„Steig herab, damit du aufsteigst!“
Liebe Schwestern und Brüder, von Papst Leo XIV. wissen wir, dass er dem Orden der Augustiner angehört und somit den Katholikinnen und Katholiken die Verehrung dieses großen Heiligen und Kirchenlehrers aus der Spätantike besonders empfiehlt. Jener Augustinus las vor vielen Jahrhunderten, so wie wir heute, das eben gehörte Evangelium und kommentierte es mit den Worten: „Vielleicht suchst du einen Berg, um zu beten, um Gott näher zu sein. Aber er, der in der Höhe thront, naht sich den Niedrigen, den Demütigen. Steig also herab, damit du aufsteigst.“[1]
Das passt meiner Meinung nach hervorragend zu unserer heutigen Messfeier, denn in gewisser Weise tun wir in diesem Moment genau das: Wir steigen herab – ganz konkret, indem wir in die Unterkirche von St. Ulrich gegangen sind, und ebenso geistlich, insofern wir als Gläubige voller Demut vor den Tisch des Herrn treten, der uns in seiner ganzen Größe und Güte in jeder heiligen Messe entgegenkommt. So lade ich Sie ein, die Segnung dieses Altares zum Anlass zu nehmen, etwas intensiver darüber nachzudenken, was genau Augustinus womöglich gemeint hat, wenn er vom Ab- und Aufstieg redete, zumal ja auch die Lesung aus dem Buch Genesis, die wir gehört haben, von der berühmten Himmelsleiter im Traum des Jakob handelte. Zwei kurze Gedanken möchte ich Ihnen dazu mit auf den Weg geben. Sie kreisen beide um die Aussage: „Steig also herab, damit du aufsteigst!“
1. „Steig also herab…“
Beim Wort „Steig herab“ denken einige vielleicht an die Kreuzigung Jesu, als die Hohepriester und Schriftgelehrten den leidenden Herrn im Vorbeigehen verhöhnten, er solle doch sich selbst retten und vom Kreuz heruntersteigen, dann würden sie schon glauben an ihn, den „König von Israel“ (vgl. Mk 15,29-32). Diese durchaus gebildeten Menschen konnten damals nicht verstehen, worin die eigentliche Sendung Jesu bestand, der sich „für uns Menschen und zu unserem Heil“ (vgl. Glaubensbekenntnis) herabbeugte und bis in das Reich des Todes hinabstieg. Doch die frühchristlichen Märtyrer konnten es erfassen, sie nahmen auf unterschiedliche Weise ihr Kreuz auf sich und opferten ihr Leben für die Wahrheit (vgl. Joh 4,23f.), von der im Evangelium die Rede war: Jene Wahrheit ist die durch Jesus Christus offenbarte Wirklichkeit Gottes, der uns in Wort und Tat gezeigt hat, wie groß seine Liebe zu uns Menschen ist.
Wir sehen also: Der Glaube an Gott wird oft auf eine harte Probe gestellt; in manchen Ländern kann sie lebensgefährlich sein. Letzten Sonntag beteten wir im Dom in Augsburg einen Kreuzweg für die weltweit verfolgten Christen.
Ganz so dramatisch war es beim alttestamentarischen Jakob nicht, doch auch er musste vor seinem Bruder Esau fliehen, den er kurz zuvor betrogen hatte. In dieser schwierigen Lage war er gezwungen, auf offenem Felde zu schlafen. Ein Stein war alles, worauf er seinen Kopf legen konnte. Der darauffolgende Traum von der Himmelsleiter hat für mich im Wesentlichen eine Aussage: Gott sieht den Menschen in seiner konkreten Lebenssituation; und er will sein Heil, selbst, wenn wir an manchen Stellen schwer gefehlt haben. In seiner unendlichen Barmherzigkeit ist er es, der persönlich vom Himmelsthron herabsteigt, auf uns zukommt und uns den richtigen Weg zeigt. Die Größe von Jakob, der alles andere als eine unschuldige Person war, zeigt sich darin, dass er jene Selbstoffenbarung Gottes erkannte. „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort“ (Gen 28,16), ruft er nach dem Aufwachen und baut aus Ehrfurcht an dieser Stelle zunächst ein Steinmal, später einen Altar.
Für uns heute kann das bedeuten: Wie auch immer unsere Lebenswege bisher verlaufen sind, was auch immer wir an Gutem und Schlechtem getan haben, Gott lädt uns jeden Tag ein, zu ihm zu kommen und seinen Segen zu empfangen. Der Altar dieser Unterkirche ist ein sichtbarer Ausdruck dessen, dass der Herr es stets gut mit uns meint und sich in den gewandelten Gaben von Brot und Wein darbringt, damit wir ganz unmittelbar seine Gegenwart in uns spüren können. Ein „Abstieg“ im Sinne des hl. Augustinus bedeutet darum keine Verminderung von Lebensqualität, sondern im Gegenteil ein sich neu Bewusstmachen, wie groß die Liebe Gottes gegenüber uns kleinen Geschöpfen auf Erden ist. Der Herr des ganzen Universums steigt herab, um uns zu zeigen, worin unsere Berufung als Menschen liegt. Denn wir dürfen jene Liebe Gottes nicht nur in uns aufnehmen, sondern wir sollen sie auch weitertragen und an andere verschenken. Tun wir dies, so erleben wir im geistlichen Sinne einen Aufstieg, was mich zu meinem zweiten Gedanken führt.
2. „…damit du aufsteigst!“
Jakob konnte es innerlich begreifen, dass Gott sich ihm an einem bestimmten Ort gezeigt hatte, den er später Bet-El (Haus Gottes) nannte. Er goss Öl über den Stein (vgl. Gen 28,18), der dann zum Altar werden sollte. Wenn wir nachher das Segensgebet sprechen, bitten auch wir den Herrn darum, dass dieser Tisch dem Dienst Gottes geweiht ist und wir fortan in jeder Heiligen Messe mit dem himmlischen Vater im Geist verbunden sind. Nicht der Tisch an sich ist nämlich entscheidend, sondern das, wofür er steht und was wir hier feiern. Das heutige Evangelium hilft uns, das besser zu verstehen: Da ist die Frau aus Samárien, die mit Jesus darüber sprechen möchte, an welchem Ort man Gott am besten anbeten soll (vgl. Joh 4,19f.). Sie bekommt eine Antwort, die ausdrücken will, dass es weniger darum geht, wo Gott angebetet wird, sondern vielmehr wie. So kann der schäbigste Holztisch zum würdigen Altar werden, wenn die Christen, die sich darum versammeln, mit ganzem Herzen bei Gott sind und ihn anbeten. Doch soll dieses Bild nicht unser Ideal sein, denn wir dürfen uns darüber freuen, dass wir hier in der Unterkirche von Eresing einen so schönen Altar haben, der uns dabei helfen kann, in eine angemessene Gebetshaltung zu gelangen und Gott, unseren Vater, zu preisen. Das nämlich bedeutet es, „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,24) zu beten, wie es Jesus uns lehrt. Als Symbol dafür dient auch das Besprengen des Altars mit Weihwasser, insofern alle von uns erfüllt werden sollen mit dem Geist des Herrn, der von diesem Tisch ausgeht. Und schließlich verweisen auch das Weihegebet sowie das Auflegen des Altartuches und das Anzünden der Kerzen darauf, dass uns der Herr zum gemeinsamen Mahl versammeln und unser Leben als „Licht der Welt“ (Joh 8,12) erhellen will. Durch IHN steigen wir als Christgläubige auf, insofern wir schon jetzt und hier in jeder heiligen Eucharistie etwas spüren können von der himmlischen Herrlichkeit, die uns allen nach dem Tod bereitet ist.
Voller Freude möchte ich Sie daher, auch im Namen Ihres Pfarrers Michael Kammerlander, einladen, häufig hierher zu kommen, am Tisch des Herrn zu beten und seine Nähe zu suchen. Steigen Sie herab und Sie werden sehen, dass Sie mit Gottes Hilfe wieder aufsteigen, zu einem besseren und erfüllteren Leben!
[1] Thomas von Aquin: Catena aurea. Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis. St. Ottilien 2012, 95.
Schriftlesungen: Gen 28,11-18; Joh 4,19-24