„Die Kirche segnet keine Waffen, auf Waffen ruht kein Segen“ - „Religion ist keine Privatsache, der Glaube gehört in den öffentlichen Raum“
Heute lade ich zu einer Zeitreise ein. Wir starten im Jahr 1638. Mitten im 30jährigen Krieg setzt Kurfürst Maximilian in München einen besonderen Akzent: die Mariensäule als Dank für die Rettung der Städte München und Landshut vor der Zerstörung durch die schwedischen Soldaten. Zugleich will er mit der Weihe der Mariensäule sein Land und seine Regentschaft der Gottesmutter anvertrauen.
Machen wir einen Sprung ins Jahr 1916. Der Erste Weltkrieg tobt. Mitten im grausamen Gemetzel wendet sich König Ludwig III. von Bayern an Papst Benedikt XV. mit der Bitte, er möge die Gottesmutter Maria zur Schutzfrau Bayerns erklären und ein bayerisches Marienfest zulassen. Der Papst gewährt beide Bitten; so wird noch in demselben Jahr das Fest Patrona Bavariae in München und ein Jahr darauf in allen bayerischen Bistümern gefeiert.
Im Jahr 1917 lässt Papst Benedikt XV., erschüttert von den Grauen des Ersten Weltkrieges, die Anrufung „Maria – Königin des Friedens“ in die Lauretanische Litanei aufnehmen.
Alle drei Beispiele zeigen, dass sich Christen in Kriegszeiten, in Tagen schwerer Not und Verfolgung oft in besonderer Weise an Maria gewandt haben. Sie bauten auf die Hilfe und Fürsprache der Gottesmutter. Das zeigt sich auch bei der Wallfahrtskapelle Maria im Elend. 1704 gelobte der Kuhhirte Nikolaus Kiegele, dem in Kriegswirren drei versteckte Kühe aus dem Bestand des Schlossgutes Unterbaar entlaufen waren, eine Marienkapelle zu errichten. Nach dem glücklichen Wiederfinden errichtete er am Fundort eine kleine hölzerne Kapelle und betete dort täglich den Rosenkranz. Seither kann dieser heilige Ort eine bewegte Geschichte erzählen, die darin mündet, dass einer meiner Vorgänger Bischof Josef Freundorfer am 20. November 1958 die jetzige Kapelle eingeweiht hat.
Von der Zeitreise zur Gegenwart
Nun sind wir fast in der Gegenwart: Seit drei Monaten erleben wir in Europa wieder Krieg. Durch den russischen Angriff ohne Grund ist unsägliches Leid über die Ukraine gekommen. Der Krieg hat schon jetzt Tausenden von Menschen das Leben gekostet, Millionen sind auf der Flucht, in den Dörfern und Städten herrschen katastrophale humanitäre Bedingungen. Viele Menschen in unserem Land versuchen zu helfen: Gastfreundschaft, Geld- und Sachspenden zeigen eine Welle der Solidarität. Großartig! Meine Reise nach Polen vor ein paar Wochen hat mir gezeigt, dass gerade die Polen – aus der Erfahrung ihrer Geschichte – eine echte Großmacht der Solidarität mit Flüchtlingen geworden sind. Die Patrona Bavariae, die Schutzfrau Bayerns und Königin des Friedens lädt uns ein, über unsere eigenen Hilfsmöglichkeiten hinaus Maria in den Blick zu nehmen und sie um ihre Hilfe anzurufen, so wie es Generationen vor uns in Zeiten der Not getan haben.
Das werden auch Sie mir bestätigen, liebe Freunde der Krieger-, Veteranen-, Kameradschaftsvereine. Schön, dass Sie in großer Zahl heute hierhergekommen sind, nachdem sie wegen Corona eine Zwangspause einlegen mussten. Diese Wallfahrt ist mehr als Folklore; sie ist keine Militärparade, sondern eine Glaubensdemonstration. Danke für dieses starke Zeugnis! Auch unsere junge Generation startet wieder durch. Mehr als 2500 Ministrantinnen und Ministranten waren vor gut einer Woche in Friedberg beisammen, um sich zu treffen, zu lachen und zu feiern. Ein starkes Zeugnis, ein echtes Statement auf dem Marienplatz in Friedberg – und vorher schon die nicht enden wollende Prozession durch die Stadt. Zuschauer staunten, manch einer applaudierte angesichts der jungen Leute – Mädchen und Jungen, die in ihren roten Gewändern die Straße dominierten.
Das hat mir gezeigt: Die Kirche ist nicht tot, sie lebt! Auch wenn manche meinen, uns den Rat geben zu sollen, angesichts von Missbrauch und Vertrauenskrise lieber etwas zurückzutreten, behaupte ich das Gegenteil: Die Gesellschaft von heute - die Menschen nach der Pandemie mitten in ihren Ängsten um Krieg, Inflation und Rezession – braucht die Stimme der Kirche(n). Die Politik allein schafft es nicht, die Krisen zu lösen. Das ist der Mehrwert unseres „Produktes“: Wir haben das Evangelium, die Frohe Botschaft, die über diese Welt hinausweist. Deshalb bitte ich Sie, liebe Christinnen und Christen: Treten Sie nicht zurück! Begeben Sie sich nicht in die zweite oder dritte Reihe! Zeigen Sie: Hoppla, es gibt uns! Wir sind da, um bei den Menschen zu sein. Religion ist keine Privatsache, der Glaube gehört ins öffentliche Leben. Ducken wir uns nicht weg! Deshalb bin ich stolz auch auf unsere jungen Leute, die zeigen, wo sie stehen – als Ministranten, als Pfadfinder, als Landjugend.
Christus, unser Friede
Religion ist der Kitt unseres Zusammenlebens. Sie hat das Potential zur Gewalt, aber auch Energie für den Frieden. Ehe wir uns an Maria als Königin des Friedens wenden, erinnern wir uns an das Zeugnis der Heiligen Schrift: Nicht Maria ist die Quelle des Friedens, sondern Gott selbst, der in Jesus Christus für uns Mensch wurde.
Der Friede hat einen Namen: Jesus Christus. „Er ist unser Friede“ bringt es der Epheserbrief kurz und bündig auf den Punkt. (Eph 2,14). Bereits in dessen Geburt sehen die Christen die Verheißung des Propheten Jesaja als erfüllt an: Er ist der „wunderbare Ratgeber“, der „starke Gott“, der „Fürst des Friedens“. „Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende.“ (Jes 9,5f.) Schon das Krippenkind zeigt uns: Der Gott, an den wir glauben, ist kein Kriegsgott; er kommt nicht mit Gewalt. Er fährt nicht auf mit Panzern und Gewehren. Wehrlos tritt er an unsere Seite, er lebt mitten unter uns. Deshalb segnet die Kirche auch keine Waffen, nicht aus Taktik, sondern aus Überzeugung. Denn auf den Waffen ruht kein Segen.
Gott ist parteiisch: Er steht er auf der Seite der Opfer; er interveniert für den Frieden: Er preist die Armen und Trauernden selig, er teilt seine Gemeinschaft mit den Ausgestoßenen, er schenkt Notleidenden seine heilende Nähe und Sündern seine vergebende Heilung. Seine Botschaft und sein Wirken brachten ihm Widerstände und Konflikte ein. Doch Jesus blieb seiner Botschaft treu und erfüllte den Willen Gottes. So nimmt er Leiden und Tod auf sich. Seine Auferweckung zeigt uns: Gott findet sich mit dem gewaltsamen Tod seines Sohnes nicht ab. Gottes Leben schaffende Macht ist stärker als die Mächte des Bösen und des Todes.
Maria, Königin des Friedens
Und Maria? Sie hat Jesus als seine leibliche Mutter auf die Welt gebracht und ihn uns geschenkt. Maria ist eine Frau, die sich einlässt auf Gottes Wort. Sie ist nicht nur Gottes Mutter, sondern Jesu erste Jüngerin. Bereits bei der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel antwortet sie: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Sie kreist nicht um sich selbst, sondern nimmt den Willen Gottes an und lebt ihn. So konnte sie Jesus, den „Fürst des Friedens“ zur Welt bringen. Maria begleitete ihn auf seinem Weg und hörte die Botschaft des Friedens. die ihr Sohn verkündete.
Auf der Hochzeit zu Kana sieht sie die Not des Brautpaares und setzt sich für sie bei ihrem Sohn ein. Sie macht sich dienend zum Anwalt der Menschen in Not.
Maria hält unter dem Kreuz ihres Sohnes aus, weil für sie die Liebe stärker ist als der Tod. An Pfingsten betet sie mit den Aposteln um den Geist der Einheit und des Friedens und lässt sich von diesem ganz erfüllen.
Ihr Leben lang war Maria zutiefst mit Jesus Christus verbunden und ganz auf ihn ausgerichtet: So kann Maria selbst Botin und Brückenkopf des Friedens sein.
Mach’s wie Maria: Folge einer anderen Logik!
Momentan wird viel über die richtige Haltung der Kirche im Ukraine-Krieg diskutiert. Eines sollte klar sein: „Der Geist der Gewaltlosigkeit Jesu kann in einer von Gewalt durchdrungenen Welt nicht davor bewahren, in Situationen zu geraten, die zum Schutz und Leben nach Gegengewalt rufen. Keiner hat das Recht, den Gewaltverzicht anderer zu fordern, wenn es um ihr Leben geht.“ (Bischof Kamphaus) Zugleich müssen wir als Christen einer anderen Logik folgen: Nicht der Sieg im Krieg schafft Frieden, nur der Sieg über den Krieg. Militärische Gegenwehr kann davor bewahren, dass ein Land vernichtet wird, sie kann hoffentlich eine Waffenruhe herbeizwingen. Das ist schon viel. Aber einen tragfähigen Frieden wird es auf Dauer nur geben im Verzicht auf Waffen, im Dialog, im gegenseitigen Respekt, im Versöhnen und Verzeihen. Wenn der Krieg so weitergeht, werden alle verlieren. Oft frage ich mich: Was treibt Putin, was inspiriert seine Soldaten, Dörfer, Städte und Regionen nicht nur zu besetzen, sondern nieder zu bomben und zu zerstören? Was ist der Sinn, wo liegt das Ziel. Wenn es gelingt, die Waffen zum Schweigen zu bringen, ist viel gewonnen für einen Weg des Friedens; der aber erfordert Geduld und Leidenschaft. Meine Sorge ist, dass wir in einen großen Krieg, den niemand will, hineinschlittern. Aufrüstung mit Waffen reicht nicht, es braucht Abrüstung durch Diplomatie, auch das Wort Gottes könnte hilfreich sein. Auf den Tag dieser Erkenntnis hoffe ich. Diesen Tag erbete ich. Hier können wir von Maria etwas abschauen:
Nur wenn Menschen – wie Maria - sich unter den Willen Gottes stellen, der das Leben will und nicht den Tod, wird Friede sein.
Nur wenn Menschen – wie Maria – Jesus folgen und der Botschaft glauben, dass liebende Hingabe stärker ist als der Tod, wird Friede wachsen.
Nur wenn Menschen – wie Maria – um den Geist des Friedens beten und sich ihm öffnen, wird Friede werden.
Dies gilt für den Weltfrieden, für unser tägliches Miteinander und für den Frieden im eigenen Herzen.
Deshalb rufen wir: Maria, Königin des Friedens – bitte für uns.