Die Senioren: Absolventen einer Glaubens- und Lebensschule
Schön, sportlich, Sexappeal! Das sind die Eigenschaften, die in der Werbung gern eingesetzt werden. Wenn die heilige Familie sich in der Öffentlichkeit zeigt, wenn Maria und Josef das Kind im Tempel präsentieren, dann suchen wir die Jungen, Reichen und Schönen vergeblich. Es sind zwei alte Menschen, die den Messias in Empfang nehmen: Simeon und Hanna. Beide sind hochbetagt.
Trotz oder gerade (!) aufgrund ihres Alters scheinen sie besonders empfänglich zu sein für das, was es mit dem Kind Jesus auf sich hat. Simeon erkennt im Kind den Heilsbringer für alle Völker, das Licht zur Erleuchtung der Heiden sowie die Herrlichkeit für das Volk Israel. Damit geht seine große Sehnsucht in Erfüllung: Am Abend seines Lebens darf er noch dem Messias begegnen. Beim Anblick des Kindes findet der alte Mann seinen inneren Frieden, sodass er glücklich und zufrieden sterben kann. Spontan nimmt er das Kind in seine Arme und fängt zu singen an: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen.“ Das wird bestätigt durch die Prophetin Hanna, die ebenfalls ins Staunen über Gottes Taten gerät und über das Kind mit allen redet, die auf die Rettung Israels warten.
Dass zwei hochbetagte Menschen im Mittelpunkt der Darstellung Jesu im Tempel stehen, spricht für sich. Diese Tatsache regt an, einmal darüber nachzudenken, welche Rolle unsere Senioren in der Kirche und in unseren Familien spielen. Um die Szene im Tempel noch plastischer zu machen, können wir uns vorstellen, wenn etwas Ähnliches heute geschehen würde: Einen Schrecken mögen die Eltern bekommen haben, als der greise Simeon ihr Kind auf den Arm nahm – einfach so, ohne Vorankündigung.
Da wäre was los, wenn jemand aus dem Seniorenkreis bei einer Taufe so aufträte – bei der Berührungsangst, die wir haben – auch durch den Missbrauchsskandal. Und dann tritt noch die alte Hanna auf den Plan: eine Witwe, die nur sieben Jahre lang mit ihrem Mann zusammen war und sich den Rest des Lebens selbst hat durchschlagen müssen: 84 Jahre ist sie alt. Dauergast im Gottesdienst, der Tempel ist ihr zweites Zuhause, da hat sie ein Dach für ihre Seele gefunden.
Es ist kein Zufall, dass es gerade alte Leute sind, die in Jesus den Messias erkennen. Sie haben eine Zeit langen Wartens hinter sich. Simeon und Hanna sind dabei nicht ungeduldig geworden. Sie haben nie die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Sehnsucht erfüllt wird. Im Gegensatz zu vielen alten Menschen lebt Simeon nicht in einer verklärten Vergangenheit. Er schwelgt nicht in Erinnerung dessen, was er schon erlebt hat. Vielmehr ist er ein Wartender. Sein Leben ist Advent. Er zehrt von der Hoffnung, dass er noch zu Lebzeiten dem Messias begegnen wird. Doch wann das sein wird, weiß er nicht.
Simeon und Hanna: Beide haben sich in hohem Alter den Blick nach vorn bewahrt, obwohl sie sicher auch die Versuchung spürten, nach hinten gewandt die Ereignisse zu bewerten. Auch damals brauchte es viel Gottvertrauen, um trotz der Wirklichkeit mit ihren Krisen, Widersprüchen und politischen Abhängigkeiten, die im Volk Israel herrschten, die Hoffnung nicht aufzugeben. Die Zeiten waren unübersichtlich, die Menschen verunsichert und desorientiert. Trotzdem: Simeon und Hanna machen den Eindruck, als ob gerade das langsame und mühsame Warten sie dafür zurüstete, im Kind Jesus den Messias zu entdecken und zu bekennen. Gerade weil sie einen langen Lebensweg hinter sich hatten, waren sie in der Lage, die Zukunft zu sehen, die mit dem Jesus-Kind angebrochen war.
Was damals für Simeon und Hanna galt, warum sollte das nicht auch für die Senioren heute zutreffen? Die Schilderung dieser betagten Menschen rückt das Alter in ein besonderes Licht. Nicht das Abnehmen der Kräfte, nicht die wachsenden körperlichen Einschränkungen, nicht die Rückwärtsgewandtheit, die man der älteren Generation gern und oft nachsagt, stehen im Vordergrund. Vielmehr wird den Senioren eine besondere Fähigkeit bescheinigt, Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten. Wenn es um die Weitergabe der Frohen Botschaft geht, haben alte Menschen oft ein besonderes Talent, den Blick auf das Wesentliche des Evangeliums zu lenken: das Wort Gottes, das aufbaut und tröstet, das Richtung gibt und stärkt, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind. Wie schön, wenn das Glaubenszeugnis nicht allein gegeben wird, sondern zu zweit, als Paar, das davon erzählen kann, wie Gott gerade in schwierigen Momenten begleitet und getragen hat. Ich habe eine Bitte: Beten Sie nicht nur füreinander, beten Sie immer auch miteinander! Gerade Ihre Kinder und Enkel brauchen das Gebet.
Manchmal hört man die Klage, dass unsere Gottesdienste vorwiegend von alten Leuten besucht würden. Vielleicht ist das aber auch ein Hinweis darauf, dass Empfänglichkeit für Gottes Botschaft gerade am Abend des Lebens zunimmt. Ich bin überzeugt, dass gerade alte Menschen aufgrund ihrer Erfahrung, die sie durch Höhen und Tiefen führte, die Brücke schlagen können zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie können glaubhaft erzählen, was es heißt, zu hoffen, wenn Lebenspläne jäh durchkreuzt werden. Sie können davon berichten, was Glauben bedeutet, wenn er durch dunkle Phasen des Lebens gegangen und gereift ist. Sind sie doch Experten dafür, dass der Prophet Jesaja mit seiner Aussage über Gott Recht hat: „Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet; bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan, und ich werde euch weiterhin tragen, ich werde euch schleppen und retten.“ (Jes 46, 4)
Was ist nun die Botschaft von Simeon und Hanna für uns? Die beiden Senioren ermutigen die Jungen, zwischendurch mal den Alten zuzuhören, und umgekehrt bestärken sie die Alten, mehr von sich und ihren Glaubenswegen zu erzählen. Was hindert alte Menschen daran, so wie Hanna Gott zu preisen und über das Kind zu reden mit allen, die auf die Rettung der Menschheit warten?
Weil Senioren eine reiche Vergangenheit mitten im Leben hinter sich haben, halte ich sie für geeignet, die Zukunft anzusagen, die mit dem Kind im Stall beginnt.
Diesen Gedanken möchte ich noch ein Gebet beilegen, das der hl. Teresa von Avila (1515 – 1582) zugeschrieben wird und das auch die betagten Menschen bescheiden bleiben lässt:
„Herr, du weißt besser als ich,
dass ich von Tag zu Tag älter werde und eines Tages alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung,
bei jeder Gelegenheit etwas sagen zu müssen.
Erlöse mich von der großen Leidenschaft,
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.
Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten
und verleihe mir Schwung, zur Pointe zu kommen.
Lehre mich schweigen über meine Beschwerden, sie nehmen zu –
und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.
Ich wage nicht die Gabe zu erflehen,
mir die Krankheitsschilderungen anderer mit Freude anzuhören,
aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen.
Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann.
Ich möchte keine Heilige sein – mit ihnen lebt es sich so schwer,
aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels.
Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken –
und verleihe mir, o Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.“