Dienerinnen Christi begleiten Jesus, den „Fußgängergott“
Ehrwürdige Frau Generaloberin, liebe Schwester Emanuela, liebe Ehrwürdige Schwestern in der Generalleitung, liebe Schwestern aus nah und fern, liebe Mitbrüder und Festgäste, das Christkönigsfest vor 50 Jahren war für Sie - und einige von Ihnen haben es ja selbst miterlebt - ein echtes Freudenfest.
Damals, am 26. November 1972, eröffnete Ihnen Bischof Josef Stimpfle, dass er Ihre Gemeinschaft als Pia Unio neu gründen werde und zwar unter dem Namen „Dienerinnen Christi.“ Eine schlichte Bezeichnung und doch ein großes Programm, in dem alles enthalten ist, was eine Gemeinschaft in der Nachfolge Christi und auf dem Weg der ignatianischen Spiritualität braucht!
Inzwischen sind Sie längst (seit 1984/1985) eine Kongregation Bischöflichen Rechts und haben darüber hinaus auch afrikanische, kenianische Schwestern in Ihren Reihen. Welch eine frohe Entwicklung aus schwierigen, tastenden Anfängen!
Beim Lesen Ihrer kurzen, aber inhaltsreichen Ordensgeschichte fällt auf, wie sehr Sie als Einzelne und als Gemeinschaft in großer Aufrichtigkeit und einem gesunden Realismus mit Problemen umgingen. Das ist sehr beeindruckend und vorbildlich, auch für die Zukunft. Denn es war ja doch ein Wagnis, das die ersten Schwestern eingingen, die Sprache und Heimat – das damalige Jugoslawien, ein kommunistisch regiertes Land – verließen, um in Deutschland „Zukunft und Hoffnung“ (Jer 29,11)[1] zu suchen. Doch Gott, der alle Wege mitgeht, wie es auch der Jesuit Alfred Delp im Gestapogefängnis erfahren hat, ließ Sie bei meinem Vorgänger, Bischof Josef Stimpfle, ein offenes Ohr und bei den Dillinger Franziskanerinnen und im Meitinger Christkönigsinstitut Unterstützung und schwesterliche Freundschaft finden.
Soeben haben wir im Evangelium gehört, wie Menschen, die Jesus nur flüchtig kannten und als Störfaktor wahrnahmen, ihn am Kreuz verspotten mit der Aufforderung: „Wenn du der König der Juden bist, dann rette dich selbst!“ (Lk 23,37). Ein Zynismus, wie er größer nicht sein kann: Da wird ein hilfloser, an den Schandpfahl gehefteter Mensch aufgefordert, aktiv zu werden… Gleichzeitig ist dieses menschenverachtende Verhalten Ausdruck einer echten Versuchung, vielleicht bis heute der größten Versuchung für den Menschen: dem Wunsch, sich selbst erlösen zu können, ohne die Hilfe eines anderen, geschweige denn Gottes in Anspruch nehmen zu müssen! Wir kennen in der deutschen Literatur diese Phantasie als Husarenstückchen des Freiherrn von Münchhausen, der behauptet, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf gezogen zu haben, und mit dieser Heldentat entsprechend großmäulig angibt!
Ganz anders unser gekreuzigter Herr Jesus Christus, der in Getsemani gebetet hat: „Vater, (…), nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“ (Lk 22,42). Der Weg eines Menschen, der sich wie Sie, liebe Schwestern, in die Nachfolge des Herrn rufen lässt, ist eben gerade nicht der Weg der Selbsterlösung, der Stärke und der Macht. Es ist ein Weg der Ent-äußerung (vgl. Phil 2,7) und nicht selten auch des Verkannt– und Verspottetwerdens – gemäß dem Wort Jesu: „Ein Jünger/eine Jüngerin steht nicht über dem Meister“ (Lk 6,40).
Der Christkönigssonntag ist daher alles andere als eine Machtdemonstration im irdischen Sinn - so wichtig die Tradition dieses Festes gerade in den Zeiten der staatlichen Unterdrückung und Verfolgung auch war, und wie es bis heute notwendig ist, dass wir auch im öffentlichen Raum unseren Glauben bekennen. Dennoch: unser Selbstverständnis muss am Leben des unscheinbaren, bescheidenen, „sanftmütigen“ (vgl. Mt 11,29) Rabbi von Nazaret Maß nehmen. Es ist die Diakonie und nicht die Herrschaft, die er uns vorgelebt hat.
Dreißig Jahre lebte der Sohn des Zimmermanns in einer galiläischen Kleinstadt, vermutlich im selben Beruf tätig wie sein Ziehvater, und doch mit dem Bewusstsein, eine Sendung zu haben, die weit über die Familie und das eigene Volk hinausgeht. Menschlich gesprochen war es ein Leben im kleinen Kreis, unter einer Besatzermacht, die eisern durchgriff und keine, nicht einmal eine spirituell motivierte Veränderung des Status quo duldete, immer in der Furcht, dass die Machtverhältnisse sich umkehren könnten.
Daher reichte in den Augen der Römer die Tatsache, dass Jesus als „König der Juden“ tituliert wurde, schon aus, um ihm zum Tod als Verbrecher zu verurteilen und seine Anhängerschaft ein für alle Mal mundtot zu machen. Der Weg des Rabbi von Nazaret, aus rein menschlicher Perspektive betrachtet, ist also ein Weg des kolossalen Scheiterns, ja der Vernichtung. Es sei denn: wir betrachten ihn mit den Augen des Glaubens und sehen in der Auferstehung Jesu ein Unterpfand unseres eigenen Lebens bei Gott!
Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie schwer es ist, nicht in die Falle zu tappen, die Wirklichkeit mit bloß menschlichen Augen zu betrachten, sondern zu üben und immer wieder zu üben, sich den liebenden, den göttlichen Blick Christi zu eigen zu machen. Er, der wusste, wieviel „unerschütterliches Gottvertrauen“[2] vermag, wollte niemanden heilen, ohne dessen ausdrückliche Zustimmung. Daher fragte er die an Krankheiten leidenden und von Zweifeln gequälten Menschen: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ (Lk 18,41). Selbst dem rechten Schächer, der vor Raub, Mord und Todschlag nicht zurückgeschreckt war, um sich seinen Platz in der Gesellschaft zu erstreiten, und der erst am Kreuz einsieht, welchem Irrweg er gefolgt war, wird allein für sein Schuldeingeständnis die Versöhnung verheißen. Nach menschlichem Maßstab zu spät – nach göttlichem gerade rechtzeitig, um „heute noch“ (Lk 23,43) ins Paradies zu kommen.
Liebe Schwestern, ein Leben in der Nachfolge Christi, wie Sie es führen, erscheint in den Augen der Menschen oft eintönig und ereignisarm. Doch bin ich, wenn ich in Ihre Gesichter blicke, überzeugt, dass Sie – jede nach ihrem Temperament – gern und begeisternd von dem Weg erzählen können, den Gott Sie geführt hat. Ja, wir müssen wieder lernen, dass äußere Ereignisse nur ein Teil der Wirklichkeit sind. Oder: wie es der frühere UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld einst formulierte: „Die längste Reise ist die Reise nach innen.“
Wer Jesus Christus nachfolgt, nicht nur mit Worten und durch äußere Riten oder erkennbar an der Kleidung, sondern wer sich wirklich von ihm an der Hand nehmen lässt, der wird sich - da bin ich mir sicher - bald von seiner Umgebung unterscheiden - nicht, weil er es selbst so beabsichtigt, sondern weil er oder sie sich in den täglichen, scheinbar zufälligen Entscheidungen zuerst unmerklich und dann immer deutlicher abheben wird, von dem, was „man“ allgemein tut. Als Christin und Christ gerät man, ohne es zu wollen, in Widerspruch zu den ungeschriebenen Gesetzen der Gesellschaft und wird zum Stein des Anstoßes, wie wir es bei Jesus, den Aposteln und bei vielen seiner Heiligen sehen.
In solchen Situationen ist es wichtig, nicht allein zu sein. Es tut gut, um eine Gemeinschaft hinter und um sich zu wissen, die auf demselben Weg ist. Papst Franziskus hat seit Beginn seines Pontifikates betont, dass Kirche nur synodal sein kann; Synodalität besteht eben ganz wörtlich in der Weggefährtenschaft aller „Menschen guten Willens“ (vgl. Lk 2,14), aller, die sich von Christus als dem Kompass ihres Lebens her definieren.
Jesus, der von sich sagt, dass er „Weg, Wahrheit und Leben“ (Joh 14,6) sei, ist nicht (nur) für den Herrgottswinkel in der guten Stube auf die Erde gekommen, sondern als Begleiter derer, die unterwegs sind. Er war ja Wanderprediger und hat nicht im eigenen Haus empfangen, sondern ließ sich einladen: Er hat, würde man heute sagen, eine Geh-hin-Pastoral gelebt! Der „Fußgängergott“ ging auf die Menschen zu. Dienerinnen Christi begleiten den Fußgängergott.
So folgen Sie seinen Spuren als seine „Dienerinnen“: Sie begegnen Christus in alten und kranken Menschen, in Kindern und Jugendlichen, in den nach Orientierung Suchenden ebenso wie in den um Gebetserhörung Flehenden, in der Pfarrseelsorge und in den Armen der Südsee – getreu der Empfehlung des heiligen Ignatius: „Niedergeschlagenen und versuchten Seelen müssen wir mit besonderer Liebe begegnen, ihnen zuliebe das Gespräch ausdehnen und überhaupt mit gefälliger Liebenswürdigkeit privat und in der Öffentlichkeit ihnen zu Diensten sein, um so eine gegenteilige Stimmung herbeizuführen zu ihrer größeren Erbauung und Tröstung.“[3]
Ja, das ist vielleicht unsere Hauptaufgabe, die wir unser Leben in den Dienst der Kirche gestellt haben: aufbauen und trösten. Dazu wurden wir befähigt, wie es Paulus den Kolossern in Erinnerung ruft: „Dankt dem Vater mit Freude! er hat Euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Lichte sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ (Kol 1,12-14). Weil wir Erlöste sind, dürfen wir selbstbewusst auftreten. Wir dürfen groß von uns denken, weil Gott uns durch Jesus Christus groß gemacht hat: allein durch Gnade!
Ich wünsche Ihnen, liebe „Dienerinnen Christi“, dass Sie, jede einzelne von Ihnen, immer tiefer in das Geheimnis Ihrer Berufung hineinwachsen und Ihr ganz persönliches Magnificat sprechen können, voller Dankbarkeit für die wunderbare Erwählung Gottes. Amen.
[1] Entnommen dem Motto des diesjährigen Sonntags der Weltmission, im dem Kenia im Mittelpunkt steht!
[2] Vgl. mein Hirtenwort vom 25. September 2022: Krisen, Zweifel – und unerschütterliches Gottvertrauen
Gegenseitige Ermutigung in dunklen Zeiten.
[3] Aus: Ignatius von Loyola, Geistliche Briefe. Einsiedeln 1956, 109.