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Wichtiges
Predigt zu Ostern im Augsburger Dom

Jesu Leichnam ist weg, der Leib Christi ist da.

20.04.2025

Unerhört! Wir singen Halleluja, der Evangelist Markus berichtet: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatten sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich“ (Mk 16,8). Und bei Lukas lesen wir: „Sie fanden aber seinen Leichnam nicht.“ (Lk 24,23)

Ostern beginnt nicht mit Halleluja, sondern mit einem Verlust, der Angst und Schrecken einjagt. Jesu Leichnam ist weg. Die Frauen haben gesehen, wo und wie der reiche Pharisäer Josef von Arimathäa den toten Jesus bestattet hat. Sie kannten das Felsengrab, die Tücher, den Stein. Das alles haben sie beobachtet. Es hat sie geprägt und tiefe Spuren in ihnen hinterlassen. Am Ostermorgen ist alles noch da: das Felsengrab, die Tücher, der Stein. Aber der Leichnam fehlt.

Das Erschütternde dieses Verlustes können wir uns am besten vorstellen, wenn wir uns in Angehörige versetzen, die einen lieben Menschen verlieren, ohne zu erfahren, was wirklich geschah. Vermisstenmeldungen sind oft schwerer zu verdauen als Todesanzeigen. Das wissen wir vom Krieg. Oder denken wir an Situationen, wenn der Körper eines Menschen für immer verschluckt wird von den Fluten eines Tsunami oder verlorengeht in den Abgründen eines Berges oder in den Tiefen des Meeres, wenn ein Flugzeug abstürzt, oder wenn ein Feuer alles Sterbliche, das einen Menschen ausmacht, verbrannt hat.

Mit dem Verlust des Körpers Jesu, mit dieser erschreckenden und ernüchternden Tatsache, fängt Ostern an. Damit beginnt auch unser Osterglaube. Der Ort, das Grab, in dem der Verstorbene bestattet wurde, ist bekannt. Der Termin der Beerdigung, der Abend vor dem Sabbat, ist eindeutig bestimmbar: geographisch und chronologisch ist alles klar. Aber sein Körper, der Leichnam, ist nicht da. Wo soll er sein? Bis heute weiß niemand, wo die Leiche Jesu geblieben ist. Der österliche Befund lautet einfach: ein leeres Grab.

Das Grab ist leer. Im Grab suchen wir den Gekreuzigten vergeblich. Der junge Mann im weißen Gewand auf der rechten Seite des Grabes redet zwar, aber er gibt keine Auskunft darüber, wo Jesus jetzt ist. Er ist kein Kriminal­kommissar, er ist höchstens Pfadfinder. Er weiß nur die Richtung: „Geht nach Galiläa! Er geht euch voraus!“ (vgl. Mk 16,7). Bis heute hat sich daran nichts geändert: Jesu Leiche ist und bleibt verschwunden. Seine Anhänger sagen: Wir haben ihn gesehen und erkannt. Wir konnten mit ihm sprechen. Einer bekam sogar die Gelegenheit, ihn anzufassen. Und trotzdem: Ostern ist unfassbar, mit Händen nicht zu greifen, mit dem Hirn nicht zu begreifen. Der Auferstandene ist nicht zu fassen. Auch wenn wir das Grabtuch von Turin verehren, auf dieser Erde gibt es keinen Ort, wo Jesu Körper berührbar wäre. In der Grabeskirche zu Jerusalem ist sein Leichnam ebenso wenig anzutreffen wie an jedem anderen Ort der Welt.

Der Verlust der Leiche Jesu, das leere Grab, hat viel bewirkt für den Oster­glauben. Wir sind keine Wallfahrer geworden, die den gekreuzigten Jesus an seinem Grab besuchen, dort Blumen und Lichter aufstellen, um getröstet wieder nach Hause zu gehen. Es gibt kein Jesus-Mausoleum. Die Frauen werden nicht eingeladen, aus dem Gartengrab eine Jesus-Gedenkstätte zu machen. Im Gegenteil: Sie werden nach Hause geschickt, nach Galiläa, den Mittelpunkt ihres Lebens. Sie lernen, dass es seit Ostern nicht mehr um seinen irdischen Körper geht. Der Leichnam Jesu ist weg, aber der Leib Christi ist da!

Im Abendmahlsaal wird nicht nur der Tod, sondern auch die Auferstehung Jesu vorweggenommen. Am Grab erklingt die Stimme: Er ist nicht hier – im körperlichen Sinn. Doch in der Kirche hören wir die Stimme des Priesters: „Nehmt, das ist mein Leib!“ Das ist Ostern: Jesus lebt weiter, nicht nur in seinem Wort, in seiner „Idee“ vom Himmelreich, sondern der Auferstandene schafft sich einen Leib, die Eucharistie, was etwa bei den Emmausjüngern (Lk 24,13-35) eindrucksvoll gezeigt wird. In den Ostergeschichten hören wir: Diskussionen um das Wort der Schrift allein reichen nicht aus, erst in der Gemeinschaft des Brotbrechens zeigt sich der Auferstandene (Lk 24,30f.35). Der Auferstehungsglaube braucht auch den Leib der Kirche, wie wir bei Thomas sehen: Erst im Zwölferkreis findet er zum Glauben. (Joh 20,24-29)

Der abwesende Leichnam Jesu wird gleichsam ersetzt durch den anwesenden Leib Christi in der Eucharistie. Er ist ganz da, realiter praesens, wirklich anwesend. Doch damit nicht genug: Leib Christi ist mehr als ein Stück Brot, für das individuelle Seelenheil. Leib Christi sind wir selbst. Der hl. Augustinus sagt: „Wenn ihr der Leib Christi und seine Glieder seid, wird das Sakrament, das ihr selber seid, auf den Tisch des Herrn gelegt. Ihr empfangt das Sakrament, das ihr selber seid. Ihr antwortet auf das, was ihr empfangt mit ‚Amen’, und ihr unterzeichnet es, indem ihr darauf antwortet. Du hörst das Wort ‚Der Leib Christi’, und du antwortest: ‚Amen’. Sei also ein Glied Christi, damit dein Amen wahr sei“ (Sermo 272).

Der Leichnam Jesu ist weg, aber der Leib Christi ist da! Wir könnten auch sagen: Die Eucharistie ist da, die Kirche ist da! Sie ist „Zeichen und Werkzeug“, dass der auferstandene Christus lebt, dass er die Geschichte bewegt und inspiriert, wie es das Zweite Vatikanische Konzil ausdrückt (Lumen gentium 1).

Schauen wir noch auf die zweite Botschaft des Mannes an Jesu Grab: „Er geht euch voraus.“ Der Auferstandene ist weiter als wir. Er ist vor uns. Er hat alles, was auf uns wartet, schon durchschritten und überschritten. Er hat die Abschlussprüfung des Sterbens mit Bravour bestanden.

Ist das nicht tröstlich? Da geht mir einer voraus – einer, der nicht nur etwas ausprobiert, sondern ernst damit macht. Wo immer ich hingehe, wenn ich auch weggehe, der Auferstandene ist immer schon da.

Wenn ich weggehe aus einer Beziehung, mich löse von einem Menschen, ja sogar von Gott – Jesus ist immer schon da mit seiner eigenen Erfahrung am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wenn ich herausgerissen werde aus meiner Schaffenskraft und ins Krankenhaus muss – Jesus ist uns schon vorausgegangen: Er hat alle unsere Krankheiten und Leiden in seinem Kreuz auf sich genommen.

Wenn ich an einem Grabstein stehe und nachdenke über die Grenzen des eigenen Lebens, dann wird mir bewusst: Jesus ist mir auch hier voraus: Er ist schon vor mir hinabgestiegen in das Reich des Todes.

Wenn ich selbst einmal ans Sterben denken muss, dann hoffe ich, Trost zu finden darin, dass Jesus schon weiter ist als ich: Er ist durch den Tod gegangen und lebt ganz neu. Sein Körper interessiert nicht mehr, sein Leib sprengt alle Grenzen, er wartet auf mich mit dem Geschenk des ewigen Lebens.

Wo immer es uns hin verschlägt, Jesus ist uns immer voraus. Er ist schon da und wartet auf uns. Jetzt wartet er auf uns in Galiläa, dort wo wir leben, lieben und leiden. Das Gedicht von Karl Gerok (1815-1890) bringt es auf den Punkt:

Komm mit auf Galiläas Fluren,

Da zeig’ ich dir ein Paradies,

Da folgen wir den heil’gen Spuren,

Die Gottes Sohn auf Erden ließ;

Da lass den Herrn uns froh begrüßen

Und küssen seines Kleides Saum

Und selig ruhn zu seinen Füßen;

Komm, Seele, mit, es ist noch Raum!