Das Gewand Jesu berühren – ich möchte es bildlich deuten und sage: Sie wollte Anteil haben an dem, was Jesus umgibt, Anteil an seiner Energie. Und Jesus fühlte, dass Kraft von ihm ausströmte. Er fühlte nicht irgendeine belanglose Berührung, wie sie bei so dicht gedrängten Leuten unvermeidbar ist, er fühlte eine Berührung mit Kraftübertragung. Und er lobte die Frau wegen ihres Glaubens.
Glaube, das ist in diesem Fall: Glaube an Heilung, glauben, dass Heilung möglich ist, auch nach 12 Jahren Krankheit und allerhand erfolglosen Behandlungen. Glauben, dass das Unmögliche möglich ist. Einer meiner Freunde hatte in seinem Zimmer den Spruch hängen: „Man muss das Unmögliche für möglich halten, damit das Mögliche wirklich wird.“ Glauben soll nicht heißen, irgendwelche unrealistischen oder verrückten Dinge gegen alle Vernunft für wahr behaupten. Glauben soll auch nicht heißen, sich an nicht erklärbaren Dingen und an übernatürlichen Phänomenen festmachen. Aber Glauben heißt, das Gute in meinem Leben zulassen, das Heil nicht vorschnell als unrealistisch abtun, mich offenhalten für das scheinbar unmögliche, um es hereinzulassen in meine Realität.
Wie oft höre ich Leute sagen: „Das geht nicht“, „das funktioniert nicht“, „das kann ich nicht“. Aber wenn es 10mal nicht gegangen ist, dann geht es vielleicht beim 11ten Mal doch. Man muss das Unmögliche für möglich halten, damit das Mögliche wirklich wird. Einer meiner Mitbrüder hat an seiner Zimmertür einen anderen Spruch stehen: „Gib jedem Tag die Chance, der schönste Tag deines Lebens zu werden.“ Da spüre ich etwas von dieser Offenheit für ungeahnte Möglichkeiten. Dem Wirken Gottes wollen wir doch keine vorschnelle Grenze setzen.
Das Gute aus Gottes Hand empfangen, das ist die eine Seite. Das Gute wirken, das ist die andere Seite. Wenn wir eine Heilungsgeschichte in der Bibel lesen, können wir uns mit dem Kranken identifizieren und fragen: Wie kann
ich
durch Glauben geheilt werden? Wir können uns aber auch mit Jesus identifizieren und fragen: Wie kann ich für meine Umwelt Heil wirken? Da könnte ich mich leicht herausreden und sagen: Ich bin doch nicht Jesus. Und trotzdem hat jeder von uns eine Ausstrahlung, und eine Wirkung auf andere Menschen. Es gibt Menschen, in deren Nähe fühle ich mich wohl, da geht eine positive Kraft von denen aus, - und es gibt Menschen, in deren Nähe fühle ich mich unwohl, irgendwie beklommen, die finde ich unangenehm. Jesus gehört wohl zu der ersten Gruppe: die Menschen drängten sich um ihn, sie liefen ihm nach, auch wenn er ans andere Ufer des Sees hinübergefahren war. Jesus hatte eine Anziehungskraft, er war attraktiv im eigentlichen Sinne des Wortes. Aber diese Art von Attraktivität kann ich nicht durch Kosmetik, Mode oder andere äußere Schönheitsmanipulationen machen. Diese Art von Attraktivität kommt von innen heraus, aus der Spiritualität, aus der Charakterbildung, aus der Persönlichkeit, aus der geistlichen Reife. Und da haben wir alle eine Aufgabe – und eine Chance, weiter zu wachsen.
Das heutige Evangelium besteht aus drei Teilen: Ich nenne sie A B A, weil es eigentlich 2 Geschichten sind, eine Geschichte A und eine Geschichte B. In die Geschichte A von der Tochter des Jairus, die im Sterben liegt, wird die Geschichte B von der Heilung der Frau mit den Blutungen eingeschoben. So geht nach der Geschichte B die Geschichte A weiter. Das ist in der Bibelwissenschaft die sogenannte „markinische Schachtel“, denn diese Konstruktion macht der Evangelist Markus gern: um die mittlere Geschichte B hervorzuheben, wird sie in die Geschichte A eingeschachtelt. Das soll heißen: Die mittlere Geschichte B ist für ihn zentraler als die Rahmengeschichte A. Der Glaube an das Unmögliche ist bedeutender als das Aufstehen des 12jährigen Mädchens. Denn auch eine Totenerweckung lässt sich nur durch den Glauben verstehen.
Lb.S.u.B., so möchte ich uns allen wünschen, dass uns aus diesem Evangelium größere Glaubenskraft erwachse, eine Glaubenskraft, die nicht nur für jeden selber heilsam und fruchtbar wird, vielmehr eine Glaubenskraft, die aus jedem von uns ausströmt und wirksam wird für das Heil der anderen und für das Heil der Welt.