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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram anlässlich 33 Jahre Bibelseminar in Lützelburg-Gablingen

Menschen mit Jesus in Berührung bringen

04.04.2025

Lieber Herr Pfarrer Götz, lieber Franz, liebe Mitglieder des Bibelseminars, liebe Schwestern und Brüder, „dankt dem Vater mit Freude“ – so haben wir eben in der Lesung aus dem Kolosserbrief gehört und wirklich: wir sind heute zum Danken hier zusammengekommen! Zum Danken und zum Staunen über die wunderbare Führung durch den Heiligen Geist, der vor 33 Jahren Dekan Karl Kraus und Frau Große den Impuls eingab, dafür zu werben, dass Gläubige sich mit dem Fleisch gewordenen Wort Gottes, mit Jesus Christus beschäftigen, ja ihm im Evangelium begegnen.

Während der vergangenen 33 Jahre – der Lebenszeit Christi – kamen durch die Leiter des Bibelseminars sicher Hunderte von Menschen mit Ihm in Berührung, lernten Ihn kennen und konnten die Kompassnadel ihres Lebens nach Ihm ausrichten. Wieviel an Segen von dieser Initiative ausging, werden wir wohl erst von einer höheren Warte aus abschätzen können! Deshalb ist es nur recht, dass wir heute innehalten, Rückschau halten und den Segen unseres guten Gottes für Gegenwart und Zukunft erbitten.

Wir tun dies in einer Zeit, die von Orientierungslosigkeit und Misstrauen geprägt ist. Was seit 80 Jahren sicher schien, hat Risse bekommen, denken wir nur an die transatlantische Freundschaft. Absprachen und „ungeschriebene Gesetze“, ja das, was wir für selbstverständlich hielten, wird plötzlich in Frage gestellt. Der Krisenmodus, den uns die Pandemie wie aus heiterem Himmel aufzwang, er ist längst „das neue Normal“ geworden. Angst und Unbehagen verdrängen in vielen Herzen Zuversicht und Hoffnung.

Auch wir sind Kinder unserer Zeit und können uns als gläubige Menschen dem Sog nicht ganz entziehen – und doch sollten wir gerade auf stürmischer See und in dunklen Stunden nicht müde werden, nach Demjenigen Ausschau zu halten, der Licht und Ruhepol in einer Person ist.

Denn was damals vor 2.000 Jahren galt, das gilt noch heute und ist für alle Zeiten tragfähig: „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5). Öffnen wir den Raum unseres vielleicht angstvollen Herzens für diese Botschaft! Geben wir Gott eine Chance, dass er unser Leben liebevoll gestalten darf, damit an uns und durch uns wahr wird, was Papst Benedikt immer wieder betonte: „Wer glaubt, ist nie allein“.

In diesem Jahr erinnern wir uns auch des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren. Der 8. Mai 1945 war ein Tag des Aufatmens: endlich Friede - doch in welcher Trümmerlandschaft! Nicht nur der Großteil der Städte und Häuser war zerstört, auch die Familien, die menschlichen Beziehungen hatten tiefe Verletzungen davongetragen; viele waren durch Entbehrung hart und apathisch geworden. Der Zusammenbruch einer menschenverachtenden Ideologie hatte nicht nur den Tod von mehr als 50 Millionen Menschen zur Folge, sondern hinterließ auch eine schreckliche Leere in den Herzen derer, die weiterlebten. Wem konnte, ja durfte man noch glauben?

Heute wissen wir: die Frauen und Männer, die aus Gewissensgründen den Nationalsozialisten die Gefolgschaft verweigerten, die als Christinnen und Christen bereit waren, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (Apg 5,29), selbst wenn es ihr Leben kostete, sie fehlten beim Wiederaufbau eines Gemeinwesens in Deutschland und dennoch hat ihr Martyrium enorme Strahlkraft aus diesen finsteren Zeiten bis in unsere Tage.

Am 9. April jährt sich auch die Hinrichtung des evangelischen Theologen und Pastors Dietrich Bonhoeffers zum 80. Mal. Deshalb möchte ich ihn hier zu Wort kommen lassen:

„Ein Glaube, der nicht hofft, ist krank. Er ist wie ein hungriges Kind, das nicht essen, oder wie ein müder Mensch, der nicht schlafen will. So gewiss der Mensch glaubt, so gewiss hofft er. Und es ist keine Schande zu hoffen, grenzenlos zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen, ihn einmal zu schauen? Wer wollte von Frieden und von der Liebe unter den Menschen reden, ohne sie einmal in Ewigkeit erleben zu wollen? Wer wollte von einer neuen Welt und einer neuen Menschheit reden, ohne zu hoffen, dass er an ihr teilhaben werde? Und warum sollen wir uns unserer Hoffnung schämen? Nicht unserer Hoffnung werden wir uns einstmals zu schämen haben, sondern unsrer ärmlichen und ängstlichen Hoffnungslosigkeit, die Gott nichts zutraut, die in falscher Demut nicht zugreift, wo Gottes Verheißungen gegeben sind, die resigniert in diesem Leben und sich nicht freuen kann auf Gottes ewige Macht und Herrlichkeit. Je mehr ein Mensch zu hoffen wagt, desto größer wird er mit seiner Hoffnung: Der Mensch wächst mit seiner Hoffnung – wenn es nur die Hoffnung auf Gott und seine alleinige Kraft ist. Die Hoffnung bleibt.“[1]

Ist es da nicht ein Fingerzeig Gottes, dass wir heuer auch ein Heiliges Jahr feiern dürfen unter dem Leitwort: Pilger der Hoffnung?

Es wäre zu kurz gesprungen, wollten wir uns für unser Leben nur an erfolgsverwöhnten, glücklichen Biografien orientieren – nein, wer in die Fußstapfen Jesu, des gekreuzigten und auferstandenen Herrn, tritt, der sollte damit rechnen, dass die Liebe Christi nicht nach irdischen Maßstäben zu beurteilen ist, sondern Nachfolge immer auch Kreuzesnachfolge heißt. Allerdings: Gott bleibt unwiderruflich - und das ist der wesentliche Unterschied zur rein menschlichen Sicht - Herr der Lage. Er hat Mittel und Wege, den leidenden Menschen zu stützen und zu stärken, die niemand kennt außer dem, dem er sich in unendlicher Liebe zuneigt!

Dies bezeugt auch der Jesuit Alfred Delp, wie Bonhoeffer Gesprächspartner innerhalb des Kreisauer Widerstandskreises und bereits am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Er schreibt in der Zeit zwischen Todesurteil und Vollstreckung mit gefesselten Händen an seine Freunde:

„Es ist Zeit der Aussaat, nicht der Ernte. Gott sät; einmal wird er auch wieder ernten. Um das eine will ich mich mühen: wenigstens als fruchtbares und gesundes Saatkorn in die Erde zu fallen. Und in des Herrgotts Hand. Und mich gegen den Schmerz und die Wehmut wehren, die mich manchmal anfallen wollen. Wenn der Herrgott diesen Weg will – und alles Sichtbare deutet darauf hin –, dann muss ich ihn freiwillig und ohne Erbitterung gehen. Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“[2]

Das ist 80 Jahre her – und wir wären undankbar, wenn wir leugnen würden: Das Lebensopfer dieser beiden und der Tausenden von Frauen und Männern, darunter auch Jugendliche und junge Erwachsene – es hat uns für Jahrzehnte ein Leben in Frieden und Freiheit gebracht. Haben wir es gut genutzt?

Heute spüren wir angesichts der weltpolitischen Lage den rauen Wind der Feindseligkeit, wie sie der Johannesprolog für die Zeit Jesu ganz lapidar benennt: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“

Verwundert es uns da, wenn wir uns als Gläubige, als Priester und ich als Bischof manchmal auf verlorenem Posten fühlen? Das gehört zweifellos dazu, doch wir sollten nicht beim Klageführen, beim Lamentieren stehen bleiben. Denn wir wissen ja, wie es im Text weitergeht: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, (…) das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 9-14). Nehmen wir Christus beim Wort, reihen wir uns ein in die unübersehbare Schar derer, die ihm folgten, unter dem Gespött und dem Hass ihrer Zeitgenossen, aber auch in der unbeirrbaren Treue des unscheinbaren Dienstes jenseits der Schweinwerfer der Welt!

Wenn wir nun Eucharistie feiern, Danksagung, wie das griechische Wort übersetzt heißt, dann wollen wir bewusst all jene Lebenden und Verstorbenen mit ins Gebet nehmen, denen wir ganz persönlich das gute Beispiel, die Hinführung zum Glauben, zum Wort der Frohen Botschaft verdanken.

Ich möchte schließen mit der Bekräftigung, einem Abschnitt aus meinem Hirtenwort von 2022: „Wort und Sakrament sind kein Gegensatz, sondern ein unzertrennliches Paar. Wir dürfen die beiden nicht gegeneinander aus­spielen: Nicht entweder Wort oder Sakrament, sondern Wort und Sakrament: In Jesus Christus ist beides verbunden. Denn er ist Wort und Ursakrament, sichtbar gewordenes Wort. Das ist gut katholisch. Es ist derselbe Christus, der sich uns in der Eucharistie als Nahrung schenkt und der uns in seinem Wort verwandelnd entgegenkommt. Christus, der unter den Gestalten von Brot und Wein wirklich gegenwärtig (real präsent) wird, ist auch im Wort gegenwärtig, das im Gottesdienst verkündet wird.“ – Sprechen wir ihm zu Herzen mit den Worten der heiligen Faustyna Kowalska: „Jesus, ich vertraue auf Dich“. Amen.

[1] Dietrich Bonhoeffer, Werke (DBW), Band 13, S. 401f.

[2] Alfred Delp, Im Angesicht des Todes (1976), S. 230.

Leitwort der Feier: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Lesungstexte: Kol 1,12-20; Joh 1,1-5.9-14