„Ich bin stolz, katholisch zu sein“ - Den Menschen Jesus zeigen, nicht abtauchen!
Liebe Schwestern und Brüder, in diesen Wochen und Monaten ist mir ein Wort neu bewusstgeworden, das mir vorher fast zu schnell und unbedacht über die Lippen ging: Friede. Am Anfang der hl. Messe ist es der Gruß, den ich nach dem Kreuzzeichen als Bischof an Sie, liebe Gemeinde, richten darf: „Der Friede sei mit Euch.“ Vor der Kommunion denken wir an den Frieden, der nicht nur menschliche Aufgabe ist, sondern Gabe, Geschenk des Himmels: „Frieden hinterlasse ich Euch. Meinen Frieden gebe ich Euch.“ Und am Schluss entlässt uns der Diakon mit dem Ruf: „Gehet hin in Frieden!“ Es wäre ein großer Irrtum zu meinen: Jetzt ist alles geschafft, die Pflicht erfüllt, das Ziel erreicht, und der Herr soll mich in Frieden lassen. - Im Gegenteil: Bei jeder Firmung wird dem Jugendlichen persönlich der Friede zugesprochen: „Der Friede sei mit Dir.“ Das heißt: Jetzt geht es erst richtig los. Jetzt fängt alles erst an.
Man muss noch lange kein Lateiner sein, um schon lautmalerisch aus der lateinischen Version des Entlassungsrufes – Ite missa est – herauszuhören: Das ist „Messe“, das ist Sendung, und nicht, das war’s. Jetzt gehen wir zur Tagesordnung über. - Das „Gehet hin in Frieden“ ist ein Startschuss: die hl. Messe mit dem Brot des eigenen Lebens zu feiern, sich selber verwandeln zu lassen, um für die Mitmenschen ein anderer Christus (alter Christus) zu sein.
Ich spitze es zu: Jede und jeder von uns soll im eigenen Leben, im Beruf und Stand für die Mitmenschen ein anderer Christus sein. Wir alle sind Repräsentanten Christi. Wir vertreten Christus – freilich auf je eigene Weise: Frauen und Männer, Ordenschristinnen und Christen, nicht zu vergessen die Priester und Bischöfe sakramental am Altar, wenn sie „in persona Christi capitis“ handeln, im Namen Christi des Hauptes seiner Gemeinde. Doch wer nur so denkt, stellt seine Argumentation auf hölzerne Beine. Denn die sakramentale Weihe schafft keinen Automatismus. Um Christus zu repräsentieren, brauchen wir nicht nur ein Dokument, sondern auch den Ausweis der Glaubwürdigkeit: „Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, geschrieben nicht mit Tinte, sondern durch das Wirken des lebendigen Gottes.“ (vgl. 2 Kor 3,3) Dies ist übrigens mein Primizspruch, mit dem ich als 25-Jähriger auf den Weg als Priester gesandt wurde: „Ite, missa est“. Diese Mission gilt auch für Geweihte. Gerade heute wird klar: Die Repräsentanz Christi braucht Transparenz und Konsequenz. Das ist die Nagelprobe für unsere Nachfolge. Nur so sind wir Christi Visitenkarten – und jeder, der uns trifft, soll spüren, dass er eine gute Adresse hat.
Heute dürfen wir uns fragen lassen, was es denn bedeutet, ein anderer Christus zu sein. Als ich kürzlich an der Premiere der Passionsspiele in Oberammergau teilnahm, habe ich mir gedacht: Die Passion in Oberammergau ist echte Verkündigung; die Zuschauer opfern dafür einen ganzen Tag. Doch ob sich jeder, der bei der Fronleichnamsprozession durch die Straßen seiner Kommune mitläuft, darüber im Klaren ist, dass es an Fronleichnam um Verkündigung geht, darf durchaus bezweifelt werden. Wie in Oberammergau ein ganzes Dorf „evangelisiert“, so sind auch wir heute im Dienst der Verkündigung. Fronleichnam ist Evangelisierung.
Was es bedeutet, ein anderer Christus für die Welt zu sein, beantwortet uns das Geheimnis unseres Glaubens selbst, wenn wir mit der Feier der heiligen drei Tage den Höhepunkt des Kirchenjahres begehen. In der Liturgie werden die Eckpunkte dieser Bedeutung in den Evangelien zur Weihe der heiligen Öle (Chrisammesse) und in der Feier des Letzten Abendmahles, der Einsetzung der Eucharistie, verkündet: zwei elliptische Brennpunkte.
Hören wir zunächst in Jesu Primizpredigt hinein! In der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth sagt Jesus von sich selbst: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; …“[1] Und am Abend des Gründonnerstags heißt es: „Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, … und begann, den Jüngern die Füße zu waschen ...“[2]
Ein anderer Christus für die Menschen sein, das bedeutet: Vom Geist Gottes beseelt, sich der Vollmacht der Kinder Gottes kraft ihrer Salbung und Sendung durch Taufe und Firmung bewusst sein. Und davon untrennbar: im Geiste Jesu Christi den anderen Liebe zu erweisen, Liebe bis zur Vollendung.
Ein anderer Christus für die Menschen sein heißt, ihnen durch unser Reden und Tun Anteil am ganzen Christus zu vermitteln. „Glaube nur, sie brauchen dich“ – beginnt ein ermutigendes Gedicht für junge Menschen, das nach der Aufzählung alles dessen, was die Mitmenschen brauchen, mit den Worten schließt: „… und das, was ihnen am meisten gebricht: dein Wissen um das ewige Licht.“[3]
Ein anderer Christus für die Mitmenschen sein heißt auch, im Denken, Reden und Tun auf das ewige Ziel ausrichten. So wichtig die irdischen Dinge sind, so notwendig unser Engagement für Kirche und Welt auch sein mag, haben wir tatsächlich immer auch das im Blick, was wir als das ewige Heil bezeichnen, den Himmel? Heute feiern wir das Brot vom Himmel – in der kleinen Hostie!
Wovon sie die ganze Zeit gelebt habe, wird Rainer Maria Rilke von seiner Begleiterin gefragt, als er einer Bettlerin eine Rose geschenkt hat und die arme Frau dann für einige Tage nicht mehr am Straßenrand zu sehen war. – Von der Rose, antwortet darauf der Dichter. Schon zuvor hat er die Überzeugung geäußert, man müsse ihrem Herzen schenken und nicht nur ihrer Hand.
Jesus weiß, was die Menschen brauchen. Er will unserem Herzen schenken und nicht nur unserer Hand. Er belässt es nicht dabei, die Massen mit Brot zu versorgen. Er nimmt vielmehr den Hunger der Menschen zum Anlass, um ihren Hunger nach dem ewigen Leben zu wecken. Der göttliche Pädagoge speist Tausende, um sie auf die himmlische Speise vorzubereiten, das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist, sein Fleisch, das er hingibt für das Leben der Welt.
Das alles sind keine Worte, das ist auch nicht nur Symbol, sondern Realität: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben… Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.“[4]. Damals wie heute fordert die Verkündigung der Eucharistie zur Entscheidung heraus. Dass Sie, liebe Schwestern und Brüder, heute hierhergekommen sind, ist ein Statement. Danke dafür!
Schön, dass wir heuer wieder größer Fronleichnam feiern können, nachdem wir wegen Corona eine Zwangspause einlegen mussten. Dieses Fest ist mehr als Folklore; es ist auch keine Militärparade, sondern eine Glaubensdemonstration. Danke für dieses starke Zeugnis! Auch unsere junge Generation startet wieder durch. Mehr als 2500 Ministrantinnen und Ministranten waren kürzlich in Friedberg beisammen, um sich zu treffen, zu lachen und zu feiern. Ein starkes Zeugnis auf dem Marienplatz in Friedberg – und vorher schon die nicht enden wollende Prozession durch die Stadt. Zuschauer staunten, manch einer applaudierte angesichts der jungen Leute – Mädchen und Jungen, die in ihren roten Gewändern die Straße dominierten. Ich könnte diese Liste fortführen: gut 500 St. Georgspfadfinder (DPSG) im Wittelsbacher Park, Wallfahrt nach Maria im Elend – mehr als 1000 Teilnehmer trotz des Regens, 450 Kinder und Jugendliche mit Eltern als Pilger in Assisi.
Das zeigt: Die Kirche ist nicht tot, sie lebt! Auch wenn manche meinen, uns den Rat geben zu sollen, angesichts von Missbrauch und Vertrauenskrise lieber etwas im Hintergrund zu bleiben und von der Öffentlichkeit zurückzutreten, behaupte ich das Gegenteil: Die Gesellschaft von heute - die Menschen nach der Pandemie mitten in ihren Ängsten um Krieg, Inflation und Rezession – braucht die Stimme der Kirche(n). Die Politik allein schafft es nicht, die Krisen zu lösen. Das ist der Mehrwert unseres „Produktes“: Wir haben das Evangelium, die Frohe Botschaft, die über diese Welt hinausweist. Deshalb bitte ich Sie, liebe Christinnen und Christen: Treten Sie nicht zurück! Begeben Sie sich nicht in die zweite oder dritte Reihe! Zeigen Sie: Hoppla, es gibt uns! Wir sind da, um bei den Menschen zu sein. Religion ist keine Privatsache, der Glaube gehört ins öffentliche Leben. Tauchen wir nicht ab! Deshalb freue ich mich, für Jesus Christus in dieser Kirche zu arbeiten. Trotz allem bin ich stolz, katholisch zu sein.
Das zeigen wir auch nach außen. Wir Christinnen und Christen schauen nicht zu, wir gehen in und mit der Stadt. Wir tragen Jesus Christus durch unsere Stadt. Wir segnen ihre Bürgerinnen und Bürger. Unsere Prozession ist keine Macht-Demonstration, sondern ein Zeichen, dass Gott mit uns geht. Bei allem Singen und Musizieren, bei der Buntheit der Fahnen und Trachten - wir produzieren nicht uns selbst, wir zeigen der Stadt Jesus – in dem kleinen Stück Brot, in der Monstranz. Und wir beten für den Frieden im Großen wie im Kleinen: Herr, gib uns Deinen Frieden.
[1] Lk 4,18
[2] Joh 13,3ff
[3] Vgl. Jugend vor Gott, 293
[4] Joh 6,54-56