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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram anlässlich des Festgottesdienstes zu 600 Jahren St. Salvator Nördlingen

Tür – Kreuz – Kelch und Hostie: „Christuskönig ist stark in der Hingabe“

20.11.2022

„Patronus ecclesie salvator noster Jhesus Christus“[1] – so steht es geschrieben in der Konsekrationsurkunde der Stadtpfarrkirche Nördlingen aus dem Jahre 1422, deren 600-jähriges Jubiläum wir heute feiern. „Patron der Kirche ist unser Heiland Jesus Christus“. ER ist das „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15), wie wir es in der zweiten Lesung gehört haben, und zugleich Herr über die ganze Schöpfung. IHM soll heute am Christkönigssonntag unser Lob erklingen. Er hat uns diesen Tag geschenkt, an dem ich einige Gedanken mit Ihnen teilen möchte zur Frage, was das Wort „Salvator“ eigentlich bedeutet. Ich möchte dies anhand der vier Symbole tun, die Sie für Ihren Jubiläums-Wandteppich gewählt haben: Tür, Kreuz, Kelch und Hostie. Eine, wie ich finde, sehr schöne Idee, dass jede und jeder Teil eines Gemeinschaftskunstwerks werden kann, das sicherlich eine bleibende Erinnerung an diesen Festtag sein wird, an dem wir Christus als Herrn und König ehren wollen.

1. Tür

„Ich bin die Tür“, sagt Jesus, „wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden.“ (Joh 10,9) Ein kurzer Satz im Johannesevangelium, der jedoch eine wichtige Botschaft enthält: Nur in der Person Jesus steht den Menschen der Zugang zum ewigen Leben offen. Als guter Hirte will er uns behüten und dorthin geleiten, wo kein Feind uns mehr schaden kann. Damit übertrifft er bei weitem den bis dato größten König David, von dem wir in der Lesung aus dem zweiten Buch Samuel gehört haben, dass er zum König Israels gesalbt wurde, weil er als Hirte sein Volk „hinaus und wieder nach Hause geführt hat“ (2 Sam 5,2). Nun geht es aber nicht mehr darum, die Nord- und Südstämme des Volkes Israel zusammenzuführen und ein mächtiges Königreich zu errichten. „Mein Königreich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36) sagt Jesus zu Pilatus. Seine göttliche Bestimmung liegt allein darin, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit alle, die an ihn glauben, gerettet werden. Er ist die Tür zum Vater, der uns in sein Reich des Friedens und der Liebe einlädt! Liebe kann aber nicht von Gerechtigkeit getrennt werden. Darum ist Jesus auch Richter und wird am jüngsten Tag alle Menschen nach ihren Taten richten. Besonders eindrücklich können wir das im Tympanon über dem Hauptportal dieser Kirche sehen: Christus als Weltenrichter. Doch soll uns das nicht ängstigen. Geradezu sinnbildlich scheint der Umstand, dass das Gerichtsschwert Jesu im Tympanon aufgrund der Verwitterung kaum noch zu erkennen ist, wohl aber die Figur Jesu, die mit ausgebreiteten Armen auf einem Regenbogen sitzt, gleichsam um uns zu sagen, dass wir auf einen gnädigen und barmherzigen Richter hoffen dürfen. Jesus will uns nicht die Himmelstür vor der Nase zuschlagen, im Gegenteil. Immer wieder sagt er uns durch seine Worte und Taten der Liebe: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten.“ (Joh 12,47) Was das heißt, wird im zweiten Symbol des Wandteppichs deutlich: dem Kreuz.

2. Kreuz

Wer die Darstellung des Tympanons genauer betrachtet, kann erkennen, dass neben der Figur Jesu zwei kleine Engel zu sehen sind, welche die Leidenswerkzeuge des Erlösers Händen halten. Eine klare Botschaft: Ohne Kreuz kein Heil! Der König der Könige musste leiden. Sehr ergreifend dargestellt ist das auch hier im Chorraum in der Figur des Schmerzensmannes oder wie man in Nördlingen sagt, des „Erbärmde-Christus“. Bleibt die Frage: Warum musste der Gottessohn all das ertragen, Schläge und Verspottung, wie wir es im heutigen Evangelium gehört haben (vgl. Lk 23,25ff)? Er hätte doch einfach vom Kreuz herabsteigen und sich die Schmerzen ersparen können. Einer, der sich darüber auch Gedanken gemacht hat, war der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“. Darin bietet er an einer Stelle eine beeindruckende Antwort auf diese Frage: „Du bist nicht vom Kreuz herabgestiegen, als dir höhnisch zugerufen wurde: Steig herab vom Kreuz, und wir werden glauben, dass du der Sohn Gottes bist! Du bist nicht herabgestiegen, weil du abermals den Menschen nicht durch ein Wunder knechten wolltest, weil du einen freien Glauben wünschtest, keinen Wunderglauben. Du wünschtest freiwillige Liebe und nicht sklavisches Entzücken des Unfreien über eine Macht, die ihm ein für allemal Schrecken einflößt.“[2]

In großartiger Weise hat Dostojewski hier den entscheidenden Punkt erfasst. Denn das Kreuz war von Anfang an ein Stein des Anstoßes, eine „Torheit“ und ein „Ärgernis“ (1 Kor 1,23) wie Paulus es im ersten Korintherbrief bezeichnet. Was soll das für ein König sein, der sich so wehrlos seinem Leiden ergibt? Wir haben es gehört: Kopfschütteln allenthalben und eine hämische Inschrift über seinem blutverschmierten Haupt: „Das ist der König der Juden.“ (Lk 23,38) Selbst die Jünger verstanden es anfangs nicht und brauchten lange, um den tieferen Sinn dieses scheinbar sinnlosen Todes zu erkennen. Der Sohn Gottes aber will die Menschen nicht durch Machtdemonstrationen überzeugen. Schon früher trug er seinen Jüngern auf, über wundersame Heilungen oder göttliche Zeichen zu schweigen (vgl. Mk 9,9). Als einfacher Mensch unter Menschen wollte er Freude und Leid teilen. Sein ganzer Lebensweg lief auf diesen einen Tag zu, an dem er als Herrscher des Himmels und der Erde auf all seine Macht verzichtete und stattdessen das Kreuz auf sich nahm, damit die Menschheit wieder mit Gott versöhnt werden konnte. Dostojewski hat es verstanden - Gott zwingt sich nicht auf, sondern lässt uns den freien Willen, an ihn zu glauben oder nicht. Besonders deutlich wird das in den beiden Verbrechern, die neben Jesus hingen, von denen der eine ihn noch im Todeskampf verspottete, während der andere das Antlitz Gottes in Jesus erkannte und um sein Erbarmen bat. Sogleich wandte sich der Heiland ihm zu: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43) So wurde das Kreuz für den reumütigen Schächer zum Ort des Heiles, für alle aber, die sich zu Christus bekennen, zum Zeichen der Erlösung und des Friedens (vgl. Kol 1,20). Insbesondere Menschen, die große Schmerzen ertragen müssen, schöpfen Kraft und Trost aus der Gewissheit, dass Gott uns gerade in den dunkelsten Stunden unseres Lebens nicht verlässt und unser Leid mitträgt. Danken wir Gott darum dafür, dass er nicht vom Kreuz herabgestiegen ist, um die Menschen von seiner Göttlichkeit zu überzeugen, sondern aus Demut bis zum Schluss für uns gelitten hat und genau deshalb von seinem Vater zum König über die ganze Welt gekrönt wurde. Christuskönig ist stark in der Hingabe. 

3. Kelch und Hostie

Kommen wir zu den beiden letzten Symbolen des Wandteppichs: Kelch und Hostie. Die Realpräsenz Christi in Brot und Wein darf bei der heutigen 600-Jahrfeier nicht übergangen werden, ist doch das Hostienwunder von 1381 der eigentliche Grund für die Errichtung dieser Salvatorkirche. Betrachtet man die beiden Darstellungen hier rechts hinter mir an der Nordwand des Chorraums, kann man sich die Legende gut vor Augen führen, die Ihnen allen bekannt sein dürfte: Der Priester, der dem Kranken die heilige Kommunion spenden wollte. Das Einbrechen des Fußbodens und der Sturz in den Keller, wobei die konsekrierten Hostien im ganzen Raum verstreut wurden. Die Suche nach den Hostien, wobei eine nicht gefunden werden konnte. Das Verbrennen des Hauses, um die verlorene Hostie vor Verunehrung zu schützen und schließlich das Auffinden der unversehrten Hostie inmitten der Asche.

Ich meine, diese Geschichte kann uns heute manches sagen. Da ist zum einen ein Priester, der das tut, wozu er geweiht wurde: den Menschen die heiligen Sakramente zu spenden und sie auf ihrem Lebensweg zu stärken, selbst wenn die Welt um ihn herum zusammenbricht. Was auch die Zeit an Herausforderungen und Erschütterungen mit sich bringen mag, die Kirche lebt aus den Sakramenten und ganz zentral aus ihrer Verbindung mit dem Ursakrament Jesus Christus. In der verzweifelten Suche nach den verlorenen Hostien und dem Verbrennen des Hauses zeigt sich darüber hinaus, welch eine tiefe Ehrfurcht die Menschen damals vor dem Allerheiligsten hatten. Vielleicht kann uns das Anlass sein, einmal neu darüber nachzudenken, mit welcher Haltung wir dem Herrn entgegengehen, wenn wir nachher wieder die Kommunion empfangen. Wären wir heute bereit, ein ganzes Haus zu verbrennen, damit der Leib des Herren nicht verunehrt wird? Die Erzählung vom Hostienwunder zeigt aber noch etwas: Jesus wird sich immer von den Menschen finden lassen, die ihn von ganzem Herzen suchen. Keine Flamme der Welt kann das verhindern. Gottes Sohn will den Menschen nahe sein und wir dürfen ihm in jeder Eucharistiefeier leibhaftig begegnen.

Darum lasst uns heute an diesem Festtag, zusammen mit allen Engeln und Heiligen, die hier im Hochaltar und auf den vielen Halbsäulen dieser wunderbaren Pfarrkirche zu sehen sind, einstimmen in das große Lob des Salvators: Christkönig, Halleluja! Amen.

[1] Hönle, Xaver: Zur Geschichte der Pfarrkirche und Pfarrgemeinde St. Salvator Nördlingen von 1381 bis 2016,
   Regensburg 2019, 33.

[2] https://www.projekt-gutenberg.org/dostojew/karamaso/kara05.html, 27.10.2022.