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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram beim Tag der Kirchenchöre in der Ulrichsbasilika am 9. Juli 2022

Kirchenmusiker aus Berufung: Melodie – Harmonie – Takt

09.07.2022

Die Situation kennen Sie alle: Ich bin eingeladen zu Besuch. Die Dame des Hauses öffnet, ich überreiche einen Blumenstrauß, und sie sagt: „Das ist aber eigentlich nicht nötig.“ Sind Blumen nötig? Mancher denkt: Sie kosten viel und bringen wenig. Wenn schon ein Geschenk, dann etwas „Praktisches“, etwas, das man „gebrauchen“ kann. Blumen sind nicht nötig, wie andere Dinge nötig sind. Man kann sie nicht verwerten. Blumen sind eigentlich nicht nötig, aber sie sind schön. Sie eröffnen eine neue Sicht, über die Kosten-Nutzen-Kalkulation hinaus.

Ist Musik nötig? Ist es nötig, dass wir Orgeln haben, Orchester, Chöre? Eigentlich nicht nötig. Die Messe ist auch gültig ohne Orgel, ohne Schola, ohne Orchester, ohne Chor. Trotzdem ist es schön, dass es sie gibt. Es ist gut, dass wir singen und musizieren. Ein Fest ohne Musik: unvorstellbar! Corona hat uns gezeigt, was es heißt, Gottesdienst zu feiern ohne Musik. Das war sehr trocken.

Schon in der Bibel hat die Musik ihren festen Platz. Sie ist dazu da, Feste zu verschönern und Gäste zu unterhalten. „Wir wollen essen und fröhlich sein“, sagt der barmherzige Vater, „denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.“ Als der ältere Sohn von der Feldarbeit heimkam, „hörte er Musik und Tanz“ (Lk 15,23-25). Der biblische Mensch singt und musiziert, weil Gott ihn durch seine Werke erfreut hat: „Du hast mich durch deine Taten froh gemacht. Herr, ich will jubeln über die Werke deiner Hände.“ (Ps 92,5)

Doch es gibt auch musiklose Zeiten. So klagt Ijob: „Wo ist mein Schöpfer, der Loblieder schenkt bei Nacht?“ (Ijob 35,10) Die Musik beim Gottesdienst darf aber auch kein Alibi sein für mangelnde Solidarität: „Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ (Am 5,23f.)

Ist Musik nötig? Eigentlich ist sie nicht nötig, doch in der Kirche fehlt etwas, wenn es sie nicht gibt. Deshalb danke ich Ihnen, liebe Kirchenmusiker, und allen Sängerinnen und Sängern in unseren Chören, dass Sie viel Zeit, Kraft und manchmal auch Geduld und Nerven einsetzen, um die Gottesdienste in Ihren Kirchen und Gemeinden zu verschönern. Obwohl wir den Gürtel enger schnallen und sparen müssen, will kein Pfarrer auf Sie verzichten. Ihr Einsatz ist kein verzichtbares Accessoire des kirchlichen Lebens, sondern wesentliche Voraussetzung dafür, dass unser Feiern zum Fest wird. Ihr Engagement ist mit Geld nicht zu bezahlen. Es geht über das Zählbare und Zahlbare hinaus. Musik ist eben nicht nur ein Gebilde, das der Physiker nüchtern nach dem Ablauf der Schwingungen misst. Sie bewegt und verwandelt die Herzen der Menschen, sie erfreut und stiftet Gemeinschaft, sie tröstet und verbindet – selbst dort, wo Worte versagen und für zu leicht befunden werden. Die Musik ist ein Bild für unser Leben. So wollen wir miteinander in den Spiegel der Musik schauen und dabei die Lebenslinien entdecken, die dieser Spiegel zeigt.

 

Melodie: Du bist einmalig!

Jedes Musikstück lebt von einer Melodie. Es braucht ein Thema, ein Motiv. Dabei sind der Fantasie für immer neue Melodien keine Grenzen gesetzt. Nur sieben Noten zählt die Tonleiter, doch was lässt sich daraus alles machen! Und jedes Instrument gibt seine Klangfarbe dazu, ob Flöte oder Posaune, ob Violine oder Pauke. Auch jede menschliche Stimme klingt anders, ist originell-einmalig. Vom Grundton geht die Melodie aus, sie schwingt sich durch Höhen und Tiefen, um zum Grundton zurückzukehren. Sehen wir die Ähnlichkeit mit unserem Leben? Einige Milliarden Menschen leben auf unserer Erde. Keiner gleicht dem anderen. Und jeder Mensch ist einmalig, unverwechselbar, keine Kopie, sondern ein Original. Jedes Leben hat seine Melodie, mit seinen Höhen und Tiefen, seinem Ausgangspunkt und seinem Ende.

Wir feiern diesen Tag der Kirchenchöre am Ende unserer Ulrichswoche. Nach der auferlegten Corona-Pause ist das ein Statement: Es geht wieder los! Wir starten neu durch. Ignatius von Antiochien, ein Theologe der alten Kirche, schreibt: „Nehmt Gottes Melodie in euch auf!“. Im Angesicht des eigenen Todes lebte Ignatius aus dem Vertrauen, dass Gott jedem von uns eine Lebensmelodie zugedacht hat. Was ist Gottes Melodie für mich? Welche Stimme hat er mir zugedacht? Gottes Lied kann ich nur hören, wenn ich still werde, wenn ich mich selber zurücknehme, denn seine Melodie ist leise. Und noch etwas kommt hinzu: Gottes Melodie kann ich nicht endgültig auswendig lernen, denn sie ist ein Thema mit Variationen; das Lied geht weiter, ist immer neu, immer wieder überraschend. Denn es ist ein Liebeslied, Gottes Liebeslied für mich. Und die Liebe ist bekanntlich erfinderisch. Sie kennt immer wieder neue Weisen.

 

Harmonie: Zur Symphonie zusammenklingen

Zur Melodie eines Musikstücks muss die Harmonie kommen. In einem Chor singt nicht jeder für sich allein drauf los. Erst das Miteinander, das Aufeinander-Hören und das harmonische Zusammenklingen der Töne schaffen den Wohlklang. Keine Stimme darf fehlen oder ausfallen, jeder muss sich einfügen in das Ganze. Auf unsere jetzigen Reformprojekte, die Synodalen Prozesse in Deutschland und in der ganzen Welt angewandt, heißt das: In einer synodalen Kirche gibt es verschiedene Stimmen, die nicht gegeneinander singen, sondern den Konsens finden und zusammenzuklingen. So strebt die synodale Kirche das Miteinander an, sie will einmünden in eine Symphonie.

Hören wir noch einmal Ignatius: Wenn jeder die ihm zugedachte Melodie hört und in sich aufnimmt, dann wird der Zusammenklang aller Stimmen ein gemeinsames Stück. Im Griechischen steht buchstäblich das Wort „Symphonie“ – Zusammenklang: „In eurer zusammenklingenden Liebe ertönt durch euch das Lied Christi.“

Die Aussagen über die Musik spiegeln unser Leben. Wir existieren nicht als Robinsons, jede(r) für sich allein. Wir leben in Gemeinschaft. Man hat den Menschen geradezu als „animal sociale“ definiert, als Lebewesen, das auf Gemeinschaft hin angelegt ist. Singen und Musizieren sind Schulen der Gemeinschaft. Sie fordern Aufeinander-Hören und Sich-Einordnen, sie fördern Rücksicht, Kameradschaft und „Harmonie“.

Musik wirkt über die eigenen Reihen hinaus – als Chance, anderen Freude zu machen und so gemeinschaftsbildend in die Gemeinde hineinzuwirken. Ich schätze den Beitrag, den Sie, liebe Chormitglieder, für das Gemeindeleben leisten. In normalen Zeiten werden Organisten und Instrumentalisten, die Kinder-, Jugend- und Kirchenchöre nicht müde, über die gottesdienstlichen Feiern hinaus sich bei caritativen und pastoralen Anlässen einzubringen. Gerade alten und kranken Menschen am Rande unserer Gesellschaft machen sie dadurch eine große Freude und helfen mit, dass sie auch in schwieriger Lage innerlich versöhnt zu seelischer Harmonie finden können. Vergelt’s Gott dafür!

 

Takt: Die Liebe zu Gott

Ein Musikstück wird geprägt von Melodie und Harmonie, aber auch vom Takt. Das harmonische Zusammenspiel funktioniert nur dann, wenn der Takt festgelegt ist, wenn ein Dirigent den Takt schlägt und die Einsätze gibt, wenn alle auf den Dirigenten schauen und sich von ihm leiten lassen.

Auch wir Menschen können nur in Harmonie und Frieden leben, wenn wir auf Gott den Schöpfer schauen und ihn anerkennen. Eine Pfarrgemeinde oder eine Pfarreiengemeinschaft wird nur dann wachsen und reifen, wenn die Mitglieder wissen, wer Herr im Haus der Kirche ist: Jesus Christus, dessen Lebensmelodie darin bestand, dass er sich in eine Krippe und aufs Kreuz hat legen lassen.

Auch wir sind immer wieder versucht, die Rollen zu vertauschen und uns in unserem Gewicht zu überheben. Weder Priester noch Musiker sind davor gefeit. Wie wir Priester manchmal den Altarraum zur Bühne umgestalten, so kann es auch Kirchenmusikern und Sängern passieren, dass sie weniger zur Ehre Gottes als zur eigenen Selbstdarstellung musizieren. Doch die Musik ist kein Selbstzweck, sie steht im Dienst des Herrn, der den Takt angibt. Weder der hochwürdige Herr Pfarrer noch der verehrungswürdige Herr Chordirektor noch die vollengagierte Leiterin der Kirchenmusik vor Ort sind das Haupt der Kirche, sondern Jesus Christus. Ihm wollen wir singen und spielen, jeder und jede am je eigenen Platz.

Melodie – Harmonie – Takt. Davon lebt nicht nur unsere Musik, darauf baut auch unser Leben und Glauben. Ich wünsche Ihnen diese Tugenden für Ihre treue Probearbeit und Ihre öffentlichen Auftritte. Wir brauchen Frauen und Männer der Kirchenmusik, Sängerinnen und Sänger aus Berufung!

Joseph Haydn fasste kurz vor seinem Tod sein Lebensmotto zusammen: „Ich hab’s mit meinem Leben gehalten wie mit meinen Kompositionen. Ich habe sie mit Gott begonnen und mit einem Laus Deo beendet. Gottes Lob war der goldene Faden, der sich durch mein ganzes Leben zog.“ Joseph Haydn hat den tiefsten Sinn der Lebenskomposition erfasst. An seinem Motto können auch wir uns orientieren: Nicht Geld, Ehre und Anerkennung stehen an erster Stelle, sondern das Lob Gottes. So wünsche ich Ihnen, liebe Sängerinnen und Sänger, aus ganzem Herzen, dass die Worte des Psalmenbeters auch Ihr Gebet werden: „Ich will den Herrn loben, solange ich lebe, meinem Gott singen und spielen, solange ich da bin.“ (Ps 146,2)