„Ein Jahrhundert voller Bildung, Gemeinschaft und Glauben“
Sehr geehrter Provinzial P. Callistus Joseph CMF, liebe Mitbrüder der Claretiner-Kongregation, liebe Schwestern und Brüder in Christus, als Claretiner haben Sie sich alle im Laufe Ihres Lebens dazu entschieden, den Spuren des heiligen Antonius Maria Claret (1807-1870) zu folgen. Dessen geistliches Vermächtnis und seine vielfältigen Verdienste angemessen zu würdigen, übersteigt den Rahmen einer Festpredigt.
Darum will ich mich heute auf das konzentrieren, was Ihr Ordensgründer selbst im 30. Kapitel seiner Autobiographie (AB) hervorgehoben hat: „Die notwendigste Tugend ist die Liebe. Ja, das sage ich, und ich werde es noch tausendmal sagen: Die Tugend, die ein apostolischer Missionar am dringendsten braucht, ist die Liebe.“
Es scheint eine recht einfache, für manche vielleicht sogar platt klingende Botschaft, wenn man bedenkt, dass die schriftlichen Zeugnisse von Claret mehrere hundert Seiten umfassen. Doch sind wir damit schon mitten in den heutigen Tageslesungen, wo es ja genau um diese Frage ging, ob es möglich sei, die Botschaft Gottes in wenigen Worten zusammenzufassen. Da der heilige Priester aus Katalonien im selben Kapitel seiner Aufzeichnungen ganz konkret von der Liebe zu Gott und dem Nächsten spricht, welches exakt die Antwort aus dem heutigen Evangelium ist, war für mich schnell klar, worüber ich heute zu Ihnen sprechen möchte: Wie würde der große Missionar aus Sallent wohl auf unsere gegenwärtige Zeit blicken und welche Empfehlungen würde er uns hinsichtlich des Doppelgebots der Liebe für unseren täglichen Dienst mit auf den Weg geben? Drei kurze Gedanken möchte ich Ihnen dazu anbieten, die mir gekommen sind, als ich die Einladung auf Ihrer Homepage las. Hier wird der festliche Anlass des heutigen Tages, das 100jährige Bestehen des Claretinerkollegs, mit den Worten kommentiert: „Ein Jahrhundert voller Bildung, Gemeinschaft und Glauben“[1].
1. Bildung
Bildung – das ist sicherlich ein zentraler Begriff, wenn man auf das Leben von Pater Claret und der Claretiner blickt. Dabei ist es spannend zu lesen, dass der kleine Antonio nicht nur ein fleißiger und hervorragender Schüler war, sondern auch erstaunlich reflektiert, insofern er offensichtlich früh merkte, dass wahre Bildung nicht nur das Auswendiglernen von Fakten bedeutet, sondern auch Herzensbildung und die Einübung von Tugenden (vgl. AB 25ff.). Wir sehen dies, wenn er am Ende seiner Autobiographie davon spricht, wie wichtig es sei, sich um eine „feine Bildung“ und einen „makellosen Lebenswandel“ zu bemühen. Diesem Ziel wollte er als Priester und späterer Erzbischof von Santiago de Cuba mit der Gründung von Schulen und Volksbibliotheken dienen, aber auch durch seine vielen missionarischen Schriften, die er verteilte. Zeitlebens war für ihn klar, dass Bildung und Mission Hand in Hand gehen. Heute gibt es weltweit zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen, die den Namen des Mannes tragen, der zunächst das Weberhandwerk erlernte und stets den Blick für alle Schichten der Gesellschaft hatte.
In seinem Sinne wurde auch hier in Weißenhorn vor exakt hundert Jahren nicht nur das Claretinerkolleg errichtet, sondern gleich darauf ein Progymnasium sowie ein Internat. Viele Jahrzehnte engagierten sich die Claretiner als Pädagogen, Lehrer und Seelsorger, und noch immer lebt der Geist Clarets in den Räumen des „Hauses der Begegnung“ weiter, als dem zentralen Jugendbildungshaus der Diözese Augsburg in der Region Neu-Ulm. Mit Seminaren, Lehrgängen, Tagungen, Workshops und Freizeitangeboten wurde und wird hier versucht, jungen Menschen die Botschaft Gottes auf zeitgemäße Weise zu vermitteln. Eine Botschaft, die keineswegs unverständlich oder überfordernd ist, wie wir es in der ersten Lesung aus dem Buch Deuteronomium gehört haben. „Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“ (Dtn 30,14) Ich denke, dass dies ein sehr wichtiger Aspekt unseres Glaubens ist, den Pater Claret seinerzeit vermitteln wollte und den auch wir als Christinnen und Christen den Menschen unserer Zeit weitergeben müssen. Wir verkünden keine verstaubten oder schwer zu verstehenden Lehren, sondern die „Stimme des Herrn“ (Dtn 30,10), dessen Worte wahr und gerecht sind, was wir sehr wohl erkennen können, wenn wir uns ihm öffnen.
Zugleich sind wir dazu berufen, die Botschaft nicht nur zu hören, sondern auch zu leben, wie uns das heutige Evangelium anschaulich vermittelt. Wie Sie alle wissen und wie wir es eben gehört haben, sind es ausgerechnet der Priester und der Levit, die im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) an dem Notleidenden vorbeigehen, während ein Fremder, auf dessen Volksgruppe man damals herabsah, Mitgefühl zeigt. Erstgenannte müssen deswegen übrigens keine schlechten Menschen gewesen sein. Nur machten sie den Fehler, den viele noch heute machen, nämlich die Orthodoxie von der Orthopraxie abzukoppeln. Das Bemühen um die rechte Einhaltung der Lehre darf uns niemals lieblos werden lassen, oder blind gegenüber den Nöten unserer Zeit! Ganz im Gegensatz dazu sprach der heilige Antonius Maria Claret nicht nur von der Liebe Gottes zu den Menschen und untereinander, er lebte sie auch, indem er sich mit großem Einsatz für die entrechteten Sklaven und Armen einsetzte. So gilt gerade für uns Kleriker das Wort des hl. Cyrill, der einst sagte: „Wertlos ist die Würde des Priestertums und die Wissenschaft des Gesetzes, wenn sie nicht durch gute Werke bekräftigt wird.“[2]
Dies führt mich zum zweiten Gedanken: die Wichtigkeit von Gemeinschaft.
2. Gemeinschaft
Welche Bedeutung ein gemeinschaftliches Leben für den Ordensgründer der Claretiner hatte, lesen wir beispielhaft in seiner Beschreibung von der Begegnung mit den Nonnen in Andalusien (AB 709-716). Entsetzt stellte er damals fest, dass in vielen Klöstern das Gemeinschaftsleben immer mehr zurückging und etliche Nonnen das Privatleben vorzogen. Mit eifrigen Worten und dem Verweis auf Jesus selbst, der die Apostel um sich versammelte und allerorts Gemeinschaft stiftete, warb er für das gelebte Miteinander als Voraussetzung für echte Vollkommenheit. Christsein ohne Gemeinschaft war für ihn undenkbar. Der hl. Paulus verwendete in seinem Brief an die Kolosser, aus dem wir vorhin einen Abschnitt gehört haben, dafür das Bild des Körpers, mit dem Haupt Christus und dem Leib der Kirche (Kol 1,18). Wir alle brauchen demnach einander, mit unseren verschiedenen Fähigkeiten und Talenten, sei es im Orden, in der Diözese, oder in der Gesellschaft. Zugleich aber und noch mehr brauchen wir Jesus Christus als denjenigen, der uns den Weg in die Zukunft weist. Im Blick auf IHN werden wir Antwort finden auf die Fragen: Wie kann es hier in Weißenhorn weitergehen? Was sind die nächsten Schritte? Hundert Jahre sind ein guter Zeitpunkt, meine ich, darüber nachzusinnen, wohin der Geist Gottes die hiesige Gemeinschaft der Claretiner führen will. Es wird in jedem Fall ein guter Weg sein, solange Christus im Mittelpunkt steht und die Ordensangehörigen in Eintracht miteinander leben.
Damit komme ich zu meinem letzten kurzen Gedanken, der von der Kraft des Glaubens handelt.
3. Glaube
Wir alle sind von Christus gerufen worden und glauben an seine Gegenwart in Wort und Sakrament. Jeden Tag stimmen wir ein in das Lob des unsichtbaren Gottes, dessen Bild auf Erden Christus ist (vgl. Kol 1,15), auf den hin wir geschaffen sind, und der uns gelehrt hat, was gut und richtig ist. In der Begegnung mit Menschen und in konkreten Taten der Nächstenliebe bemühen wir uns, seinem Beispiel zu folgen, getreu dem Ruf aus dem heutigen Evangelium: „Geh und handle ebenso!“ (Lk 10,37) Manches Mal gelingt uns das besser, manches Mal schlechter. In diesem Zusammenhang finde ich ein Gebet des hl. Antonius Maria Claret bemerkenswert, welches er „Bitten für mich“ nannte. Es ist eine persönliche Andachtsübung (AB 655), in welcher er sich mit den Worten an Gott wendet:
„Ich glaube, Herr, doch lass mich entschiedener glauben.
Ich hoffe, Herr, doch lass mich zuversichtlicher hoffen.
Ich liebe, Herr, doch lass mich glühender lieben.
Ich bereue, Herr, doch lass mich die Reue heftiger spüren.“
Könnten diese Gebetsanliegen nicht ein geeigneter Schlüssel sein, um gegenwärtigen wie künftigen Herausforderungen zu begegnen? Den Herrn zu bitten, dass er unseren Glauben stark macht, wenn wir Zweifel haben und unsicher werden. Seine Hilfe anzurufen, dass wir gerade dann Hoffnung in uns spüren, wenn uns etwas schwer belastet und wir nicht weiterwissen. Und schließlich, noch mehr innere Freude darin zu empfinden, die Liebe Gottes zu leben und für andere Menschen da zu sein.
Liebe Mitbrüder der Claretiner-Kongregation,
vor fünfzig Jahren gratulierte einer meiner Vorgänger, Bischof Josef Stimpfle, den Mitgliedern des Kollegs zum Jubiläum, und dankte für deren Einsatz in Verkündigung und im Bildungsbereich. Daran möchte ich heute anknüpfen und Ihnen von ganzem Herzen „Vergelt’s Gott“ sagen dafür, dass Sie auch in den letzten Jahrzehnten in Hegelhofen und weit darüber hinaus der Kirche ein Gesicht gegeben haben. Ich denke an die Missionare im Kongo, aber auch an die ersten Studenten aus Indien, die in Weißenhorn ihre Ausbildung als Claretiner-Missionare erhielten. An vielen Stellen gab es segensreiches Wirken und so bitte ich den Herrn, dass er auf die Fürsprache des heiligen Antonius Maria Claret weiter Ihre Ordensgemeinschaft mit seinem Heiligen Geist begleite, damit Sie auch in Zukunft als „Söhne des Unbefleckten Herzens der seligen Jungfrau Maria“ die Liebe Gottes in Wort und Tat verkünden können.
[1] https://www.claretinerkolleg.de/ (10.07.2025).
[2] Thomas von Aquin: Catena aurea. Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis. Sankt Ottilien 2012, 672.
Schriftlesungen vom Tag: Dtn 30,9c–14; Kol 1,15–20; Lk 10,25–37