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Wichtiges
Predigt zur Eröffnung der Herbst-Vollversammlung des Diözesanrats am Freitag, 25. Oktober 2019, im Haus Sankt Ulrich von Diözesanadministrator Dr. Bertram Meier

Wir brauchen einen "spirituellen Kolumbus"!

29.10.2019

„Wir verkünden keine gute Nachricht, weil das Evangelium keine Neuigkeit mehr für uns ist. Wir sind daran gewöhnt, es ist für uns eine alte Neuigkeit geworden.

Der lebendige Gott ist kein ungeheures, umwerfendes Glück mehr. Wir geben uns keine Rechenschaft darüber, was Gottes Abwesenheit für uns wäre; so können wir uns auch nicht vorstellen, was sie für die anderen ist. Wenn wir von Gott reden, bereden wir eine Idee, statt eine erhaltene, weiter verschenkte Liebe zu bezeugen. Wir können den Ungläubigen unseren Glauben nicht als eine Befreiung von der Sinnlosigkeit einer Welt ohne Gott verkünden, weil wir diese Sinnlosigkeit gar nicht wahrnehmen.“

Diese Sätze hat Madeleine Delbrêl (1904-1964) 1962 als Vorarbeit für das Zweite Vatikanische Konzil geschrieben. Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf: Wir kennen ja dieses Verschwinden Gottes, das Versickern des Glaubens mitten im kirchlichen und pastoralen Betrieb. Dieser Befund ist nicht neu. Blenden wir zurück! Im Zeitalter, als Kolumbus eben erst Lateinamerika entdeckt hatte, erinnerte Johannes vom Kreuz (1542-1591) an die Notwendigkeit, Gott als „ fremden Kontinent“ neu zu entdecken. Auch heute ist Gott fremd geworden. Für viele ist er wie eine ferne Insel. Wir brauchen einen spirituellen Kolumbus, der uns mitnimmt auf die Expedition nach Gott.

„Wir sind Missionsland geworden. Diese Erkenntnis muss vollzogen werden. Die Umwelt und die bestimmenden Faktoren allen Lebens sind unchristlich. Aus dieser Einsicht ergeben sich notwendige und natürliche Konsequenzen für Art, Stil und Takt der Arbeit.“ Diese Worte sprach der Jesuitenpater Alfred Delp bereits 1941 vor Männerseelsorgern in Fulda. 1948 kennzeichnete Pater Ivo Zeiger SJ, der ehemalige Rektor des Collegium Germanicum in Rom, auf dem Mainzer Katholikentag die Situation der Kirche so: „Deutschland ist ein Missionsland geworden. Millionen rechnen in ihrem Leben nicht mehr mit Gott, sie bekämpfen ihn nicht, sie kümmern sich einfach nicht um ihn“.

Was ist, wenn sich der Mensch im Drang nach Unabhängigkeit Gott entzieht? Ohne Halt im Absoluten, vollkommen ungesichert, verlangt er von sich selbst das Absolute: Er führt sich auf wie Gott. „Gotteskomplex“ hat es der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter genannt: Der Traum, wie Gott zu sein, ist zum Wahn geworden!

Der Mensch mit dem Gotteskomplex wird un-menschlich. Nach dem Motto „Wissen ist Macht“ hat er großes Wissen, aber wenig Gewissen. Was mit dem Drang zur schrankenlosen Selbstverwirklichung begann, kann in der Selbstvernichtung enden. Diese Gefahr ist größer als der Kalte Krieg. Unsere Generation hat es fertig gebracht, dass die Menschheit durch den Menschen zerstörbar geworden ist. Bis dahin ist es gekommen. „Der Tag ist nicht mehr weit“, sagte schon Teilhard de Chardin, „an dem die Menschheit wählen kann zwischen Selbstmord und Anbetung“.

Was wählen wir? Wählen wir die Anbetung? Anbetung ist mehr als Liturgie; sie ist eine Lebensform: der einzige Weg, den unmenschlichen, selbstmörderischen Gotteskomplex zu durchbrechen und wirklich Mensch zu werden. Gott selbst hat es vorgemacht: Gott wurde Mensch, um uns Menschen davon abzubringen, Gott gleich werden zu wollen. Oder anders gesagt: Gott begegnet dem Menschen, der sein will wie Gott, in dem, der ganz Mensch war: Jesus Christus. „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ (Joh 1,14)

Gott und Mensch leuchten einander gleichsam aus. Sag mir, wie du über den Menschen denkst, und ich sage dir, wie du über Gott denkst! Und umgekehrt: Wo Gott für tot erklärt wird, da muss auch der Mensch bald sterben – vor allem der  Schwächste und Ärmste, der ohne Recht und ohne Stimme, der Ungeborene und Todgeweihte.

Die Botschaft von Gott um des Menschen willen und vom Menschen, der von Gott eine Würde erhält, die ihm keine sich noch so mächtig gebärdende Autorität nehmen kann – diese Botschaft in die Welt des dritten christlichen Jahrtausends hineinzusagen, gehört zu den vordringlichsten Aufgaben der Kirche heute.

Das ist die Richtung, in die wir uns als Kirche in Deutschland, als Kirche von Augsburg auf den Weg machen sollten. Darin liegt der wahre synodale Weg, der in die Zukunft weist. Denn nicht irgendwelche selbst ausgedachten Landkarten führen zum Ziel, sondern eine konkrete Person: Jesus Christus selbst, der unser „Weg, Wahrheit und Leben“ ist. (Joh 14,6)