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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zur diözesanen Eröffnung der Misereor-Fastenaktion in Neu-Ulm

„Auf die Würde. Fertig. Los!“

16.03.2025

Liebe Schwestern und Brüder, „Auf die Würde. Fertig. Los!“ Ein peppig formuliertes Motto, welches uns das bischöfliche Hilfswerk Misereor für die diesjährige Fastenaktion mit auf den Weg gibt. Finden Sie nicht auch? Es macht auf ein Thema aufmerksam, das weltweit von zentraler Bedeutung und zugleich von hoher Aktualität ist. Wie beim Sport werden wir alle aufgerufen, aktiv zu werden, uns zu positionieren, um ein großes Ziel zu erreichen: Den allgemeinen Schutz der Menschenwürde. Was mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheint, möchte ich Ihnen gerne in drei Gedanken mitgeben, die sich auf die heutigen Schrifttexte beziehen, zugleich aber auch die Situation der Menschen aus Sri Lanka in den Blick nehmen, dem Heimatland unseres Gastes, Frau Vinayaga Devi Jayakanthan. An der Stelle nochmal ein herzliches „welcome to Germany“.

1. Würdenträger vor Gott

Mein erster Gedanken hat den Titel: „Würdenträger vor Gott“. Dazu zitiere ich zunächst einen Satz, der als erster Artikel des Grundgesetzes den wichtigsten Wert unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens bildet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie alle kennen diese Worte, die gar nicht oft genug wiederholt werden können. Als eine Reaktion auf die schrecklichen Verbrechen während der NS-Diktatur ist diese Aussage - nicht nur für Deutschland - allgemeingültig. Auch auf globaler Ebene wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten, dass die „Anerkennung der Würde des Menschen und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft (…) die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“ ist. Überall dort, wo Menschen diskriminiert und verfolgt, missbraucht und verwundet werden, ist deren Würde in höchstem Maße verletzt. Als Christen sehen wir darin zudem eine schwere Sünde, da wir nach unserem Glauben als Geschöpfe – jede und jeder in einzigartiger Weise - Ebenbilder Gottes sind (vgl. Gen 1,27), der uns den Schutz des Lebens aufgetragen hat. Dazu kam er als Mensch in Jesus Christus auf die Welt. Er offenbarte seine Liebe in Wort und Tat gegenüber allen, besonders den Schwächsten, und gab am Ende sogar sein eigenes Leben hin, damit wir daran glauben können, wie wertvoll der Mensch in den Augen Gottes ist.

Wichtig ist, dass wir uns das immer wieder hinter die Ohren schreiben: Seit es Menschen gibt, haben sie von der Zeugung bis zum Tod eine unvergleichliche Würde, die nach dem Willen Gottes respektiert und geschützt werden muss. Wir alle sind Würdenträger vor Gott! Das galt und gilt für alle Völker, so auch für die Volksgruppe der Hochlandtamilen, deren Schicksal uns Misereor in diesem Jahr näherbringen will. Sie haben erfahren, was es heißt, un-würdig behandelt zu werden, was ich in meinem zweiten Gedanken ausführen möchte.

2. Unwürdig behandelt

Gehen wir zweihundert Jahre zurück: Tamilen wurden von der britischen Kolonialmacht aus Indien in die bergigen Ebenen Sri Lankas gelockt oder verschleppt, um als Plantagenarbeiterinnen und –arbeiter Tee anzubauen. Für die meisten waren die Bedingungen von Anfang an schlecht. Besonders prekär aber wurde es nach der Unabhängigkeit der Insel im Jahr 1948, als von heute auf morgen Hunderttausenden Hochlandtamilen kollektiv die Staats­bürgerschaft entzogen wurde. Seitdem wurden etliche Volkszugehörige abgeschoben, während die Verbliebenen als Bürger zweiter Klasse systematisch benachteiligt werden. Ohne gültige Dokumente werden ihnen der Besitz von Land sowie staatliche Leistungen u. a. in den Bereichen Bildung und Gesundheit verwehrt. Da sie oft keine Alternative sehen, arbeiten viele von ihnen unter schwersten körperlichen Anstrengungen an den steilen Hängen der Teeplantagen, während sich die Besitzer und multinationale Konzerne bereichern.

Ich meine, man könnte in den Letztgenannten durchaus ein Beispiel für die „Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18) sehen, von denen wir im Brief des Apostels Paulus an die Philipper gehört haben. Jene wollen sich nur den Bauch vollschlagen und haben nichts als Irdisches im Sinn (vgl. Phil 3,19), heißt es dort. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass mit den Spendengeldern von Misereor Projekte und Partnerorganisationen wie die lokale Caritas unterstützt werden, die sich an die Seite der Benachteiligten stellen und auf vielerlei Weise helfen. Dabei ist vor allem die Bewusstseinsbildung wichtig, bei der sich die Menschen ihrer Würde gewahr werden sollen, und gleichzeitig bei ihrem Kampf für eine gerechte Behandlung Unterstützung finden. Christlicher Glaube und Gerechtigkeit gehören nämlich untrennbar zusammen! Wir hörten es in der ersten Lesung am Beispiel des Abraham, dem sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet wird (vgl. Gen 15,6). Ich will nicht auf die Diskussionen rund um das Verhältnis von Glaube und guten Werken eingehen, welche diese Bibelstelle im Rahmen der Rechtfertigungslehre ausgelöst hat. Denn unabhängig davon ist klar: Katholische und evangelische Christen verbindet die gemeinsame Überzeugung, dass der Glaube sich sowohl im Gebet als auch in guten Werken widerspiegeln muss. Darum lade ich Sie heute auch in meiner Funktion als Vorsitzender der Weltkirche-Kommission der DBK ein, die Misereor-Fastenaktion großzügig zu unterstützen: Sie kommt Menschen zugute, denen die Würde täglich geraubt wird. Sie können dies durch eine Spende tun, aber auch, indem sie für die unzähligen Frauen und Männer beten, die wie Papst Franziskus immer sagt, „am Rande leben“. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lebenssituation vieler Menschen weltweit durch die professionelle Hilfe von Misereor grundlegend verbessert. Wir werden bei unseren Gesprächen nach dem Gottesdienst sicherlich einiges dazu hören.

So fügt sich noch ein dritter Gedanken an, den ich speziell mit Blick auf das Evangelium wichtig finde.

3. Würdevoll ans Ziel gelangen

Die Hochlandtamilen leben und arbeiten, wie der Name schon sagt, in bergigen Regionen. Wenn in der Bibel Menschen auf einen Berg steigen, passiert meist etwas Wichtiges. Wir kennen die Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak, oder auch Mose, der auf dem Berg Sinai die zehn Gebote empfing. Nicht zuletzt war es Jesus selbst, der von einer Anhöhe zu den Menschen predigte. Berge erweisen sich somit oft als Orte der Gottesbegegnung wie auch im Evangelium von der Verklärung Jesu. Noch während er betet, erstrahlt plötzlich sein Gesicht und alles leuchtet (vgl. Lk 9,29). Man könnte es so deuten, dass der Mensch Jesus für einen kurzen Moment seine alles übersteigende Gottheit offenbart, und Himmel und Erde sich berühren. Mose und Elija erscheinen als Repräsentanten für die Heilige Schrift und die Propheten. Und über allem schwebt die Wolke als Zeichen der Präsenz Gottes, der zugleich nahe und doch verhüllt ist. Als Höhepunkt ertönt schließlich die Stimme des Herrn, die da sagt: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ (Lk 9,35)

Nicht nur die Jünger, sondern auch wir, die wir heute leben, bekommen damit einen klaren Auftrag: Gott will, dass wir unser Leben an dem ausrichten, was sein Sohn Jesus uns gelehrt hat. Dieser lehrte aber nicht nur mit Worten, sondern mit seinem ganzen Wesen, das von Anfang an menschenfreundlich war, auch im konkreten Tun. Die Art, wie Jesus auf Menschen zuging, sie in ihren jeweiligen Lebenskontexten sah, in liebevoller Achtsamkeit fragte, was er ihnen Gutes tun könne, ohne sich aufzudrängen – das alles zeugt vom Respekt des Sohnes Gottes vor der Würde des Menschen. Auch macht es eine bestimmte Haltung sichtbar, die wir meiner Meinung nach gerade in unserer heutigen Zeit, die so voller Aggressionen und Egoismen ist, wieder dringend brauchen. Das gilt persönlich wie gesellschaftlich. Nicht umsonst haben die Vorsitzenden der christlichen Kirchen in Deutschland vor der letzten Bundestagswahl in einem gemeinsamen Aufruf dafür geworben, Politikerinnen und Politiker zu unterstützen, die sich für den Schutz des Lebens und die Würde des Menschen einsetzen. Ebenso mögen sie auch weiterhin den Blick auf die Erfordernisse und Nöte in der Welt richten und zur Überwindung von Armut und Unterdrückung beitragen. Entgegen mancher Kritik sehe ich darin keine Wahlwerbung für bestimmte Parteien, sondern die Formulierung eines Grundauftrags für alle politisch Verantwortlichen in unserem Land.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese Aussage muss für alle Menschen weltweit gelten. Dafür erheben wir als Kirche unsere Stimme, ganz konkret auch durch die entwicklungspolitische Arbeit von Misereor. Nehmen wir die Eröffnung der Fastenaktion zum Anlass, uns innerlich neu auszurichten und im Sinne Gottes für benachteiligte Menschen in der Welt einzusetzen. „Auf die Würde. Fertig. Los!“