Predigt zur Osternacht von Pater Regino
Bezug: Gen 1; Ex 15; Lk 24,1-12
In Genf waren Forscher mal dabei, den Urknall nachzubauen. Da wollen sie kleinste Teilchen so stark beschleunigen, dass sich daraus die Entstehung des Weltalls erklären lässt. Ein kühner Gedanke. Aber wir sehen daran einmal mehr, dass der Mensch einen unbändigen Drang hat, zu forschen, auch die Anfänge zu erforschen, den Anfang von Himmel und Erde. Das war auch schon so bei Menschen zu biblischen Zeiten, sagen wir: um 550 vor Chr. Und deren Ergebnis haben wir in der ersten Lesung aus dem Buch Genesis gehört: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Doch wie haben sich die damaligen Menschen diese Erschaffung vorgestellt? Sie haben gesagt: „Durch das Wort.“ Gott sprach – und es wurde.
Wie laut Gott dieses Wort gesprochen hat, ob das mit einem Knall vergleichbar war, das weiß wohl keiner. Ich verstehe unter Knall ein akustisches Geschehen, einen Schall. Aber Schall verbreitet sich bekanntlich über Schallwellen, über Wellen der Luft. Wenn das Weltall aber luftleerer Raum ist, dann kann es da eigentlich gar nicht knallen. Ich will damit sagen: das Wort Urknall ist kein klarer wissenschaftlicher Begriff, es ist mehr ein Symbolwort. Es meint eigentlich nur: ein großes Geschehen am Anfang, und was davor war, darüber denken wir einfach nicht nach.
Ich denke, die Entstehung von Himmel und Erde bleibt ein großes Geheimnis. Entscheidend ist für mich nicht, wie laut es dabei zuging, entscheidend ist für mich, wie ich das, was dabei herauskam, bewerte. „Gott sah, dass es gut war“, heißt es im Bibeltext 6 mal, beim 6sten Mal steht sogar „sehr gut“ da. Das ist für mich die eigentliche Aussage. Für mich sind Himmel und Erde gut, viel zu gut, um durch einen bloßen Zufall oder durch eine Kette von bloßen Zufällen entstanden zu sein. Manche sagen ja: „Es gibt keine Zufälle.“ Das sage ich nicht. Aber ich sage: Hinter diesen Zufällen steckt ein Sinn, eine Absicht, die gute Absicht eines wohlmeinenden Gottes. Gott ist es, der uns diese Zufälle zufallen lässt, der uns diese Zufälle schenkt, der sie uns in die Hände legt, uns anvertraut. Und wenn wir uns für diese Geschenke vor ihm verantwortlich fühlen, gehen wir auch so mit der Erde um, dass sie auch in Zukunft noch bewohnbar sein wird. Gott nimmt uns in die Pflicht, der Zufall alleine nicht.
Und dann die zweite Lesung: Exodus, Auszug aus Ägypten, Durchzug durch das Meer. Dass es das Rote Meer war, steht gar nicht da. In den Psalmen wird es öfter „Schilfmeer“ genannt, also eine Art Sumpf oder Moor, wo man zu Fuß noch durchkommt, aber die schweren Pferde und Wagen sinken ein. Das mit der Wassermauer rechts und links ist wohl ein späterer Zusatz im Text, eine legendenhafte Ausschmückung, die das Wunder der Rettung betonen soll. - Mit dieser Lesung haben manche Leute heute ein Problem. Sie sagen: Wie konnte Gott das zulassen? Was ist das für ein Gott, der die Streitmacht des Pharao so schonungslos vernichtet? Gilt hier auch: Gott sah, dass es gut war? Die Ägypter sind doch auch Menschen. Aber dieser Text ist eben eine israelitische Erzählung, aus der Perspektive der Israeliten geschrieben, und aus der Perspektive der Israeliten war es gut, dass der Feind vernichtet wurde. Im Siegeslied, das als Zwischengesang auf diese Lesung folgt, heißt es: Der Herr ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name (Ex 15,3). Da werden die Ägypter nicht als Menschen gesehen, sondern nur noch als Feinde.
Gerade in der heutigen Auseinandersetzung mit dem Islam ist mir diese Bibelstelle wichtig. Heiliger Krieg ist keine Erfindung Mohammeds, das hatten wir in der Bibel 1000 Jahre vorher schon. Der Unterschied ist nur, dass im Islam die meisten Leute beim Wortlaut des Koran stehengeblieben sind, wir aber sind weitergegangen. Wir haben im 16. Jht. den Humanismus gehabt und die Reformation, im 18. Jht. die Aufklärung, im 19. Jht. die historische Bewegung, da haben wir gelernt, geschichtlich zu denken und den Wandel der Kulturen zu sehen, positiv mitzuvollziehen und zu gestalten. Die Kirche ist nicht dazu da, gegen den Zeitgeist zu kämpfen, das wäre ein aussichtsloses Unterfangen. Nur wenn wir den Zeitgeist prinzipiell bejahen, können wir uns auch erlauben, die eine oder andere Kritik an der heutigen Zeit anzubringen. Unsere Aufgabe ist es, mit dem Zeitgeist zusammen, also im Geist der Zeit, das Christentum zu erneuern. Darum ist unser Gottesbild nicht mehr das Gottesbild des Buches Exodus, unser Frauenbild ist nicht mehr das Frauenbild von vor 100 Jahren, und unser Priesterbild ist nicht mehr das Priesterbild von vor 50 Jahren.
Jesus war ein Meilenstein in der Entwicklung des Gottesbildes, ich möchte sagen, ein Quantensprung. Er hat Sünden vergeben, er hat Gott seinen Vater genannt, er hat engstirnige Pharisäer entlarvt, er hat Frauen ernst genommen, wie es zu seiner Zeit undenkbar war. Und darum ist er bei seinem Tod nicht gestorben. „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden“ (Lk 24,5f). Die Frauen, die mit wohlriechenden Salben den Leib Jesu einbalsamieren wollten, sind zunächst auf der falschen Spur: Es kommt nicht auf den Leichnam Jesu an, nicht auf das leere Grab, sondern auf die Worte und Taten Jesu. Die Worte, die Jesus gesprochen hat, die Taten, die Jesus gesetzt hat, die kann ihnen niemand nehmen. Darum sagen die beiden Engel am leeren Grab: „Erinnert euch an das, was er gesagt hat, als er noch in Galiläa war“ (Lk 24,6). Und die Frauen erinnerten sich an seine Worte (V.8), und werden so von Salbenweiblein zu Auferstehungszeuginnen.
Liebe Schwestern und Brüder, noch stehen wir in der Osternacht, noch ist der auferstandene Jesus den Jüngern nicht erschienen, noch hat er nicht zu den Jüngern gesprochen. Aber Petrus wurde schon neugierig, lief zum leeren Grab, und ging wieder nach Hause: voll Verwunderung über das, was geschehen war (Lk 24,12). Aus der irritierten Verwunderung wächst das Wunder. Auch unsere Kirche ist heute in vielerlei Hinsicht ziemlich irritiert. Wer an die Auferstehung Jesu glaubt, glaubt auch an das Wunder in unserer Kirche.