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Wichtiges
Predigt im Festgottesdienst zum 50. Jahrtag der Kirchweihe von St. Peter in Wielenbach am 9. Oktober 2022

Krise ist wie „Aussatz über der Kirche“. Dennoch: „Gefühle zeigen und dankbar sein“

09.10.2022

Lieber Herr Pfarrer Bestele, lieber Martin, liebe Engagierte im Pfarrgemeinderat und in der Kirchenverwaltung, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, fast auf den Tag genau 50 Jahre ist es her, dass hier in Wielenbach alles auf den Beinen war: die altehrwürdige Peterskirche war vergrößert worden.

Für das nach dem II. Weltkrieg stark angewachsene Dorf zu klein geworden, wurde sie durch einen – bis heute spektakulären – Erweiterungsbau den neuen Bedürfnissen angepasst. Ich nehme an, die allermeisten von Ihnen waren damals dabei und können sich noch gut an das Fest erinnern: als Ministranten, als Kinder mit Blumenkörbchen, als Fahnenträger und ganz sicher alle im oberbayerischen Sonntagsstaat. Die Pfarrgemeinde war 1972 bestimmt in bester Feierlaune, befand sich doch die katholische Kirche, die erst einige Jahre vorher mit dem weltweiten Konzil im Vatikan zum Aggiornamento, zur Verheutigung des Glaubens, aufgerufen hatte, als ganze in Aufbruchsstimmung.

Heute, 50 Jahre später, feiern wir wieder und auch wenn die Kirche herrlich geschmückt ist und ich in festlich frohe Gesichter schaue – unser Lebensgefühl ist, und da stimmen Sie mir sicher zu, schon ein etwas anderes geworden. Viele Erwartungen, die das Konzil (und auch die Würzburger Synode von 1975 und die Diözesansynode von 1990) geweckt hatte, blieben bis heute unerfüllt. Vollends schockiert sind wir alle seit dem Bekanntwerden von zahlreichen Fällen von sexualisierter Gewalt innerhalb des Klerus – und dies in allen Erdteilen. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: die Kirche steckt in einer tiefgreifenden Glaubwürdigkeitskrise und die Verunsicherung ergreift selbst gestandene Christinnen und Christen. Eine Krise jedoch ist zuallererst eine Entscheidungssituation. Jede und jeder ist herausgefordert, abzuwägen und Position zu beziehen. Schon in meinem ersten Geistlichen Wort als neu ernannter Bischof habe ich deutlich gemacht: „Die Kirche ist nicht Gott“ - und Gott ist nicht die Kirche. ER ist größer als unsere Hosentasche und lässt sich nicht instrumentalisieren, auch wenn das manche immer wieder versuchen.

Das heutige Evangelium zeigt uns, worauf es ankommt, wenn sich jemand an Jesus wendet: Wie oft erfahren wir unverhofft Hilfe, sei es im Gebet, durch eine glückliche Fügung oder vermittelt durch Menschen, die uns tatkräftig zur Seite stehen. Die zehn Aussätzigen wagen es, Jesus auf sich aufmerksam zu machen. Sie setzen alles auf eine Karte und wenden sich voller Vertrauen an den, von dem sie schon so viel Gutes gehört haben. Er reagiert prompt und ganz pragmatisch: „Geht zu den Priestern“ – das heißt, zeigt Euch denen, die Euch für rein erklären können. Damit gibt er sie der Gesellschaft zurück und verlangt gleichzeitig von ihnen den Mut, sich dem Urteil ihrer Mitmenschen auszusetzen – kein geringes Risiko, denn gerade die hatten sie ja aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen und für tot erklärt!

Fast immer sind die Wunder Jesu wie hier an die Zustimmung der Betroffenen gekoppelt, an ihre Bereitschaft, sich heilen zu lassen und dafür Zeugnis abzulegen. Doch genau da ist bei uns Menschen noch viel Luft nach oben, wie der weitere Verlauf dieser Episode zeigt: Von zehn Geheilten kehrt nur einer zurück, nur einer ist anständig genug, sich auch zu bedanken. Was Eltern ihren kleinen Kindern beibringen, nämlich, dass einem „Bitte“ nach der Erfüllung des Wunsches auch ein „Danke“ folgen sollte, das wird manchmal – und wir alle haben solche Erfahrungen schon gemacht – schlicht vergessen oder ‚eingespart‘. Die heutige digitale Kommunikation scheint dieses Verhalten, wie ich beobachte, ausdrücklich zu begünstigen.

Dankbarkeit ist aber nicht einfach angelernte Höflichkeit, sondern, wie Jesus selbst deutlich macht, die Voraussetzung für die innere Heilung, welche die äußere notwendigerweise ergänzt. Der ganze Mensch ist heilungsbedürftig und wird, wenn er sich dem Licht Christi aussetzt, ganzheitlich geheilt. Gott macht keine halben Sachen und er überrumpelt uns nicht. Er nimmt uns als Gegenüber und Gesprächspartner wirklich ernst, das zeigt das Jesus-Wort: „Dein Glaube hat dich gerettet“. Was heißt das anderes als: Dein Vertrauen, Deine Offenheit für das göttliche Wirken war groß genug, dass ich wirken konnte.

Gott braucht Raum in uns und wir müssen es zulassen, dass er unser Leben lenkt. „Der reife Glaube ist nicht nur Vertrauen, sondern er ist auch eine Verneigung der Seele vor dem Geheimnis Gottes“ (Martin Schleske). Der geheilte Mann aus Samaria hat die Macht Gottes am eigenen Leib erfahren. Diese existentielle Begegnung mit dem Heiligen verwandelte ihn ebenso wie den Syrer Naaman, von dem wir in der Lesung hörten. Beider Leben hat sich von Grund auf geändert: Sie sind leibhaftige Zeugen von Gottes Allmacht geworden und durch und durch ergriffen von jener Gottesfurcht, die der Psalmist als den Anfang der Weisheit (vgl. Ps. 111,10) bezeichnet.

Wie steht es damit bei uns? Kennen wir, die wir heute in der Öffentlichkeit so viel von Gefühlen sprechen, von Betroffenheit und Enttäuschung, von Wut und Entsetzen, von Irritation, Ärger und Verletzung, noch so etwas wie Gottesfurcht?

Gibt es Situationen, in denen wir urplötzlich und ganz unwillkürlich ehrfürchtig werden? Ich hoffe es, denn auch dieses eher leise Gefühl ist zutiefst menschlich, das sehen wir an Kindern, die noch rückhaltlos staunen können. Ehrfurcht ist auch die leider viel zu selten ins Wort gebrachte Grundlage für alle zwischenmenschliche Liebe und damit nicht zuletzt die Basis für die Grundhaltung der Dankbarkeit. Wer sich dankbar zeigt, hat erkannt, dass er nicht alles allein schafft, sondern auf andere angewiesen ist.

Ein Sprichwort sagt: Glauben heißt die Abhängigkeit als Glück zu betrachten. Dabei ist diese Abhängigkeit nicht etwa das Gegenteil von Selbstständigkeit oder gar Selbstverantwortung, sondern einfach das klare Eingeständnis, dass ich mich nicht mir selbst verdanke. Keiner kann aus sich heraus leben, wir alle verdanken uns anderen, unseren Eltern, unseren Lehrerinnen, unseren Freunden und Familienangehörigen. Zuletzt aber verdanken wir uns Gott, unserem Schöpfer und Erlöser!

Dies haben die beiden Geheilten ebenso erkannt wie der hl. Petrus, dessen Patrozinium diese Ihre Kirche trägt. Er war wohl ein Hitzkopf, leicht erregbar und sehr gefühlsbetont, und er hat Fehler gemacht bis hin zur Verleugnung des Herrn. Aber er war ehrlich genug, sich zu seinen Schwächen zu bekennen und einen Neuanfang zu wagen. Deswegen eignet er sich so gut als Kirchenpatron. Ich wünsche uns allen, dass wir auch in der gegenwärtigen Krise, die wie Aussatz über der Kirche liegt, nicht mutlos werden, sondern unbeirrt auf Gott vertrauen, seinem Geheimnis in Ehrfurcht begegnen und ihn inständig bitten: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns“, mit deiner Kirche und mit der ganzen Welt! (vgl. Lk 17,13). Amen.