"Vergessene Themen des Zweiten Vatikanums" - Studientag zum 50-jährigen Jubiläum des Konzils

Gestern hat das Bischöfliche Ordinariat in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg im Haus St. Ulrich einen Studientag zum 50-jährigen Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) veranstaltet. Nach der Eröffnung des Studientages durch Bischof Dr. Konrad Zdarsa haben Prof. Dr. Dr. Jörg Ernesti, Prof. Dr. Josip Gregur, Prof. Dr. Peter Hofmann und Prof. Dr. Stefan Schreiber in ihren Vorträgen unterschiedliche Aspekte des Konzils beleuchtet. Im Mittelpunkt standen dabei „Themen, die neben den großen Themen etwas untergegangen sind“, so der Moderator des Tages, Prof. DDr. Thomas Marschler, Lehrstuhl für Dogmatik. Am Nachmittag bestand die Möglichkeit, sich in neun verschiedenen Workshops mit einem Aspekt näher auseinander zu setzen. Die Teilnehmer hatten eine breite Auswahlmöglichkeit, die von der Frage nach dem priesterlichen Selbstverständnis über die Frage nach dem Gewissen bis hin zu religionspädagogischen Themen reichte. Mit einer gemeinsamen Vesper mit Bischof Dr. Konrad Zdarsa in St. Ulrich und Afra fand der Tag ein Ende.
In der Eröffnungsansprache erzählte Bischof Konrad von seiner Studienzeit und den dabei gemachten Erfahrungen mit den Texten des Zweiten Vatikanums. „Wir haben die Konzilstexte gelesen wie in einem Bibelkreis.“ Deutsche Übersetzungen gehabt zu haben, sei in der DDR etwas ganz Besonderes gewesen. Für den Umgang mit den Texten sei es ihm wichtig, „sie vor dem heutigen Hintergrund überhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen“. Dabei ging Bischof Konrad auf die Aussagen des Konzils zum Laienapostolat ein und forderte, diese missionarisch zu verstehen. Schließlich betonte er die gute und bewährte Zusammenarbeit zwischen Diözese und Universität. Der gemeinsame Studientag beweise wieder einmal die Notwendigkeit einer Katholisch-Theologischen Fakultät an einer Universität, die sich als „universitas“ verstehe.
In seinem Vortrag „Paul VI. – Retter des Konzils?“ beschrieb Prof. Ernesti, Professur für Kirchengeschichte unter besonderer Berücksichtigung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchengeschichte, die Rolle von Paul VI. für das Zweite Vatikanum. Einerseits habe er die Freiheit des Konzils geachtet und betont, sich nicht in konkrete Fragen einmischen zu wollen, sondern nur Impulse und Denkanstöße geben zu wollen. Andererseits habe er aber inhaltlich die Weichen gestellt und die Beratungen durch seine Reisen und das öffentliche Auftreten beeinflusst. In einzelnen Fragen wie der Empfängnisverhütung und dem Zölibat habe er sich sogar die eigene Entscheidungsvollmacht vorbehalten. Er habe das Konzil fortgeführt und sei somit zu einer Art Retter des Konzils geworden. Anders als sein Vorgänger Johannes XXIII. habe Papst Paul VI. kein „aggiornamento“ gewollt, sondern „eine behutsame und rechtlich abgesicherte Reform“, so Prof. Ernesti.
Nach diesem kirchengeschichtlichen Thema ging Prof. Gregur, Professur für Liturgiewissenschaft, in seinem Vortrag „Stimme der Braut, die zum Bräutigam spricht“ auf die Tagzeitenliturgie ein. Er ging der Frage nach, ob es sich dabei um einen vergessenen Wunsch des Konzils handle. Die Kirche sei ein „doxologischer Resonanzkörper“, deren Kernkompetenz die Liturgie sei. Diese umfasse aber nicht nur die Eucharistiefeier, also die Danksagung, sondern auch den Lobpreis in Form des Stundengebetes. Die Tagzeitenliturgie sei eine „Liebeserklärung an Gott“ und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Aufgabe aller, auch der Laien. Dennoch komme diese Art der Liturgie in der Wahrnehmung der meisten Gläubigen weiterhin ausschließlich den Geistlichen, insbesondere den Mönchen zu. Ein weiteres Problem sei das mangelnde Bewusstsein über die liturgische Vollwertigkeit des Stundengebetes. Prof. Gregur betont, dass alle Liturgie „Höhepunkt und Quelle“ der Kirche sei, also sowohl Eucharistiefeier als auch Tagzeitenliturgie.
Prof. Hofmann, Lehrstuhl für Fundamentaltheologie, setzte sich in seinem Vortrag „Ratzinger-Lektüre oder Rahner-Legende? Eine paradigmatische Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition im Kontext Dei Verbum“ mit dem Begriff „Offenbarung“ auseinander. Er verglich das Verständnis von Offenbarung in einem Vortrag von Ratzinger im Jahr 1958 und in einer späteren Überarbeitung durch Rahner mit dem Offenbarungsbegriff des Konzilstextes. Dabei machte er auf die Entwicklungsgeschichte und den teilweise langen Vorlauf der Texte des Zweiten Vatikanums aufmerksam. Mit Blick auf die Rezeption der Texte warnte er davor, die Texte nur mit der „Rahner-Brille“ zu lesen und bestimmte Lesarten legendarisch zu überhöhen. Man müsse dafür offen sein, verschiedene Lesarten zuzulassen und die Texte selbst immer wieder neu zu lesen, um stets Neues darin zu entdecken.
In seinem Vortrag „Leben Antijudaismen in der Exegese trotz Nostra aetate 4 weiter?“ widmete sich Prof. Schreiber, Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaft, schließlich unter exegetischer Perspektive dem Konzilstext Nostra aetate. Ein Blick in das Dokument, das sich mit der Haltung zu nichtchristlichen Religionen, insbesondere mit dem Judentum auseinander setze, zeige, wie wichtig für das Konzil die Betonung des Gemeinsamen der Religionen gewesen sei. Obwohl das Judentum auch kritisch betrachtet werde, da es das Evangelium nicht angenommen habe, überwiegen die positiven Aussagen. Der Bund Israels sei weiterhin gültig, der „Gottesmord“-Vorwurf sei zurückgewiesen worden und Israel sei von Gott nicht verworfen worden, auch wenn die Kirche als neues Volk Gottes angesehen werde. Mit Blick auf die Exegese stellte Prof. Schreiber allerdings fest, dass es immer noch einige Exegeten gebe, die die neutestamentlichen Texte zum Teil judenfeindlich auslegen. Die entscheidende Frage sei, wann sich die ersten Christen vom Judentum getrennt haben und ob die Verfasser der neutestamentlichen Texte „über Juden als Andere oder innerhalb der jüdischen Gemeinschaft“ schreiben, so Schreiber.