Franz Schaumann machte seinem Titel „Pater“ alle Ehre
Nach dem ersten Pfarrer Ludwig Epp, der 32 Jahre hier in Kaufering wirkte, kam 1999 Franz Schaumann zu uns nach Maria Himmelfahrt, wo er über 17 Jahre lang ein segensreiches Wirken entfaltete. Franz Schaumann hatte eine Spezialität: Denn er war nicht nur Pfarrer, er war Pater, Mitglied der Salesianer Don Boscos. Auf seinen Ordensgründer war Franz Schaumann stolz.
Ausgerechnet Giovanni Bosco, der seinen eigenen Vater mit zwei Jahren verlor, also ihn ausschließlich aus den Erzählungen seiner Mutter oder seines älteren Bruders kennen konnte, wurde als zölibatär lebender Priester zum Vater von Hunderten Kindern und Jugendlichen. Er vollzog buchstäblich die Gegenbewegung zum autokratischen Pater familias und hob alle auf, die am Boden lagen. Er sammelte die verlorenen und verirrten Söhne (Lk 6; Jes 40), garantierte ihnen nicht nur Sicherheit und körperliches Wohlergehen, sondern bot Heimat, Geborgenheit und als Wichtigstes: Anerkennung und liebevolle Beziehung. Gerade im Aktionszentrum in Benediktbeuern, wo P. Schaumann als junger Salesianer tätig war, engagierte er sich für junge Menschen, die dort eine geistliche Oase suchten und ein Feld, etwas auszuprobieren.
Was heißt das? Schauen wir ins 19. Jahrhundert: In einer fortschrittsgläubigen und auf Maximalleistung und Kapitalgewinn ausgerichteten Zeit hat Don Bosco das väterliche Ideal des Evangeliums umgesetzt und revolutionierte damit – Ironie der Geschichte – die christliche Pädagogik. Dass er sich damit unter den Industriellen und Neureichen erbitterte Feinde erwarb, verweist darauf, welche Konsequenzen echte Nachfolge Jesu mit sich bringen kann.
„Da mihi animas, cetera tolle (Gen 14,21; Vulgata) – Gib mir Menschen, alles andere nimm!“ – Ganz gleich, ob sich der Heilige diesen Leitspruch selbst wählte oder er ihm erst im Nachhinein zugeschrieben wurde, er benennt radikal die Priorität, die für jeden Seelsorger/Seelsorgerin gelten sollte: „Gib mir Menschen, das übrige nimm!“ Sicher ein Ideal, das Menschen nur selten erreichen, dennoch dürfen wir uns nie mit der Mittelmäßigkeit zufriedengeben, sonst lügen wir uns in die eigene Tasche. Papst Franziskus hat kürzlich darauf hingewiesen: „Die Heiligen helfen allen Gläubigen bei ihrem ‚Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit‘. Ihr Leben ist ein konkreter Beweis dafür, dass es möglich ist, das Evangelium zu leben.“[1]
Es ist möglich, das Evangelium zu leben – keiner von uns würde dem widersprechen wollen. Und doch widerspricht unser Leben allzu oft dieser Wahrheit. Wir lassen uns gerne Vater nennen, aber handeln wir „mit dem Herzen eines Vaters“? Bis heute ist die Anrede „Pater“ gebräuchlich und nicht wenige tragen diesen Titel mit Stolz, denn der „Herr Pater“ ist in katholischen Kreisen immer noch eine Respektsperson. Viele von uns erinnern sich noch an die Zeiten, als auch Bischöfe sich gerne mit ‚Vater ‚titulieren ließen - und der Papst wird nach wie vor als Hl. Vater angesprochen. Auch wenn die Anekdote vom jetzigen Bischof von Rom erzählt, er habe, als er bei der Essensausgabe in Santa Marta gefragt wurde: „Einen Nachschlag, Hl. Vater? “, schlagfertig zurückgegeben: „Sehr gerne, Hl. Tochter!“
Was bedeutet Vater sein – im christlichen, evangeliumsgemäßen Sinn? Don Bosco hat es vorgelebt. Zusammen mit der hl. Maria Mazzarello nahm er sich derer an, die am Rande der Gesellschaft standen, die im Schatten der boomenden Wirtschaft ihr Dasein fristeten, als Abschaum galten, Bodensatz, Ausbund der Schlechtigkeit. Beide Heilige versuchten mit scheinbar schwachen Mitteln dem ungebremsten Kapitalismus ihrer Zeit die Schöpfungsordnung entgegenzustellen. Sie gaben den jungen Menschen ihre unveräußerliche Würde zurück, die sie als Ebenbild Gottes (Gen 1) immer schon besitzen. Darum ging es auch P. Schaumann im Blick auf die vielen unterschiedlichen Menschen, für die er Seelsorger war. Diakon Richard Fuchs und seine Frau Herta halfen ihm dabei – nicht nur organisatorisch, sondern auch insofern, als sich Franz Schaumann auch als Mensch angenommen und geborgen wusste.
Nur so verändern wir als Cooperatores Dei die Welt: Nicht indem wir uns „Vater/Pater“ nennen lassen, sondern indem wir „Patris corde/mit dem Herzen eines Vaters“ handeln - wie der erste männliche Heilige, der sich in den Dienst des menschgewordenen Gottes nehmen ließ, der hl. Josef. Ihm hat Papst Franziskus eine gleichnamige Betrachtung gewidmet, um damit ein Jahr des hl. Josef einzuläuten. Eine Bibelmeditation, wie für Franz Schaumann geschrieben und für alle, die im Dienst der Jugend stehen. In nuce findet sich darin die ganze Pädagogik Don Boscos, weil sie derselben Quelle entspringt: der unendlichen Liebe des Vaters Jesu Christi zu uns Menschen!
Ich kann diese Betrachtung nicht schließen, ohne auch persönlich Dankbarkeit für alles auszudrücken, was P. Franz Schaumann an Spuren in meinem Herzen hinterlassen hat: Ich denke zunächst an das Aktionszentrum Benediktbeuern. Oft und gern sind wir von Landsberg aus hierher zu Veranstaltungen gefahren, das AZ war für uns Markenzeichen und Gütesiegel: eine Tankstelle, aus deren Zapfsäulen wir schöpfen, eine Ideenbörse, aus der wir weitergeben konnten – auch in Pfarrei und Schule hinein: hier gab und gibt es Spirit, Sprit für die Seele, damit gerade junge Menschen sich ihren Weg ins Leben bahnen können. Auch in Seifriedsberg bei Wochenenden für Ministranten sind wir uns öfter begegnet. Schon damals spürte ich, wie P. Schaumann für die Liturgie brannte. Das hat er auch in Kaufering beibehalten: Die Feier des Gottesdienstes stand bei ihm ganz oben. Würdig sollte es sein – und manchmal auch ein wenig lang. Gerade in der Begleitung der Jugend war es ihm wichtig zu beachten, was Vaterschaft im geistlichen Leben heißt: fruchtbar sein und doch nicht binden, beraten und dabei nicht drängen, Nähe geben und gleichzeitig Distanz halten. In der Berufungspastoral, die mir als Bischof ein Herzensanliegen ist, muss das unsere Grundregel sein: jungen Leuten helfen, in Freiheit Entscheidungen fürs Lebens zu treffen. Wir dürfen nicht engführen, wir brauchen Tiefe und Weite. In dieser Hinsicht hat sich P. Schaumann als Salesianer wirklich den Namen „Pater“ verdient! Werden wir immer mehr väterliche Begleiter mit mütterlichen Zügen. So wächst die geschwisterliche Kirche.
Noch ein letzter Gedanke leuchtet die Persönlichkeit von P. Schaumann in ihrer Tiefe aus. Die Zeit seiner eigenen Berufung war eine Provokation: 1968 empfing er die Priesterweihe. 1968 steht für Studentenunruhen und Steinewerfer, fliegende Tomaten und faule Eier, Drogenrausch und sexuelle Revolution, radikale Gruppen, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckten, um Freiheit zu erkämpfen. Doch welche Art von Freiheit hatten sich die jungen Leute auf die Fahnen geschrieben? Es ist die Freiheit, wie Karl Marx sie gepredigt hatte. Ganz anders der junge Franz Schaumann: er hatte schon als junger Mann eine andere Vision von Freiheit. Er fühlte sich frei, indem er eine Bindung einging. Zunächst verpflichtete er sich auf die Gemeinschaft der Salesianer Don Boscos. Dann empfing er die Priesterweihe. Mit der Handauflegung des Bischofs legte er sich fest, die Freiheit seiner eigenen Hände in die Arme Gottes zu legen. Diese Entscheidung war damals provokativ. Sie ist es bis heute. Nehmen wir diese Provokation mit hinein in die bevorstehenden heiligen Tage. Vor dem Kreuz Jesu können wir nicht neutral bleiben. Stellen wir uns unter das Kreuz und bitten wir für P. Franz Schaumann: „Birg ihn ihm Schatten deiner Flügel.“ (Ps 17,8)
[1] Franziskus: Patris corde (8. Dez. 2020), Schluss.