Leben – beten - feiern
Lieber Mitbruder Pfarrer Biju, liebe Gläubige aus Leuterschach und Umgebung! Wie eine Reihe anderer Gotteshäuser im Ostallgäu, so feiert auch die Kirche St. Johannes Baptist heuer ihr 300jähriges Jubiläum. Ihre Pfarrkirche liegt mitten im Ort und prägt damit das Erscheinungsbild von Leuterschach. Ich will diesen Tag zum Anlass nehmen, nicht beim schönen Anblick stehen zu bleiben.
Wenn die Kirche den Mittelpunkt eines Ortes bildet, dann ist das mehr als nur ein geographisches Zentrum. Spielt dieser sakrale Raum noch eine zentrale Rolle im Dorf? Ihr Jubiläumsmotto „Leben – Beten – Feiern“ eignet sich bestens dazu, diesem Thema nachzugehen. Wie schaut unser Leben, Beten und Feiern aus?
In den letzten 300 Jahren hat sich der Stellenwert von Glaube und Kirche mehr als einmal gewandelt. Die Zahl derer, die angeben, ohne Glaubenspraxis, ja sogar ohne Gott ganz zufrieden zu sein, hat zugenommen. Es ist nicht selbstverständlich, dass weltliche und geistliche Verantwortliche Hand in Hand arbeiten oder dass Vereine und Pfarrei sich wechselseitig bereichern. Die religiöse Landschaft hat sich verändert.
Ein Kirchturm steht symbolisch für Christus. Äußerlich ragen die Kirchtürme im Allgäu unübersehbar aus den einzelnen Dörfern hervor. Aber welchen Platz dieser Kirchturm in unserem Leben tatsächlich hat, ist zur Entscheidung jedes Einzelnen geworden.
Christus einen zentralen Platz im Leben einräumen, was kann das heißen? Betrifft das die Mehrheit derer, die hier wohnen oder gibt’s nicht genau dafür die Pfarrer, Bischöfe und Ordensleute?
Vielleicht hegt der ein oder andere die Vorstellung, dass das echte Leben nur außerhalb der Kirchenmauern stattfindet: in der Arbeit, in der Familie, in den Hobbies… die Kirchenbesuche sind dann eher die kleine Auszeit von diesem Leben; dann muss man sich möglichst von der guten frommen Seite zeigen.
Die heutigen Lesungen brechen mit dieser Vorstellung. Zur Verdeutlichung macht Jesus im Evangelium zwei Kategorien auf, zwei überspitzt dargestellte Menschentypen, die den Ort des Gebets aufsuchen: den nach außen hin gerechten und religiösen Menschen und den offensichtlichen Sünder. Wenn wir meinen, wir dürften uns Gott nur mit einem makellosen Leben nahen, dann laufen wir schon in dieselbe Falle wie jener Pharisäer. Bei ihm geht der Wunsch nach Perfektion so weit, dass er sich selbst belügt und noch dazu denkt, andere vor Gott ins schlechte Licht rücken zu müssen: „Ich bin nicht wie dieser da…“ (vgl. Lk 18,11). Aber Gott ist nicht bestechlich!
Die Botschaft Jesu, die heute an uns geht, ist mahnend; er richtet sich an seine Jünger - an die, die ihm nachfolgen, dass sie ja nicht selbstgerecht werden! Und diese Botschaft ist zugleich trostreich und hoffnungsspendend. Indem Jesus das ehrliche Gebet des Sünders lobt, macht er uns klar: Wir müssen nicht perfekt sein. In diese Kirche soll ein jeder so kommen dürfen, wie er ist. Lasst euer echtes Leben nicht vor der Tür, bringt es mit! Freude und Dankbarkeit, Sorge, Angst und Trauer, Schuld und Scheitern: nichts müssen wir vor Gott verbergen! Alles dürfen wir ihm vor die Füße werfen. Wenn wir so ehrlich mit Gott umgehen, dann wird unser Leben und Beten immer mehr eins. Daher lade ich Sie ein, das Gebet auch nicht auf die Gottesdienstzeiten im sakralen Raum zu beschränken. Nehmen Sie Gott mit in Ihren Alltag. Räumen Sie ihm einen festen Platz im Leben ein: ein Dankgebet bei Tisch, kleine Stoßgebete, ein Abendgebet mit den Kindern. Wie wertvoll ist es, wenn Kinder in den Familien noch lernen dürfen, mit Gott zu sprechen; wenn sie erfahren, dass Gott an der Seite des Menschen steht und dass er gerade für die kleinen, schwachen und armen Leute ein ganz großes Herz hat.
Leben – Beten … und Feiern! Schauen wir noch auf diesen letzten Punkt im Motto. Das Jubiläumsjahr ist noch nicht ganz zu Ende, aber Sie blicken bereits auf einige Ereignisse zurück: Festgottesdienste, Programm für Kinder und Jugendliche, Wallfahrten und Angebote zur Glaubensvertiefung. Selbst wenn Referenten und Gastprediger eingeladen werden, immer braucht es Leute vor Ort, die mitdenken, zupacken, einladen und organisieren. Pfarreien leben durch das ehrenamtliche Engagement und manch eine Pfarrei kämpft ums Überleben – auch in unserem Bistum.
So ist es mir als Bischof ein Anliegen, heute ein Dankeschön auszusprechen für alle, die zu den Jubiläumsveranstaltungen beigetragen haben. Vergelt´s Gott auch denen, die das kirchliche Leben schon seit vielen Jahren mitgestalten, die zum Erhalt und bei der Pflege der kirchlichen Räume mitwirken und die sich in der Sakramentenvorbereitung engagieren. Zu besonderen Anlässen ist es ein Ausdruck der Wertschätzung, die zu ehren und zu danken, die mit viel Zeit und Herzblut dabei sind. Unser Herrgott schenke ihnen Gelassenheit und Freude im Tun. ER sollte der erste und der letzte Grund für unsere Festlichkeiten sein. Bleiben wir also nicht bei uns stehen! Feiern gehört zu unserer christlichen Kultur. Wir drücken darin Lebensfreude und Dankbarkeit darüber aus, dass Gott uns Hoffnung und Heil schenkt. Machen wir daher nicht einen auf geschlossene Gesellschaft! In unserer Gemeinschaft soll spürbar werden: Wir feiern nicht uns selbst, sondern wir feiern, dass Gott mit uns geht! Feiern wir so, dass auch die satt werden, die mittellos sind und dass sich auch der eingeladen weiß, der den Anschluss an die Dorfgemeinschaft verloren hat.
Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen, ja, jede Begegnung ist ein Übungsfeld dafür, die Frohe Botschaft ins Heute zu übersetzen. Das mag ein stilles Gebet sein, in dem ich mich mit eigenen Worten an Gott richte; ein bewusster Friedensgruß, auch wenn er mir schwerfällt; eine Ermutigung an jemanden, zum Stehempfang zu kommen, der zögernd am Rand steht, oder ein Besuch bei denen, die nicht mehr aktiv am Gemeindeleben teilnehmen können.
Leben, Beten und Feiern - nichts davon kann isoliert bestehen. Leben, Beten und Feiern – es soll sich gegenseitig durchdringen. Wir dürfen gewiss sein, wo wir das Unsere dazu beitragen, da wird der Herr seinen Segen geben.