„Altar und Ambo als Geschenketisch“
Liebe Schwestern und Brüder in Christus, eine beliebte Frage in Kreuzworträtseln lautet: Erhöhtes Lesepult mit vier Buchstaben? Auch wenn Sie nicht täglich Rätsel lösen, wissen Sie bestimmt die richtige Antwort ohne größeres Nachdenken: Richtig, der Ambo! Und nach „Kircheninventar mit fünf Buchstaben“ gefragt, fällt Ihnen sicherlich auch gleich die passende Lösung ein – der Altar.
Die Segnung des neuen Altars und Ambos sind der Grund für unsere heutige Zusammenkunft. Nutzen wir diese Feier zum Abschluss der Kirchenrenovierung, um über diese beiden zentralen Ausstattungsgegenstände im Kirchenraum etwas genauer nachzudenken und ihre Bedeutung zu heben.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) wurde der Stellenwert des Wortes Gottes neu entdeckt. Wurden die biblischen Lesungen früher vom Priester am Altar verlesen, wird dem Wort Gottes nun mit dem Ambo ein eigener Platz im Altarraum eingeräumt. Dabei ist der Ambo eben nicht bloß ein Lesepult mit Mikrophon zum Verlesen biblischer Geschichten. Er ist vielmehr würdiger Ort der Verkündigung für das Wort Gottes.
„Aus überströmender Liebe spricht Gott die Menschen an wie Freunde“ (vgl. Dei Verbum 2), so formulierte es das Konzil. Gott ist kein fernes, nebulöses Etwas, abgehoben von der Welt. Der Glaube an ihn ist auch kein penibles, angsteinflößendes Einhalten von Vorschriften, kein blindes Befolgen und die Weitergabe von Glaubenssätzen, sondern dynamisches Geschehen, ein personal geprägter Prozess: Gott tritt – aus Liebe – in Beziehung mit den Menschen; er sucht die Gemeinschaft und lädt sie zur tiefergehenden Freundschaft mit ihm ein. Über die Propheten tut er ihnen seinen Willen kund, weil er das Gute für die Menschen, ihr Wohlergehen im Blick hat. Schließlich geht Gott bis zum Äußersten: Er wird Mensch in Jesus Christus, um den Menschen in die Gemeinschaft mit sich hinzuführen: „Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen“ (Kol 1,19) – so haben wir es eben in der zweiten Lesung gehört.
Im Evangelium ist das menschgewordene Wort Gottes, Jesus Christus selbst, bis heute gegenwärtig unter uns. Damit: Die biblischen Texte sind keine Aneinanderreihung „toter Buchstaben“, keine „leere Rede“, keine Erzählungen längst vergangener Tage, keine Geschichten von gestern. Das Gegenteil ist der Fall: Gottes Wort ist höchst lebendig! Sein Wort zu hören, heißt sich mit Gott selbst auseinanderzusetzen.
Der Hörer des Wortes Gottes ist also nicht bloßer Befehlsempfänger einer von Gott kommenden Botschaft. Wer das Wort Gottes hört oder liest, der erfährt in menschlicher Sprache Gott selbst; wer sich von dem lebendigen Wort anrühren lässt, tritt ein in ein höchst dialogisches, ein wechselseitiges Geschehen. Gottes Wort fordert ein Umgehen mit diesem, eine Reaktion heraus; es will Wegweisung und Trost sein, Richtschnur und Lebensstütze für den glaubenden Menschen. Kurzum: Gottes Wort will nicht schnell beantwortet, sondern gelebt werden! Anders ausgedrückt: Verkündigung meint kein „thematisches Sprechen über etwas im Dienst der (belehrenden) Information, sondern ein Akt, durch den an den Hörern etwas geschieht: ihre Wandlung in das neue Leben des Auferstandenen.“ (Reinhard Meßner)
Machen wir uns dies heute in besonderer Weise mit der Segnung des Ambos bewusst! So lade ich sie ein: Hören (und lesen) Sie regelmäßig Gottes Wort „mit dem Herzen“. Es geht nicht darum, die Texte bis ins kleinste Detail verstehen zu müssen, sondern spüren Sie nach, welcher Satz Sie in Ihrer aktuellen Situation anspricht, was Gott Ihnen heute sagen und mit auf den Weg geben will, welches Wort Sie als Zuspruch erfahren und ins Leben mitnehmen wollen.
Betrachten wir Ambo und Altar, so sind diese, wie so oft, aus demselben Material gestaltet; hier sind sie sozusagen aus dem „gleichen Holz geschnitzt“. Damit kommt eine enge innerliche Verbindung äußerlich zum Ausdruck: Das, was wir im Wort Gottes hören, oder besser: denjenigen, den wir im Evangelium verkünden als das fleischgewordene Wort Gottes, Jesus Christus, wird auf dem Altar in den Gaben von Brot und Wein wirklich gegenwärtig, „real präsent“. So ist der Altar der zentrale Ort im Kirchenraum, der Ort, an dem sich Himmel und Erde, Göttliches und Irdisches berühren.
Der neue Altar in St. Michael ist als Tisch gestaltet. Er lädt uns ein, Platz zu nehmen und am gemeinsamen Mahl mit Jesus Christus teilzuhaben. So wird der Tisch sozusagen zum „Geschenketisch“: Gott schenkt sich uns und wir dürfen Anteil haben am Göttlichen. Mehr noch: Jesus Christus will, dass wir uns von ihm her wandeln lassen. Und umgekehrt dürfen wir unser ganzes Leben „auf den Tisch legen“, weil er sich für uns interessiert und er Anteil nehmen will an unserem Dank und unseren Freuden, aber insbesondere auch an unseren persönlichen Ängsten und Sorgen. Was für ein geheimnisvolles Geschehen, was für ein wunderbarer Tausch, der sich hier vollzieht!
Der „Tisch des Wortes“ (SC 51) und der „Tisch des Brotes“ (SC 48) sind neu gestaltet. Ich danke allen von Herzen, die an ihrer Umsetzung von der Planung bis zur Ausfertigung wie auch der Finanzierung beteiligt waren und Zeit, Mühe und auch finanzielle Mittel bei der Kirchenrenovierung aufgewendet haben – Vergelt‘s Gott für alle Arbeit und Unterstützung! Als Gläubige werden Sie sich zukünftig darum versammeln und Gottesdienst feiern. Meine Empfehlung: Suchen Sie diese neu gestaltete Mitte in Ihrer Kirche regelmäßig auf. Es ist wie in einer Beziehung, die gepflegt sein will, ansonsten verkümmert sie! Lassen Sie sich von Christus her, dem lebendigen Brot, stärken. Meine Bitte an Sie: Wenn Sie die Kommunion empfangen, tun Sie es nicht in einer Haltung der Gewohnheit. Seien Sie sich bewusst, dass Gott sich in seiner Erhabenheit klein macht, um bei Ihnen „zu landen“ und Ihnen seine ganze Liebe zu schenken.
Indem Jesus Christus jeden und jede an sich bindet, sind alle durch ihn verbunden und dadurch aneinander gebunden. Der Empfang der Eucharistie ist also nie bloße Seelenspeise für fromme Individualisten! Durch die Feier und den Empfang des Leibes (und des Blutes) Jesu Christ werden die Gläubigen zur Gemeinschaft der Kirche auferbaut. Hier schwingt mit, dass ich mit meinem Glauben nie allein bin, sondern Teil einer „geistlichen Gemeinschaft“, die mich stärkt und stützt. Deswegen ermuntere ich Sie: Achten Sie aufeinander und seien Sie fürsorglich zueinander. Teilen Sie als Christ, als Christin „Freud und Leid“ miteinander und nehmen Sie sich gegenseitig ins Gebet. Haben Sie ein offenes Ohr, ein wachsames Auge und eine helfende Hand füreinander.
Bleiben wir dabei nicht „an der eigenen Kirchentüre stehen“! Denn Kirche ist kein Club von „spirituell erleuchteten Auserwählten“, die sich nur um sich selbst und den „richtigen Kult“ kümmern. Mit seinem Lehrstück vom Barmherzigen Samariter im Evangelium hat uns Jesus ein Modell vorgelegt, an dem es Maß zu nehmen gilt: „Geh hin und handle ebenso!“ (Lk 10,37) Aus der Kommunion folgt das, was Jesus selbst uns aufgetragen hat: Tut das, was ich getan habe! Handelt so, wie ich an Euch gehandelt habe (vgl. Joh 13,15).
Das Handeln des Samariters entspringt nicht dem Gesetz, sondern dem Herzen: „Er hatte Mitleid“ (Lk 10,33). Christliches Tun kennt somit weder konfessionelle noch nationale Grenzen, wenn es um konkrete Hilfe für unseren Nächsten geht. Dabei ist die Straße zwischen Jerusalem und Jericho überall, auch bei uns. Der Nächste ist einfach da – in der Nachbarschaft, im Arbeitsumfeld, im Freundeskreis, in der Familie! Nehmen wir uns der Verletzungen unserer Mitwelt an; wo es notwendig ist, gehen wir nicht achtlos vorbei. Helfen wir mit, die Verletzungen unseres Nächsten zu versorgen.
Aus dem Hören des Wortes Gottes und dem Empfang der Kommunion folgt konkret missionarisches Handeln. So wird der Glaube fruchtbar und es wird deutlich, wofür die Kirche steht – nicht für sich selbst, sondern zur Verehrung Gottes und zum Heil der Menschen.
Schriftlesungen vom 15. So. i. J.: Dtn 30,10-14; Kol 1,15-20; Lk 10,25-37