Siegbert Schindele: „Immer auf Gott verwiesen sein“
(Murnau) Die Künstlergruppe „Blauer Reiter“ hat Murnau weltberühmt gemacht. Das Grab der Künstlerin Gabriele Münter liegt quasi an der Rückwand von Siegbert Schindeles Pfarrhaus. Seit 2011 blickt der Dekan von seinem Fenster aus auf die Zugspitze und die verschneiten Gipfel der bayerischen Alpen. Der gebürtige Ostallgäuer übernahm mit Benediktbeuern 2020 außerdem schon zum zweiten Mal die Leitung eines Dekanats.
Seinen Anfang nahm die Priesterkarriere von Siegbert Schindele in einem Sportgeschäft, das seine Familie in Ronsberg betreibt. Da lag es nahe, dass der 1959 geborene Siegbert in die Fußstapfen seines Vaters trat. Im Anschluss an die mittlere Reife erlernte er daher auch den Beruf des Orthopädie-Schuhmachers. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr sprach ihn der damalige Pfarrer von St. Moritz in Augsburg, Hermann Fink, darauf an, ob er nicht in Waldram das Abitur anstreben wolle.
Vom Schuhmacher zum Priester
Bischof Joseph Stimpfle, der vier Jahre später allen Absolventen des Jahrgangs persönlich gratulierte, riet ihm dann vom geplanten Philosophiestudium in München ab und stattete ihn mit einem Stipendium für das Germanicum in Rom aus. Lachend gibt Schindele zu, dass Eltern und Großeltern aufgrund der weiten Entfernung nur wenig von dem Plan hielten. Nach einem Freisemester in Innsbruck und zahlreichen lebhaften Diskussionen mit seinen Mitbewohnern stand sein Entschluss, Priester zu werden, dann fest. Am 10. Oktober 1990 erhielt er in der römischen Jesuitenkirche Sant’Ignazio die Weihe.
Jugendarbeit als roter Faden
Der Übergang vom Schuhmacherdasein zum Priesterseminaristen scheint nur auf den ersten Blick eine 180-Grad-Wende gewesen zu sein. Im Gespräch stellt sie sich eher als eine längerfristige Zweigleisigkeit heraus. Während die Kerze auf dem Tisch den mittlerweile dunkler gewordenen Raum erhellt, erzählt Schindele von den Hintergründen seiner Studienfachwahl. So habe er jahrelang zwischen dem beruflichen Werdegang und seinem Engagement für die Jugend, zum Beispiel in der von ihm begründeten Katholischen Landjugend Ronsberg, unterschieden. Dabei war „die Jugendarbeit für mich entscheidend, damit ich ja sagen konnte, zu diesem anderen Weg“, gibt er zu. Mit Freunden tanzte er auch bis früh in der Disko, und plante, irgendwann eine Familie zu gründen. Noch heute ist er überzeugt, dass er „immer wieder von einer höheren Macht geleitet wurde“.
Begeistert erzählt der im schlichten Anzug gekleidete Dekan davon, wie froh er war, als er merkte, dass sich das in der Jugendarbeit Gelernte auch als Priester anwenden ließ. Das begann bereits mit seiner ersten Aufgabe als Stadtprediger in Aichach. Zwei Jahre später, also 1993, trug man ihm dann die Stelle als Regionaljugendseelsorger der Region Augsburg an. Nebenbei wirkte er als Domkaplan und veranstaltete regelmäßige Pilgerfahrten für Jugendliche. Etwas süffisant geht er dann auf den ersten scheinbar größeren Bruch in seinem Leben ein. Eines Tages habe ihn der damalige Generalvikar Josef Heigl nämlich gefragt, wann er eigentlich mal vorhabe, richtig als Pfarrer zu arbeiten. Seine Ernennung zum Pfarrer von St. Josef in Memmingen ließ dann nicht mehr lange auf sich warten. Ein Herzensprojekt war und ist für ihn vor allem der in Memmingen und Murnau eingeführte sonntäglichen Bibelgesprächskreis mit den 13-27-Jährigen. Daraus schöpft er Kraft, Inspiration und Motivation. Als er davon spricht, beginnen seine Augen zu leuchten, während sich der Plätzchenteller immer weiter leert.
Nachdem 2001 der kürzlich verstorbene Pfarrer Michael Walch in den Ruhestand getreten war, hat Siegbert Schindele in Memmingen auch das Amt des Dekans übernommen. Elf Jahre später zog es ihn nach Murnau in die Berge. Nach dem überraschenden Tod von Dekan Robert Walter im Jahr 2020 erhielt er einen Anruf des damaligen Generalvikars Harald Heinrich, an dessen Verlauf er sich noch heute erinnern kann. „Siegbert, dich hat‘s wieder erwischt.“, sagte Heinrich. Schindele antwortete nur: „Ich hab’s geahnt.“ Der Ort am Staffelsee, den er jeden Montagmorgen in einer fünfstündigen Wanderung alleine umwandert, ist ihm jedenfalls ans Herz gewachsen. Im Gegensatz zu vielen anderen muss er hier in der belebten Innenstadt auch keinen Parkplatz suchen, dafür aber so manchen Stau auf der A95 großräumig umfahren. Sein modernes Pfarrhaus liegt dabei auf einer Anhöhe in unmittelbarer Nähe zum Schloss direkt neben der St. Nikolauskirche aus dem Jahr 1717.
Das Dekanat Benediktbeuern in Kürze:
- Umfang: 5 Pfarreiengemeinschaften und 4 Einzelpfarreien
- Prodekan: Bernhard Holz (Penzberg)
- Gebiet: letzter Zuschnitt im Jahr 2012, umschließt Pfarrverband Heimgarten der Erzdiözese München-Freising
- Bevölkerung: 30.400 Katholiken
Die Kirche in einer Zeit des Aufbruchs
Es belastet ihn, dass die Kirche unter Druck stehe. Dennoch: „Ich bin optimistisch, weil ich weiß, dass wir einen Herrn im Himmel haben, der alles lenkt. Unsere Kirche wird weiterbestehen, weil es immer begeisterte Leute geben wird, die den Wert des Glaubens erkennen.“ Ihn tröstet auch eine Aussage des früheren Dompfarrers Prälat Georg Beis (+ 2022): „Ich beneide dich. Ihr lebt jetzt in einer Zeit, wo ihr Kirche gestalten könnt. Ich habe in einer Zeit gelebt, in der alles starr war.“ Daher hat Schindele auch eine „Zukunftswerkstatt“ eingerichtet und feilt an seiner „Pfarrei des Aufbruchs“. Mittelpunkt seiner ganzen Aktivitäten ist dabei stets das Pfarrheim. Wenn dort mal keine Menschen vor Ort sind, stößt man zumindest auf der Grünfläche davor auf eine kleine Gruppe von Hühnern.
Anfang des Jahres haben seine Gemeindemitglieder nicht schlecht gestaunt, als mit den Sternsingern auch der Pfarrer vor der Türe stand. Der umtriebige Seelsorger nutzt gerne jede sich bietende Möglichkeit, um anderen von seiner Gottesbeziehung zu erzählen. Dazu passt auch, dass die PG Murnau 2024 Gastgeberin für die Missionarische Woche ist. Ganz begeistert hört er der ebenfalls anwesenden Praktikantin zu, die an der Veranstaltung teilnehmen wird. Er freut sich darauf, viele neue Jugendliche kennenzulernen, die sich voller Elan für den Glauben einsetzen.
Spiritualität und Vorbilder
Neben den bereits genannten Wegbegleitern aus der jüngeren Bistumsgeschichte beeindruckt Siegbert Schindele vor allem der biblische König David: „Mich fasziniert die Tatsache, dass er von Gott berufen war, aber Fehler gemacht hat, und doch immer wieder zu Gott zurückgefunden hat.“ Es sei also für jeden Menschen möglich, nach falschen Entscheidungen einen neuen Weg einzuschlagen. Auch die König David zugeschriebenen Psalmen faszinieren ihn.
Ein wichtiges Vorbild ist für ihn auch der heilige Nikolaus von Flüe, der seine Arbeit als Bürgermeister, Richter und Familienvater von 10 Kindern sehr ernst genommen habe. Besonders beeindruckt Schindele, dass er bei allem was er tat, „immer auf Gott verwiesen war“. Mit dem Schweizer Nationalheiligen ist er auch deshalb so eng verbunden, weil sein Vater aufgrund eines Gelübdes jedes Jahr eine Pilgerreise nach Flüeli veranstaltete, deren Organisation er nach 46 Jahren an den Sohn abgegeben hat.
Heilige sind für den 65-Jährigen aber immer Menschen, die einen letztlich zu Jesus führen. Und „ER muss die Mitte von allem sein“. Als Pfarrer hat er, darüber ist er froh, die Möglichkeit, viele Menschen auf ihrem Weg hin zu dieser Mitte zu begleiten sowie deren Seele und Herz zu berühren.
Text und Fotos: Leander Stork
Januar 2024
Hintergrund:
Nach der coronabedingten Unterbrechung des Formates erscheinen wieder regelmäßig neue Portraits unserer Dekane. Die anderen Texte aus dieser Reihe finden Sie ebenfalls auf unserer Homepage.