Mit Thérèse von Lisieux dem guten Hirten Jesus folgen
Vor genau einem Jahr stand ich hier auf dem Kalvarienberg in Pobenhausen und sprach im Rahmen der Jugendwallfahrt darüber, dass wir als Christinnen und Christen dazu berufen sind, treu zu Jesus zu stehen, insbesondere, wenn die Mühen des Lebens uns bedrücken. Denn es ist immer leicht, ein freudvolles Halleluja anzustimmen, solang es einem gut geht. Wie aber reagieren wir, wenn Angst und Enttäuschungen, Krankheit oder Schicksalsschläge über uns hereinbrechen?
Jemand, der das sehr genau wusste und uns allen in solchen Lebensphasen eine große Hilfe sein kann, ist die hl. Thérèse von Lisieux (1873-1897). Von ihr können wir lernen, welch große Freude ein Mensch trotz aller innerer und äußerer Prüfungen empfinden kann, wenn es ihm gelingt, sich ganz der Liebe Gottes zu übergeben. Wie genau das geht, hat sie uns in ihrem „kleinen Weg“ der Liebe und geistlichen Kindschaft hinterlassen, aber auch durch ihr Lebenszeugnis.
Darum bin ich gerne heute wieder auf den Kalvarienberg gekommen, um mit Ihnen zusammen der Heiligsprechung jener Frau mit dem Beinamen die „kleine Thérèse“ vor 100 Jahren zu gedenken, und zugleich das 200-jährige Weihejubiläum der hiesigen Wallfahrtskirche in ihrer jetzigen Gestalt zu feiern. Es ist ein besonderer Ort in unserem Bistum, zu dem Menschen jeden Alters seit Jahrhunderten mit ihren Sorgen und Verwundungen kommen, um im Blick auf den Leidensweg unseres Herrn Kraft und Trost zu erlangen, weil sie erkennen können, dass unser Gott ein Gott des Mitleids ist, der sehr genau weiß, was uns belastet, und der uns jeden Tag mit dem Geist seiner Liebe begleitet.
Die heutigen Schriftlesungen vom 4. Sonntag der Osterzeit ließen drei kurze Gedanken in mir aufsteigen, die ich Ihnen gerne mitgeben möchte: Sie greifen das Bild des guten Hirten im Evangelium auf und handeln vom Aufbruch (1), von der Fürsorge (2), und von einer sicheren Heimkehr (3).
1. Aufbruch - sich von Gott senden lassen
Der Arbeitsalltag eines Hirten beginnt bekanntermaßen mit dem Aufbruch bei Sonnenaufgang. Zusammen mit seiner Herde zieht er aus, um gute Weideplätze zu finden. Dabei kann der Weg mitunter durchaus mühevoll sein und beispielsweise über Steilhänge oder Gewässer führen.
Ich sehe in diesem Bild eine gewisse Symbolik, denn auch der christliche Glaube beginnt mit einem Aufbruch. Ein Mensch spürt in sich, dass er angerufen ist, aus sich heraus zu gehen, und einer inneren Stimme zu folgen. Der kürzlich verstorbene Papst Franziskus schrieb in seiner ersten Enzyklika Evangelii gaudium: „Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des ‚Aufbruchs‘, die Gott in den Gläubigen auslösen will.“ (EG 20) Wie dieser Aufbruch dann konkret im Einzelnen aussieht, ist unterschiedlich und hängt vom Willen Gottes sowie von der jeweiligen Persönlichkeit der Gläubigen ab. Für den heiligen Paulus und seinen Begleiter Barnabas war zum Beispiel klar, dass sie dazu berufen waren, möglichst vielen Menschen das Wort Gottes zu verkünden. Dazu zogen sie von Stadt zu Stadt und kamen eines Tages auch nach Antiochia, wie wir in der ersten Lesung gehört haben (vgl. Apg 13,14ff.). Gleich Hirten sammelten sie eine große Menge an Leuten um sich und sprachen davon, wie Christus ihr Leben von Grund auf verändert und was er den Menschen an Gutem getan hat. Viele kamen zum Glauben, doch gab es auch einige, die eifersüchtig waren. Ihnen gefiel nicht, was sie da hörten, und am Ende trieben sie die beiden Jünger sogar aus der Stadt.
Es gibt also Widerstände, denen die Verkünder des Wortes auch in unserer Zeit begegnen: Der oft genannte Säkularismus, eine insgesamt eher kirchen-kritische Gesellschaft bis hin zu einer Diesseitsorientierung, die sich in einem immer mehr um sich greifenden Materialismus, Individualismus und Egoismus wiederspiegelt. Stellt sich die Frage, wie wir als Christen darauf reagieren können. Wie ein Hirte nach Wegen sucht, seine Herde sicher aufs Feld zu führen, so brauchen wir Lösungen, und eine davon bietet uns das Beispiel von Paulus und Barnabas: Ohne Frust und Aggression verkünden sie die Frohe Botschaft denjenigen, die sie hören wollen. Am Ende machen sie die Erfahrung, dass ganz viele, darunter auch Heiden – heute würden wir vielleicht sagen Kirchenferne – vom Heiligen Geist erfüllt werden und sie alle zusammen eine innere Freude verspüren (vgl. Apg 13,52).
Liebe Mitbrüder, kann uns das nicht Mut machen, wenn wir das Gefühl haben, immer weniger Menschen zu erreichen? Lassen wir uns nicht herunterziehen von der Erfahrung leerer werdender Kirchen, sondern machen wir uns auf und suchen die Menschen an den Orten auf, wo sie sind! Es gibt noch immer viele Frauen und Männer, die ein offenes Ohr haben, und sehr wohl spüren, dass ein rein materiell ausgerichtetes Leben ohne Sinn und Ziel langfristig nicht glücklich macht. Ich bin überzeugt, dass wir, wie einst die beiden Apostel, viele Menschen mit dem Evangelium erreichen können, wenn wir selbst mit Gott in Berührung sind, uns an seiner täglichen Gegenwart in Wort und Sakrament erfreuen, und darauf vertrauen, dass sein Heiliger Geist auch heute noch wirkt.
Die heilige Thérèse von Lisieux war davon zutiefst überzeugt und wollte genau aus diesem Grund Missionarin werden. Doch sollte ihr Weg ganz anders verlaufen. Ihre Mission bestand nicht darin, ferne Länder zu bereisen, sondern stattdessen den Menschen ihren „Kleinen Weg“ an die Hand zu geben und damit allen Suchenden und Gläubigen eine Perspektive aufzutun, wie ein Leben in der Nachfolge Jesu vollkommen von Gott verwandelt werden kann. Es ist ein „Leben aus Liebe“, wie sie in ihrem Gedicht Nr. 17 schreibt, und ein Weg nicht der großen Taten, sondern des Vertrauens und der Hingabe an Gott, ohne dabei weltabgewandt zu sein. Wie das auch konkret im Alltag gelebt werden kann, ist mein zweiter Gedanke.
2. Fürsorge – Jesus, dem guten Hirten, folgen
„Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“ (Joh 10,27f.) Welch ermutigende Zusage, die Jesus uns im heutigen Evangelium mitgibt. Solange wir uns als Christinnen und Christen also mit aller Kraft bemühen, dem Herrn zu folgen, indem wir jeden Tag versuchen, seine Stimme im Gebet zu hören und ihm selbst an verschiedenen Stellen des Alltags zu begegnen, dürfen wir sicher sein, dass er uns führen wird. Das Bild der Schafe, die ihrem Hirten folgen, ist dabei in keiner Weise Verniedlichung oder gar Abwertung. Vielmehr soll ausgesagt werden, dass wir bei Gott in guten Händen sind. Er beschützt uns vor Gefahren und er leitet uns auf unserem Weg durch die Zeit. Doch ruft er auch uns auf, selbst Hirten für andere zu sein. Je nach Berufung, kann das der fürsorgliche Familienvater sein, die liebevolle Mutter, der treue Freund, die hilfsbereite Nachbarin oder ein Chef, der seinen Mitarbeitern mit Respekt und Wertschätzung gegenübertritt. Für uns Priester bedeutet es, ganz dem Beispiel Jesu zu folgen - in Wort und Tat. Ein guter Hirte hat dabei immer die ganze Herde im Blick und nicht nur einige wenige. So sollen auch wir stets wachsam sein, welche unserer Gemeindemitglieder gerade Gefahr laufen, sich zu verlieren, oder denjenigen gegenüber, die am Rande stehen. Das können die Einsamen sein, die Traurigen, die Kranken, die Arbeitslosen oder auch jene, die keinerlei Lebensfreude mehr verspüren. Gehen wir diesen Menschen nach! Lassen wir sie nicht allein! Versuchen wir zu helfen und zu trösten, wo wir nur können! Das ist unsere Aufgabe, in der Nachfolge des guten Hirten Jesus.
Und schließlich: Wie der Hirte die Schafe am Abend wieder sicher in den Stall führt, so sollen auch wir dem Leben ein letztes Ziel geben. Dies ist mein dritter und letzter Gedanke.
3. Heimkehr – dem Leben ein Ziel geben
Wir alle kennen wohl Phasen im Leben, in denen wir müde und erschöpft sind. Das kann sogar so weit gehen, dass wir nicht mehr können und keinen Weg mehr sehen. Selbst die immer fröhliche Thérèse kannte dieses Gefühl. Ihre innere Freude, aus der heraus sie lebte, wurde in schwerer Krankheit massiv auf die Probe gestellt, und so wie der Herr am Kreuz seine Verlassenheit herausschrie (vgl. Mt 27,46), gestand auch sie in einem ihrer Schriftzeugnisse, sie wisse gar nicht mehr, was Freude ist. Doch gab es etwas, was in den Momenten der geistigen Finsternis ihr Herz erfüllte: Die Hoffnung. Die hl. Thérèse ahnte, dass ihr begonnenes Werk auch über den Tod hinaus Früchte tragen würde. All die Liebe, die sie selbst empfangen durfte und an andere weitergab, sollte auch nach ihrem Hinscheiden die Menschen erfüllen und zu Gott führen. Darum will ich speziell in diesem Heiligen Jahr uns alle ermutigen, Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung zu sein. Gerade hier am Kalvarienberg haben viele Menschen bei Wallfahrten, aber auch im persönlichen Gebet immer wieder gespürt, dass Gott uns auch in der größten Not nicht verlässt. Oder wie es in der zweiten Lesung aus der Offenbarung des Johannes besonders schön formuliert ist: „Das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.“ (Offb 7,17)
In dieser tröstlichen Zuversicht wollen wir dem Herrn danken, unseren Weg weitergehen und die heilige Thérèse um ihre Fürsprache anrufen:
„Liebe heilige kleine Therese,
die Kirche ist darauf angewiesen,
dass die Farbe, der Duft und die Freude des Evangeliums in ihr erstrahlen.
Schick uns deine Rosen!
Hilf uns, so, wie du es getan hast,
stets auf die große Liebe zu vertrauen,
die Gott für uns hegt,
auf dass wir jeden Tag
deinen kleinen Weg der Heiligkeit nachahmen können.
Amen.“[1]
[1] Aus dem Apostolischen Schreiben C’EST LA CONFIANCE des Heiligen Vaters Papst Franziskus über das Vertrauen auf die barmherzige Liebe Gottes anlässlich des 150. Jahrestages der Geburt der heiligen Theresia vom Kinde Jesus und vom heiligen Antlitz (2023), Nr. 53.